Porträts von Soheila Sokhanvari

Gemalte Rebellinnen

Auf den Gemälden von Soheila Sokhanvari strahlen weibliche iranische Ikonen voller Stolz und in Freiheit: Ein sehnsüchtiger Blick in die Vergangenheit und ein pointierter Kommentar auf die gegenwärtige politische Situation im Land

Der Auftakt der Ausstellung ist bereits ein inszenatorischer Kunstgriff. Die Künstlerin Soheila Sokhanvari stellt ihrer imposanten Galerie von Frauen-Porträts aus der vorrevolutionären Zeit in Iran eine Wand voran, eine Barriere und gleichzeitig eine Pforte zu einer anderen Welt. Die unzähligen kleine Spiegelscherben auf diesem  Monolithen, der auch an Kubrick’s ikonischen Science-Fiction-Film "2001" erinnert, versetzen den Raum mit tanzende Lichtreflexen in Bewegung.

Der Eintritt in diese Sphäre ist sowohl Zeitreise als auch immersives multimediales Erlebnis aus Raum, Klang und Malerei. Dahinter öffnet sich die weit geschwungene halbkreisförmige Ausstellungsarchitektur im Barbican Centre, bekannt als The Curve. Wand und Boden sind vollflächig mit islamischen Ornamenten versehen, während aus Lautsprechern ein Soundtrack klingt, den Mariuous Aristopoulos aus den berühmtesten Stimmen jener Jahre kompiliert hat. Den Titel der Show, "Rebel Rebel", hat sich Soheila Sokhanvari von David Bowie geliehen, und dass es Frauen in Iran nicht gestattet ist öffentlich zu singen, ist dabei nur ein Aspekt in dieser Zelebrierung ihrer heroischen Dissidenz.  

Eines ist in der Ausstellung von Anfang an offenkundig: Die aktuellen Ereignisse schärfen auf tragische Weise den Blick auf jene Arbeiten, die lange zuvor konzipiert und entstanden sind. So wie die Bildnisse selbst unsere Lektüre der Gegenwart um historische Aspekte erweitern, die einem größeren Publikum unbekannt sein dürften.

Ein vorausschauender Blick

Der Parcours aus 28 Miniatur-Portraits, dramatisch beleuchtet im Halbdunkel des Ausstellungssaals, präsentiert Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Autorinnen. Allesamt Frauen, deren Biographien von den schmerzvollen Herausforderungen erzählen, die ihnen in den Jahrzehnten des Pahlavi-Regimes abverlangt wurden. Der historische Kontext schönt nichts. Zwar wurde ihnen eine gewisse Sichtbarkeit zugestanden, die in den Jahren nach 1979 abrupt und brutal genommen wurde, doch in dem konservativ-patriarchalischen System hatten diese Frauen um ihre Autonomie und Karrieren hart zu kämpfen.

Roohangiz Saminejad war die erste weibliche Darstellerin in einem iranischen Film, Simin Daneshvar die erste Prosa-Autorin, die unter ihrem eigenen Namen publiziert werden konnte. Faegheh Atashin, bekannt als Googoosh – einer der größten Stars Irans, eine kulturelle Ikone, die die allergrößte Bewunderung hervorrief –, wurde nach der Revolution inhaftiert und wieder frei gelassen. Unter der Bedingung, dass sie nie mehr auftreten würde. Doch ihrer Popularität tat das keinen Abbruch. Kopien ihrer Alben kursierten überall. Im Jahr 2000 verließ sie das Land, um wieder Konzerte zu geben zu können. Heute, mit Mitte 70, lebt sie in Los Angeles und hat 2021 ihre letzte Platte veröffentlicht.

Sokhanvaris Kunst steht in der Tradition der persischen Miniaturmalerei. Ihre kleinformatigen Bilder in Eitempera auf Pergament zeigen die porträtierten Frauen in halbnaher Ansicht, meist in vollständig ornamental dekorierten Interieurs. Die Gesichter und Körper in Grisaille, lediglich die Lippen sind rot. Bisweilen treibt sie ihre Detailversessenheit ins Extrem: Dann explodiert die Flächigkeit der Kompositionen in einem schwindelerregenden psychedelischen Rausch aus Farben und Mustern von Tapeten, Kleidern und Teppichen.

Wie einem Film Noir entsprungen

In einigen wenigen Arbeiten herrscht dafür fast minimalistische Reduktion: Die Schauspielerin Faranak Mirghahari steht lässig vor einer Wand aus rot-weiß gezackten Lineaturen, ihr Kleid rot-schwarz kariert, in ihrer Hand ein Revolver – als wäre sie einem iranischen Film Noir entsprungen.

Die Bilder sind allesamt nach Fotografien gemalt. Nur dort, wo es schwierig war Abbildungen zu recherchieren, weil das Material von den Machthabern vernichtet wurde, hat die Künstlerin sich geringfügige Freiheiten erlaubt. Das ändert nichts an dem Gefühl der Authentizität, das die Bilder vermitteln. Im Gegenteil: Es sind Ikonen einer Vision von Modernität, die einem westlichen Ideal nahestehen, und gleichzeitig entfaltet sich ein Glutkern an Intimität, der eben mehr ist als die Nachschöpfung eines Starbildes im Medium der Malerei.

In diesem "Tempel der Verehrung", so die in Iran geborene Sokhanvari, wird trotz allem nichts idealisiert. Diese starken Frauen haben das kulturelle Leben ihres Landes geprägt, und viele von ihnen haben einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Vor der Revolution wie auch danach. An diese Rebellinnen zu erinnern ist das enorme Verdienst dieser Ausstellung, die, wie viele meinen, nun zur rechten Zeit gekommen ist. In Wahrheit war sie jedoch längst überfällig.