Sprachkünstler Osmar Osten

"Kunst kommt von küssen!"

Der Sprachkünstler Osmar Osten ist würdiger Erbe der Dadaisten und Träger des diesjährigen Hans Platschek Preises. Eine Begegnung

1996 spendete Osmar Osten sein gesamtes Vermögen für die Erforschung des Lebens der "westafrikanischen Spaltmilbe", und seine Frau stiftete den "Joseph Boeys Preis" in Silber für die 25 Künstlerinnen, die weltweit "Joseph Boeys" am besten nachmachen und verkaufen – die falsche Schreibweise ist beabsichtigt. Osmar Osten hat seinen Lebenslauf damals in die Zukunft fortgeschrieben. Bis 2006 reicht die Fiktion, dann sah er sich einen Anschlag auf das "Osten-Museum" in Chemnitz verüben, die Malerei beenden und in Kambodscha weilen.

Osmar Osten malt und lebt noch heute in Chemnitz, auch wenn ihm seine Geburtsstadt noch kein eigenes Museum gewidmet hat. Keine Fiktion ist zudem, dass ihm 2022 der Hans Platschek Preis für Kunst und Schrift verliehen wird. Seit 2008 wird dieser Preis jährlich im Rahmen der Art Karlsruhe in Erinnerung an den Berliner Maler und Schriftsteller vergeben – zu den Ausgezeichneten gehören Monika Grzymala, Jonathan Meese und Monika Baer. Jährlich wechseln die autonom entscheidenden Juroren – diesmal ist Ulrike Lorenz verantwortlich, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar.

Ihr war es ein persönliches Anliegen, für den Preis in die neuen Bundesländer zu schauen, "um Wahrnehmungsgrenzen zu überspringen". Osmar Osten hat sie vor über 20 Jahren, als sie die Kunstsammlung Gera leitete, im Rahmen eines Ausstellungsprojekts zur Malerei in Sachsen und Thüringen entdeckt. Ostens Haltung sei selten in der deutschen Kunst: "Es gelingt ihm, das Leben existenziell ernst zu nehmen und zugleich aus jeder Ideologie, auch der eigenen als Künstler, die Luft ganz gewaltig rauszulassen. Das erzeugt schlagartig Entspannung."

Prägnante, irritierend-skurrile Sprechbilder

Auch wenn sich Osmar Osten nach 1989 scherzhaft nach der Himmelsrichtung benannt hat, die bis heute für viele für die ehemalige DDR steht – ein Freund dieses Staates war er nie. Um Abitur machen zu können, hätte er sich drei Jahre für die Armee verpflichten müssen, erzählt er beim Interview, stattdessen machte er zunächst eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner. Später wurde er beim ersten Versuch aufgrund seiner "außergewöhnlichen Begabung" an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden aufgenommen, dreimal wäre er fast rausgeflogen.

Im damaligen Karl-Marx-Stadt hatte ihn schon zu Schulzeiten die Künstlergruppe Clara Mosch geprägt, später stand er mit Carlfriedrich Claus im Austausch. Schuf dieser Sprachbilder, kann man Ostens Bild-Text-Kombinationen als "Sprechbilder" bezeichnen. Seine Beobachtungen der Welt hat er schon immer in prägnanten, irritierend-skurrilen Aussagen verarbeitet: "Kunst kommt von küssen!", "Fische sagen immer die Wahrheit", "Ich war zur Documenta – es hat nur geregnet" oder "Geld ist meine Lieblingsfarbe" steht auf Leinwänden und Grafiken.

Mit Geld arbeitet er überhaupt gern, so klebt er zum Beispiel Münzen auf Druckgrafiken. Bei einer Ausstellungseröffnung ließ er einen Plastikbeutel mit 20 Euro in Centstücken fallen – beim kollektiven Einsammeln blieben ihm die "furchtbaren" Ausstellungsgespräche erspart. Inspiriert von Werbeplakaten einer Bank eröffnete er im Rahmen einer Ausstellung in Chemnitz eine Bankfiliale, die "Hypovereinsbank". Zu Beginn der Pandemie bastelte er mit Draht ein Eurostück an die Atemschutzmaske: "Sie glauben nicht, wie komisch die Leute mit einem reden, wenn einem ein Eurostück an der Nase hängt!" Eine Vorhersage der Maskenaffäre? Oder schlicht eine Möglichkeit, humorvoll mit der Pandemie umzugehen, deren Einschränkungen ihm schwer zu schaffen gemacht haben?

Ruhm und Geld sind ihm nicht wichtig

In den 1990er-Jahren vermittelte ihn der Kurator Johannes Gachnang an die Galleria Salvatore und Caroline Ala in Mailand, die vor ihrer Schließung auch Marisa und Mario Merz vertrat. Fünf Einzelausstellungen hatte er bei den Italienern, die ihm auch seine in Aluminium gegossenen Nussknacker aus dem Erzgebirge abkauften. Dass er aus dem Osten kommt, hat da niemanden interessiert. Ruhm und Geld sind ihm nicht wichtig, Konkurrenz ist ihm fremd. Manche Bilder signierte er mit "Mitzi Mazurka (malender Pinsel)". Am liebsten wäre er anonym oder würde einen Schauspieler damit beauftragen, ihn darzustellen. Fehler in Katalogen lässt er bei der Neuauflage unkorrigiert stehen ("Ich finde Fehler überhaupt gut, in dieser angeblich fehlerfreien Welt.").

Projektanträge schreibt er nicht. Beim Gespräch sprudeln die Geschichten nur so aus ihm heraus, aber über seine Kunst spricht er dabei nicht so gern, das soll die Kunstwissenschaft übernehmen ("Wenn jemand länger als fünf Minuten ohne Punkt und Komma in die Kamera redet, ist das garantiert ein West-Künstler. Bei uns war Schweigen dran."). Mit Begriffen wie Konzeptkunst oder Performance kann er in Hinblick auf seine Arbeiten nicht viel anfangen. Osmar Osten will sich nicht festlegen, nicht einschränken: "Wenn ich morgen Lust habe, zehn Radierungen zu machen oder zehn Porzellanteller zu bemalen, dann mache ich das."

Osmar Osten schöpft aus seinem Erleben. Ging er viel am Meer spazieren, zeugen graue Nebellandschaften in Öl davon. Eine Zeit lang malte er Schneemänner, so viele, dass er den Spitznamen "Mr. Snowman" bekam. Ihn reizt das Vergängliche an dieser Figur. Osten ist viel unterwegs, sitzt in Cafés in Dresden, Leipzig, Berlin und nutzt lange Autofahrten zur Reflexion. In seinem Sakko steckt immer ein kleines Notizbuch. "Wien hat auch schöne Gewerbegebiete", hat er gerade notiert. Und das Unternehmerpaar Herrn und Frau Stückpreis erschaffen, das fragt: "Was gibt es eigentlich gegen die Reichen und Hässlichen zu sagen?"

Keine Angst vor Missverständnissen

Angst vor Missverständnissen dürfe man nicht haben, wenn man so arbeite wie er. Selbstzensur kennt er nicht. Als "Spottkunst" bezeichnet er sein Tun – doch angesichts der auch politischen Dimension seiner Arbeiten greift dies ein wenig zu kurz. "Wer die Vergangenheit liebt, muss sich über die Gegenwart nicht wundern!", ist da zu lesen, oder "Die Kunst, gemeinsam über alte und neue Nazis zu lachen!". Zuletzt gründete er die "Erste Deutsche Demokratige Schwanztanzgesellschaft" – ein Scherz? Eine Provokation?

Ulrike Lorenz schätzt an ihm, wie er Nachdenklichkeit mit einem schrägen Humor verbindet, auch in Hinblick auf einen gelasseneren Umgang mit der gesellschaftlichen Umbrucherfahrung nach 1990. "Osmar Osten hat eine ganz eigene Haltung zum Spannungsfeld Ost/West. Er betrachtet es aus sarkastischer Distanz und zugleich mit humaner Nachsicht, die das Thema rezipierbar macht", meint Lorenz. Ihr ist wichtig, dass der Westen mehr wahrnimmt, dass in den neuen Bundesländern "nicht nur gefordert oder geheult" wird, sondern "auch gewitzte bis heitere Bewältigungsstrategien am Werk" sind.

Der Preis wird nun hoffentlich dazu beitragen, dass die in ihren Augen doch sehr festgefahrene internationale Kunstszene auf diese leise, doch unbeirrt widerständige Position von Osmar Osten aufmerksam wird.