Präzedenzfall oder Gerechtigkeit?

Streit um Franz Marcs "Füchse"

Franz Marc "Füchse"
Foto: Marcel Kusch/dpa

Franz Marc "Füchse"

Ein Spitzenkunstwerk von Franz Marc steht im Zentrum eines Raubkunststreits. Der Rat der Stadt Düsseldorf soll am Donnerstag entscheiden, ob es zurückgegeben wird. Ein heikler Fall - die Entscheidung könnte bundesweit neue Maßstäbe in Restitutionsfragen setzen

Kurt Grawi hatte fast alles verloren, aber die "Füchse" konnte er vor dem Raub der Nazis retten. Das kubistische Gemälde des Expressionisten Franz Marc hatte der Bankier und Unternehmer 1928 gekauft. Ein ausgewiesener Kunstsammler war Grawi wohl nicht, aber dieses 1913 entstandene Bild muss er geliebt haben. Er wollte es nie verkaufen - doch es kam anders.

1938 wurde Grawi nach den Novemberpogromen mehrere Wochen im KZ Sachsenhausen inhaftiert, 1939 verließ er Deutschland, um zur Familie seiner Frau nach Chile zu emigrieren. Bei seiner Ausreise durfte er nur zehn Reichsmark mit sich führen. Die "Füchse" konnte Grawi aus Deutschland herausschmuggeln, verkaufte das Bild aber 1940 in New York, denn er war mittellos. 1962 kam das signalrote Gemälde als Schenkung in den Bestand des Kunstmuseums Düsseldorf. Heute wird es auf mindestens 14 Millionen Euro geschätzt und gehört zu den Spitzenwerken des Kunstpalasts.

Vor sechs Jahren erreichte den Kunstpalast eine erste Anfrage der Nachkommen Grawis. Ein jahrelanger Rückgabestreit war die Folge, der am Donnerstag auf seinen Höhepunkt zusteuert. Dann soll der Rat in der heiklen Frage entscheiden, die Folgen für die gesamte Restitutionspraxis in Deutschland haben könnte.

Grundlage für die Auswanderung

Auch die von den Streitparteien angerufene Beratende Kommission für Raubkunstfälle hatte keine klare Einigkeit bei den "Füchsen" erzielt. Mit einer Zweidrittelmehrheit von sechs zu drei Stimmen empfahl die Kommission die Rückgabe der "Füchse" - rechtlich bindend sind die Empfehlungen nicht.

Die Kernfrage ist, ob Grawi das wertvolle Ölgemälde unter freien Marktbedingungen verkaufen konnte oder es unter dem Druck der Verfolgung durch die Nazis veräußern musste. Nach Auffassung der Beratenden Kommission ist der Verkauf des Gemäldes als NS-verfolgungsbedingter Entzug anzusehen, "obwohl der Verkauf außerhalb des NS-Machtbereiches seinen Abschluss gefunden hat" und ein angemessener Preis gezahlt worden sei.

Denn der Verkauf 1940 in New York sei die unmittelbare Folge der KZ-Inhaftierung und der Flucht gewesen. Grawi hätte das Bild nicht verkauft, wenn er nicht von den Nazis verfolgt worden wäre. Er habe betont, für ihn und seine Familie bedeute das Ergebnis des Verkaufs "die Grundlage für unsere Auswanderung". Ein Kaufpreis für die "Füchse" sei nach wie vor nicht belegt, argumentieren die Anwälte der Erbengemeinschaft. Der Druck auch auf Grawi sei immens gewesen.

Akt später Gerechtigkeit

Die Erbengemeinschaft sieht in der Rückgabe auch einen Akt später Gerechtigkeit. Nur noch eine betagte Schwiegertochter Grawis, die über 90 Jahre alt ist, lebt in Hamburg. Eine zweite Erbin war im Zuge des langjährigen Streits in Chile gestorben.

Die Stadt Düsseldorf sieht dagegen keinen Anhaltspunkt dafür, dass Grawi nicht den Marktpreis erzielt hätte. Außerdem habe er durchaus Einfluss auf die Preisgestaltung gehabt, wie aus Korrespondenzen hervorgehe. Das Gemälde habe sich seit Mai 1939 außerhalb des NS-Machtbereichs befunden. Die Familie sei zum Zeitpunkt des Verkaufs 1940 in Südamerika gewesen. Grawis Ehefrau habe nach dem Krieg zwar die Rückerstattung der erlittenen Verluste gefordert, nicht aber das Werk von Franz Marc angeführt.

Die Düsseldorfer Provenienzstelle hat auf drei Kontinenten in mehr als 35 Archiven den Weg der "Füchse" akribisch recherchiert. Erst durch die Forschung kam heraus, dass das Bild in den USA verkauft worden war.

Gerechte und faire Lösungen

Nach den auch von Deutschland unterschriebenen Washingtoner Prinzipien sollen für NS-verfolgungsbedingt entzogenes
Kulturgut "gerechte und faire" Lösungen gefunden werden. Eine Handreichung dazu unterscheidet zwischen Kunstwerken, die im Herrschaftsbereichs der Nazis entzogen wurden und solchen, die nach der Flucht ins sichere Ausland dort verkauft wurden. Demnach muss es sich um ein von den Nazis beschlagnahmtes oder unter Zwang verkauftes Kunstwerk handeln, für das kein angemessener Preis erzielt werden konnte.

Provenienzforscher befürchten nun durch die jüngste Empfehlung der Kommission im Fall Grawi eine Verschiebung dieser bisherigen Restitutions-Maßstäbe. Die "Füchse" könnten zum Präzedenzfall werden, so dass künftig auch im Ausland und nicht nur im Herrschaftsbereich der Nazis unter Zwang verkaufte Kulturgüter restitutionsfähig würden.

Noch 2014 hatte die Kommission in einem ähnlichen Fall, bei dem ein Gemälde von Lovis Corinth in den USA verkauft worden war, keine Restitution empfohlen. Das Spektrum der Fälle, in denen die Herausgabe die Regel werden solle, sei inzwischen "kontinuierlich ausgedehnt worden", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Auf die Museen könne eine "Welle neuer Restitutionsanträge" zukommen. Der Historiker Julien Reitzenstein sah in der Zeitung "Die Welt" die "Gefahr im Raume, dass die Akzeptanz der Kommissionsentscheidungen sich dem Vorwurf der Willkür aussetzen" könne.

Moralische Komponente

Der Rat der Stadt Düsseldorf ist in der Zwickmühle, denn es geht auch um moralisch-ethische Fragen. "Natürlich gibt es eine moralische Komponente", hatte Kulturdezernent Hans-Georg Lohe im WDR gesagt. "Die haben wir nie bestritten." Am Donnerstagabend stehen die Füchse als letzter Punkt auf der Tagesordnung. Schon mehrfach hatte die NRW-Landeshauptstadt Raubkunst restituiert. Lehnen die Ratsmitglieder die Rückgabe der "Füchse" ab, dürfte ihnen internationale Kritik sicher sein.

Der Jüdische Weltkongress warnte die Stadt bereits. Deutschland habe sich zu den Washingtoner Prinzipien bekannt. Dazu gehöre auch, die Empfehlungen der Beratenden Kommission zu akzeptieren. Falls Düsseldorf einseitig entscheide, dem nicht zu folgen, "würde dies ein gleichermaßen schwerwiegendes und negatives Signal zu einer Zeit senden, in der sich Juden in Deutschland über eine Zunahme des Antisemitismus sorgen". 

Auch Bund und Länder werden wohl auf die Düsseldorfer Entscheidung schauen: Anfang Mai soll die Arbeit der Beratenden Kommission von der Kultusministerkonferenz unter die Lupe genommen werden.