Trajal Harrells "The Romeo" in Zürich

Voguing durch die Evolution

Trajal Harrell ist ein Vernetzer. Mit dem Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble zeigt der US-Choreograf Outfits am Laufmeter und schafft Verbindungen von der Antike bis zur Avantgarde

"Romeo"? Der Titel führt eher nach Rom als zu Shakespeare. Wobei es im Stück um den Tanz gehen soll, der sich nach allen Tragödien ereignet, um den Tanz der Tänze. Seit jeher finden sich Menschen zusammen, bewegen sich zu Rhythmen, um Unaussprechliches auszudrücken. Denn, Zitat von Plato im Programmheft: "Tanz ist die Kunst, die die Seele des Menschen am meisten bewegt." 

Zu Beginn steht das Schauspielhaus Dance Ensemble auf der Bühne. Man redet miteinander, winkt ins Publikum. Dann stellen sich die zwölf Mitglieder kurz vor: "Perle Palombe – I’m French, Nobody is perfect", "Christopher Matthews – I’ve been to Disney World 65 Times", "Songhay Toldon – ich mache es gern oral". Thibault Lac, Architekt und Tänzer, offenbart sein Schielen. Und Choreograf Trajal Harrell dankt fürs Kommen und informiert, dass ein kleiner Kostümwechsel bevorsteht. So verschwinden alle durchs Portal den geometrischen Ziergittern entlang hinter den riesigen Samtvorhang.

Kurz darauf kehren die bunten Alltagsmenschen als groteske Butoh-Darsteller zurück. Der "Tanz der Finsternis", der nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan entstanden ist, macht die Runde. Bis Trajal Harrell die Starre bricht: Er zeichnet mit den Armen Bewegungen in den Raum, die magisch wirken. Während sich der Choreograf auf einen Pianostuhl setzt und Pianomusik erklingt, nimmt eine gut einstündige Show ihren Lauf. Die zwölf Performenden bewegen sich im Vogue-Tanzstil. Wie in den 1970er-Jahren, als sich die damalige LGBTQ-Community in New Yorker Nachtclubs traf, um sich mit schrillsten Modekreationen herauszufordern. Voguing leitet sich vom Modemagazin "Vogue" ab.

Das Leben ist eine Feier

Harrell, der aus Douglas im US-Bundesstaat Georgia kommt, treibt das Ganze auf eigene Art auf die Spitze. Die Models stöckeln ohne Schuhe herum, verschwinden immer wieder hinter den silbergrauen Samtvorhang, um mit neuen Outfits zurückzukehren. Anleihen an die Antike werden sichtbar, gleichzeitig an die Romantik und die Avantgarde: Togas und Tuniken sind auszumachen, dekonstruierte Rüschen in allen Variationen, ein dreidimensionales Herz in Neongrün über einem schwarzen Hoody. Manchmal zeigt sich das heterogene Ensemble auf einer Linie, bewegt nur minimal die Arme – wie lebendig werdende griechische Vasenbilder.

Die Musik zu "Romeo" könnte noch etwas vielfältiger sein. Beim Stück "Monkey off My Back or the Cat’s Meow", das kürzlich im Schiffbau wiederaufgeführt wurde, gibt’s ebenfalls Piano, doch wähnt man sich zuweilen in einem Dance-Club. Trajal Harrell’s neue Kreation ist subtiler, auf die kleinere Pfauenbühne abgestimmt, aber auf andere Weise energetisierend. Einige der rund hundert Outfitvariationen könnten aus unseren Kleiderschränken stammen. Die Teile müssten einfach anders getragen werden: zwei Hemden zusammenknöpfen, das Tutu zum Top hochziehen, dafür das T-Shirt zum Jupe runterziehen. Wichtig ist, alles mit Humor zu kombinieren. Beim Quasi-Striptease von Thibault Lac tauchen unter Socken gelbe Pompons an Minisocken auf, die er dann trägt, als wären es die neuesten Louboutins. Mit jeder Bewegung zeichnet sich seine Muskelpracht ab.

Das Leben ist eine Feier, oder sollte zumindest zwischendurch zu einer solchen gemacht werden.