Pussy Riot im Louisiana Museum

Sie schreiben die Geschichte selbst

Im dänischen Louisiana Museum erzählt das russische Kollektiv Pussy Riot in Texten, privaten Fotos und Videos von seinem Kampf gegen Autoritäten. Das ist überfordernd – und genau richtig so

Sie sind bekannt für ihren Mut, knallige Sturmhauben und illegale Protestaktionen. Wer sie kennt, der weiß auch, wie ihr berühmter Slogan lautet: "Everyone can be a pussy riot". Pussy-Riot, das feministische und regierungskritische Kollektiv aus Russland, spielt Punk-Konzerte auf Busdächern, stürmt Fußballspiele und sprayt Graffiti. Ihre politischen Aktionen an öffentlichen Orten finden unangemeldet statt, diese Illegalität sehen sie als Notwenigkeit, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Nun zeigen sie mit "Velvet Terrorism - Pussy Riot's Russia" ihre erste Ausstellung im Louisiana-Museum in der Nähe von Kopenhagen, kuratiert vom Pussy-Riot-Mitglied Marija Wladimirowna Aljochina in Zusammenarbeit mit Tine Colstrup. 

Auf dem Weg zu den Ausstellungsräumen sticht ein Schild ins Auge: "Die Ausstellung kann auf Kinder verstörend wirken". Und schon das erste Exponat lässt vermuten, warum das Museum diese Warnung ausspricht. Zu sehen ist ein lebensgroßes Video der Aktivistin Taso Pletner, sie trägt eine rote Sturmhaube und ein bodenlanges blaues Kleid. Sie steht auf einem Tisch, daran gelehnt ist ein Porträt von Wladimir Putin. Taso Pletner trinkt aus einer Wasserflasche, hebt ihr Kleid bis zum Bauchnabel und pinkelt auf das Bild von Putin, während sie in die Kamera schaut. Sofort ist klar, worum es hier geht und wofür Pussy Riot steht. 

Chronologisch zeigt sie Ausstellung das Wirken der Gruppe von ihrer Gründung 2011 bis heute. Die Wände sind in Neonfarben gestrichen und erinnern an die knallige Kleidung, die die Aktivistinnen während ihrer Aktionen tragen. Auf zahlreichen Monitoren laufen Videos ihrer performativen Proteste, russischen Punk-Gesänge und Parolen sind englisch untertitelt, die Sounds der parallel abgespielten Videos überlappen sich. 

Zwischen Tagebuch und Jugendzimmer 

Schätzungen zufolge hat Pussy Riot zehn Mitglieder. Im Jahr ihrer Gründung 2011 begannen die feministischen Aktivistinnen gegen die repressive Politik Putins zu protestieren, laut wurden sie vor allem, als dieser 2012 zum dritten Mal für die Präsidentschaftswahl kandidierte. In mit Edding an den Museumswänden geschriebenen Texten erklärt Marija Wladimirowna Aljochina Beweggründe für einzelne Performances und die Konsequenzen für die Mitglieder. 2011 lautet die Bilanz noch: "nothing serious happened". 

Das ändert sich, als einige Pussy-Riot-Aktivistinnen nach ihrem "Punk Gebet", bei dem sie in einer Kathedrale in Moskau lautstark gegen die Allianz von Kirche und Staat aufbegehrten, festgenommen wurden. Neben dem Bildschirm, auf dem die nur 41 Sekunden lange Performance gezeigt wird, hängen Fotos der Verhaftungen und des Gerichtsprozesses, infolgedessen drei der Aktivistinnen zu jeweils zwei Jahren Haft verurteilt wurden.

Marija Wladimirowna Aljochina zeigt aber nicht nur das, was öffentlich bekannt und jederzeit auf YouTube abrufbar ist, sondern erzählt auch von dem, was danach folgte, aber niemand mehr gesehen hat, zum Beispiel die menschenunwürdigen Bedingungen, denen sie in Haft ausgesetzt war. 

Läuft man durch die Ausstellung, fühlt es sich an, als würde man sich zwischen einem Raum gewordenen Tagebuch und einem Jugendzimmer mit bunten Collagen an den Wänden bewegen. Mit leuchtendem Tape kleben neben den Texten kreuz und quer Fotos von Pussy Riot an den Wänden. Dazwischen, am Eingang und über den Türrahmen sind großformatige Bilder von Sicherheitspersonal angebracht, die Kameras in den Händen halten und die wirken, als würden sie die Besucherinnen und Besucher grimmig beobachten. Ebensolche Beamte sind aber auch in den Videos immer wieder zu sehen: wie sie die Aktivistinnen mustern, die Proteste unterbrechen, auf sie einschlagen, bis sie am Boden liegen.  

"Putin wird euch beibringen, das Vaterland zu lieben"

Besonders bedrückend sind die Aufnahmen einer Performance während der Winterspiele in Sotschi, bei denen sie ein Lied mit dem Text "Putin wird euch beibringen, das Vaterland zu lieben" singen. Eine Gruppe Kosaken greift die Aktivistinnen gewaltsam an und schlägt mit Peitschen auf sie ein. Neben dem Monitor, der das Video zeigt, kleben Bilder der Verletzungen, blaue Augen und Schwellungen. Da die Kosaken im Auftrag der russischen Regierung gehandelt haben sollen, hat der Europäische Gerichtshof Russland wegen unmenschlicher Behandlung und Verletzung der Meinungsfreiheit zu Geldstrafen verurteilt. Dass die betroffenen Pussy-Riot-Mitglieder das Geld erhalten, ist unwahrscheinlich. 

Je näher der Gegenwart man sich durch die Ausstellung schlängelt, desto näher kommt man den Aktivistinnen. Auch wenn die Frauen bei ihren Auftritten eigentlich Sturmhauben tragen, sind insbesondere von der Kuratorin Marija Wladimirowna Aljochina immer mehr Fotos zu sehen, auf denen sie klar erkenntlich ist. In Gerichtsräumen posieren sie und ihre Mitstreiterinnen, sie zeigen sich selbstbewusst, lächeln in die Kamera, während ihnen Handschellen angelegt werden, tun so gar nicht, was von ihnen erwartet wird. Pussy Riot schreiben ihre Geschichte selbst. Die genaue Dokumentation und Inszenierung sind eine Notwendigkeit für ihren Protest. 

Mit der Zeit häufen sich die Attacken auf Pussy Riot, 2021 befinden sich Marija Wladimirowna Aljochina und Lucy Stein in Hausarrest, auf Fotos sieht man sie in einer Küche sitzen, mit Fußfesseln an den Knöcheln. Direkt daneben ein Foto, auf dem sie sich küssen. So privat diese Eindrücke erscheinen, so politisch sind sie doch gerade in Russland, wo jegliche positive Äußerung über Homosexualität in den Medien unter Strafe gestellt wird. Und trotzdem hat man zuweilen das Gefühl, einer Liebesgeschichte zu folgen, dokumentiert in Fotos und Texten, wie man sie in einem Gruppenchat vermuten würde – und dennoch begleitet von Protest und Verfolgung.

Der Krieg ist nicht weit weg

Im Winter 2021 verlassen die meisten Mitglieder von Pussy Riot Russland, weil es für sie zu gefährlich im Land ist. Dieser Zeit-Linie folgend treten die Besucher aus den bunten Räumen in ein leeres Zimmer mit schwarz gestrichenen Wänden. Aus Lautsprechern dröhnt die russische Nationalhymne. So wie in russischen Gefängnissen morgens um sechs Uhr. Die zahlreichen Inhaftierungen gehören zwangsläufig zum Konzept von Pussy Riot. Erst durch die extremen Folgen, die sie auf sich nehmen, gelang es ihnen, das Interesse der Weltbevölkerung auf sich zu ziehen. Die Aktivistinnen kämpfen für alle, die es nicht können, erklären sie. "Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht jeden Tag für sie kämpft", heißt es an einer Stelle. 

Der letzte Raum widmet sich der Arbeit der Gruppe seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Pussy Riot wird wegen vermeintlicher Nazi-Propaganda angeklagt. Es ist derselbe Grund, mit dem das russische Regime den Angriffskrieg gegen die Ukraine legitimiert wollte. Die meisten Aktivistinnen von Pussy Riot sind bereits aus Russland geflohen, zweien von ihnen gelingt es 2022, in der Uniform eines Lieferdienstes, die als Exponat zu sehen ist, unbemerkt aus dem Land auszureisen

Überall in Europa sprüht die Gruppe nun seit Kriegsbeginn Graffiti, die wie Straßenschilder anmuten. Sie zeigen, wie weit es bis zur Front in der Ukraine ist, ausgehend von Wien, Bratislava, Bern, Leipzig und vielen anderen Städten. "Kontext: Der Krieg ist nicht so weit weg", steht an einer Wand. Die Konsequenzen: Eine Verhaftung in der Schweiz. An der gegenüberliegenden Wand sind Bilder des Krieges zu sehen. Die Ausstellung endet, aber der Protest von Pussy Riot nicht.

Laut sein

Die Ausstellung ist anstrengend, so laut, bunt und eng sind die Räume konzipiert. Die Bilder verstören, aber nicht, weil man einer Aktivistin dabei zusieht, wie Urin an ihren Beinen herabtropft, sondern weil die extremen Repressionen des Regimes unter Putin schmerzlich deutlich werden. Sie kommen einem nah, treten aus der Abstraktion heraus. Auf einmal hat man das Gefühl, eine Beziehung zu den Menschen zu entwickeln, die täglich unter der Politik Putins leiden.

Unterstützt wird das vor allem durch den Look des Selbstgemachten: Die Fotos, die kreuz und quer verteilt sind, die handgeschriebenen Text und Notizen, die wackeligen Videos. Das alles überfordert – und ist genau richtig so. 

Tritt man aus dem letzten Museumsraum hinaus in den Park des Louisana-Museums, blickt man aufs Meer. Besucher holen sich Kaffee oder packen mitgebrachtes Picknick aus, Kinder lassen sich über eine steile Wiese rollen. Diese Idylle ist schwer auszuhalten nach der Ausstellung.