Wer 2019 auf der Biennale in Venedig war, erinnert sich wahrscheinlich an das bunte Kunsthaar-Paradies im isländischen Pavillon in einem pittoresk verfallenen Lagerhaus auf der Insel Giudecca. Aber auch wer nicht da war, hat mutmaßlich zumindest Social-Media-Bilder von der fotogen-flauschigen Installation gesehen, die die Besucherinnen und Besucher ausgiebig bekuscheln durften. Das Kunstwerk "Chromo Sapiens" der gebürtigen Isländerin Hrafnhildur Arnardóttir alias Shoplifter ist ein synthetischer Farbrausch, der wie ein begehbares Kinderbuch oder ein dreidimensionales Landschaftsgemälde wirken soll. Die in New York lebende Künstlerin nennt ihre Arbeit "Colour Therapy".
Nun will Arnardóttir einen dauerhaften Ort für das Kunstwerk aus Kunsthaar schaffen. In einer ehemaligen Militärbaracke nahe der isländischen Hauptstadt Reykjavik soll das Kulturzentrum Höfuðstöðin als Heimat für "Chromo Sapiens" entstehen. Außerdem ist in dem Gebäude ein Café und Veranstaltungsraum geplant, den man auch mieten kann. Alles soll aus recycelten lokalen Materialien gefertigt und möglichst nachhaltig sein. Eine Terrasse überblickt das Elliðaárdalur-Tal mit Wanderwegen und dem pittoresken Elliðaárdalur-Fluss. Die Künstlerin hofft auf eine Symbiose von Naturerfahrung und der hyperkünstlichen Flauschkunst in der Ausstellung. "Ich locke euch auf diesen Hügel, um ein multisensorisches Erlebnis zu genießen", sagt Shoplifter.
Das Projekt, das ausschließlich von Frauen geleitet wird, will Shoplifter selbst finanzieren. Es wäre das erste Ausstellungshaus in Island, das einer Künstlerin gewidmet ist. Nun haben Hrafnhildur Arnardóttir und ihr Team eine Kickstarter-Kampagne gestartet, mit der noch zehn Tage lang Geld für Höfuðstöðin gesammelt wird. Als Ziel ist ein Betrag von 84.593 Euro für Renovierungsarbeiten, Materialien und Installation des Kunstwerks angegeben. Rund 60 Prozent davon (Stand Donnerstagmorgen) sind bereits zusammengekommen. Wer den neuen Kunstort im Norden unterstützen will, bekommt je nach Betrag Belohnungen wie Pre-Booking-Tickets, Shoplifter-Flip-Flops und anderes Merchandise oder sogar eine haarige Edition oder eine private Party in der "Chromo Sapiens"-Installation.
Den Gegensatz zwischen Natur und synthetischen Materialien reizt Shoplifter auch mit ihrer aktuellen Ausstellung "Boðflenna” auf der isländischen Insel Hrútey aus. Dort fügt sich das farbige Kunsthaar in die Landschaft ein und erinnert an elfenhafte Fabelwesen genauso wie an destruktive menschliche Hinterlassenschaften in Ökosystemen. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. August.