Nachruf auf Margarita Polovinko

Ukrainische Künstlerin stirbt mit 31 Jahren an der Front

Die ukrainische Künstlerin Margarita Polovinko schuf eigenwillige Bilder, die das Leben in der tristen postsowjetischen Peripherie und später den Krieg zum Thema hatten. Jetzt ist sie mit 31 Jahren als Soldatin beim Fronteinsatz gestorben

Mit Blut malte die ukrainische Künstlerin Margarita Polovinko ihre aufrichtigen Bilder des Schmerzes, die während der russischen Invasion entstanden. Der Schmerz kommt aus dem Innersten und dringt dorthin vor. Am 5. April fiel Polovinko als Soldatin an der Front, mit nur 31 Jahren. Ihr Tod wurde am Dienstag bekannt. "Margarita starb, während sie die Ukraine verteidigte", schrieb die Schwester der Künstlerin auf Instagram. 

Margarita Polovinko kam am 24. März 1994 in der Industriestadt Krywyj Rih zur Welt und erhielt ihre Ausbildung im Fach Malerei zunächst am Kunst- und Theatercollege in Dnipro und später an der Nationalen Akademie der Bildenden Künste und Architektur in Kyjiw. Ihre frühen Werke widmeten sich der Tristesse des Lebens in der Peripherie. "Meine Mutter arbeitete ihr ganzes Leben lang im Werk Kryworischstal", erzählte sie der Journalistin Lisa Korneichuk im Januar 2023 bei einem Interview für das ukrainische Online-Medium "Suspilne Kultura". Sie interessiere sich für die postindustrielle Stadt, die postindustrielle Natur und den Platz des Menschen in einer solchen Umgebung – dort, wo sich die Straßen vom Erzstaub bei Regen rot färben. 

Der russische Überfall bedeutete einen tiefen Einschnitt für Polovinkos Schaffen. Ihr Instagram-Kanal zeigt in den ersten Monaten mit Kugelschreiber und Bleistift angefertigte Szenen aus dem Krieg. Den leblosen Körper eines Mannes etwa, dessen Gedärme zu sehen sind, und um den herum sich niedliche Hunde versammelt haben. Oder eine schreiende Katze ohne Schwanz und mit menschlichen Gliedmaßen – über ihr steht das Wort "schmerzhaft". Ab Herbst des ersten Kriegsjahres zeigen die Kacheln Polovinkos eigenes Blut. Sie füllte es in einen Kugelschreiber und malte damit erschütternde Szenen – Menschen und Tiere, Natur und Fabelwesen, die vom Krieg heimgesucht werden.

Fliegen über die Hässlichkeit der Welt

Ihr erstes Werk nach Kriegsbeginn habe auf den Nachrichten über den Tod von Kindern im von russischen Truppen zeitweise besetzten Kyjiwer Vorort Irpin basiert, sagte sie im Interview. "Ich zeichnete ein Mädchen, das wie ein Engel über die Häuser fliegt." Es fliege über die Hässlichkeit der Welt. 

Zunächst habe sie angenommen, die Russen seien Monster. Doch etwa einen Monat später begriff sie, dass es leider keine Monster gibt. Es seien einfach nur Menschen, und es sei eben ihre Wahl, so zu handeln. "Also begann ich, den Krieg gegen den Tod zu malen, mit verstümmelten Körpern … Ich malte weiterhin Engel, die so laut schreien, dass man ihren Schrei nicht hören kann, aber man spürt ihn mit dem Körper. Die Engel sind Kinder." In dieser abnormalen Welt sei es schwierig geworden, sich mit normalen Dingen zu beschäftigen und Freude an ihnen zu empfinden, so Polovinko.

Die Kunst wurde zu ihrem Rettungsweg, denn der Krieg löste Panikattacken bei ihr aus, mit selbstverletzendem Verhalten. "Fast alle meine Arbeiten sind eine Reaktion auf Nachrichten. Wenn ich eine Nachricht nicht ertragen kann, male ich sie. … Meine Psychiaterin sagte, dass ein solches Zeichnen in meinem Fall therapeutisch wirkt. Ich möchte nicht, dass die Leute denken, das sei irgendwie schmerzhaft und traurig. Ich schreie mit diesen Zeichnungen nicht um Hilfe. Das ist einfach Material, das zum Thema und den Gefühlen passt, die der Krieg in mir hervorruft."

Eine Künstlerin mit Waffe

Polovinkos Blutzeichnungen erschienen 2024 auch in der dritten Ausgabe der Zeitschrift "Solomiya", die sich ukrainischer Gegenwartskunst widmet. Dazu kommentierte sie: "Faszinierend ist, wie das Blut ständig seine Farbe ändert. Anfangs ist es lebhaft, ähnlich wie die Erfahrung eines Traumas, das zunächst sehr schmerzhaft ist, sodass man sich nicht sicher ist, was man tun soll. Dann verdunkelt es sich stetig und geht von einem leuchtenden Rot in einen ruhigeren bräunlichen oder sogar leicht grünlichen Ton über. Das gleiche scheint mit unserem Schmerz allgemein zu passieren."

Polovinko engagierte sich seit dem ersten Kriegsjahr als Freiwillige. Sie sammelte Spenden und half beim Wiederaufbau vom Krieg zerstörter Häuser in den Regionen Cherson und Mykolajiw. Später ließ sie sich zur Sanitäterin ausbilden und evakuierte Verwundete aus umkämpften Frontabschnitten. Schließlich griff sie Ende 2024 selbst zur Waffe, blieb dabei aber Künstlerin. Für August war eine Einzelausstellung mit ihren Werken im Kyjiwer Kunstraum Thesteinstudio geplant gewesen, die nach Angaben der Kuratorin Ivanna Kozachenko weiterhin stattfinden soll.

Margarita Polovinko wurde am heutigen Freitag in ihrer Geburtsstadt beerdigt. Sie starb durch den russischen Angriff auf ihr Land. Die russische Armee raubte ihr Leben, aber ihre expressiven, empathischen Bilder werden bleiben. So wie auch ihre Gedanken über Kunst in "Suspilne Kultura": "Kunst existiert meist dort, wo es ohne schwerfällt. Mit dem Krieg hat die Kunst in meinem Leben zugenommen, doch gleichzeitig erkannte ich, dass ich mit dieser Kunst nichts anfangen kann. Ich kann sie weder verkaufen noch hergeben, denn das ist Blut, das ist Schmerz, das ist Leid. Das ist ein Material, für das es keinen Platz gibt, ich will nicht, dass es existiert. Es ist jetzt wertvoll, weil es wie ein Spiegel der Realität funktioniert, aber ich wünsche mir, dass der Moment eintritt, in dem es aufhört, diese Welt zu reflektieren."