Debatte

Warum wir unabhängige Kunstkritik brauchen

Foto: Monopol
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Die Galerie-Magazine von Gagosian und der König Galerie

Während herkömmliche Kunstzeitschriften in der allgemeinen Krise des Journalismus weiter unter Druck geraten, stellen sich Galerien, Museen und Auktionshäuser vermehrt in opulenten Eigenpublikationen dar. Es ist Zeit, daran zu erinnern, dass nicht nur eine Demokratie, sondern auch der Kunstbetrieb Gewaltenteilung braucht

Der amerikanische Kunsthändler, Warhol-Spezialist und Autor Richard Polsky hat kürzlich in einem Debattenbeitrag auf der amerikanischen Kunstplattform "Artnet News" ein interessantes Geständnis gemacht: Er lese gern Promo-Texte. "Die relevantesten Kunstpublikationen sind heute keine unabhängigen Magazine, sondern die Kataloge der großen Auktionshäuser und - bitte nicht lachen - das Magazin 'Gagosian Quarterly'", schreibt Polsky. Die Kataloge von Christie's oder Sotheby's seien voll von interessanten Informationen über wichtige Künstler. Und wenn "Gagosian Quarterly" in der Post sei, das die mächtige Gagosian Gallery herausgibt, um ihre Künstler zu promoten, dann gieße er sich ein Glas Wein ein, lege eine Jazzplatte auf und mache sich einen richtig schönen Nachmittag mit der finanziell wohl bestausgestatteten Kunstpublikation der Welt.

Nein, Mr Polsky, keine Angst: Wir lachen nicht. Denn das, was Sie beschreiben, steht für eine Krise des Kunstsystems, die eigentlich niemand witzig finden sollte - noch nicht einmal Larry Gagosian, der sie mit verursacht.

Von dem Bedeutungsverlust der Kunstkritik ist seit mindestens einer Dekade die Rede, und nicht alles, was da beklagt wird, ist auch wirklich ein Problem. Wie auch andere kulturelle Bereiche von der Popmusik bis zum Fernsehen tut sich auch die Kunst mittlerweile schwer damit, Themen und Künstler zu finden, die eine große Mehrheit interessieren. Die Kommerzcharts der teuersten Künstler von Koons bis Basquiat sind mit einem Blick zu identifizieren, aber jenseits dessen gibt es zahlreiche kleine Szenen, die regional und thematisch extrem ausdifferenziert sind.

Dass der Kanon bröckelt, macht die internationale Kunst vielfältiger und interessanter, aber übergreifende Debatten finden seltener statt - und so ist das, was beispielsweise im amerikanischen "Artforum" steht, längst nicht mehr automatisch für die Mehrheit der Kuratoren und Künstler relevant. Das ist ein Problem für die ehemals hegemonialen Medien, öffnet aber Räume für andere Plattformen und Publikationen.

Auch der Siegeszug von Blogs und insbesondere von Instagram ist für die Kunst nicht so tragisch, wie manche Kulturpessimisten einen glauben machen möchten. Natürlich ersetzt ein Foto in den sozialen Medien keine ernsthafte kritische Auseinandersetzung mit einer Ausstellung, und es wäre schrecklich, wenn der Erfolg von Kunstwerken nur noch von der Anzahl der Likes und Herzchen abhinge, die ihre Abbilder auf einem sozialen Netzwerk generieren. Aber die wenigen Menschen, die sich früher intensiv mit Kunst auseinandergesetzt haben, tun das wohl auch heute noch über den Konsum von Instagram hinaus - und die vielen anderen bekommen wenigstens viel mehr davon mit als früher. Und dass plakative, bildträchtige Kunst sich manchmal ökonomisch durchsetzt, war schon früher der Fall  - siehe wiederum Jeff Koons.

Schleichende Verschiebung der Ressourcen

Es ist also nicht unbedingt die Digitalisierung, die das Ökosystem der Kunst gerade empfindlich zu stören beginnt, und auch nicht die Zersplitterung des Diskurses. Es ist vielmehr die schleichende Verschiebung der Ressourcen in Richtung der mächtigen Marktakteure. Früher wurde der kunstkritische Diskurs vor allem in unabhängigen Publikationen geführt wurde - natürlich sind diese Publikationen anzeigenfinanziert, also ist ihr Spielraum nicht unendlich, aber er existiert. Heute glauben die kommerziellen Player, alles selbst machen zu können: Sie vertreten die Künstler, kuratieren die Ausstellungen, verkaufen die Werke und sorgen auch noch selbst für die kunsthistorische Einordnung und Besprechung, während gleichzeitig die klassischen Magazine wie mit Anzeigeneinbußen zu kämpfen haben.

Das Berliner Auktionshaus Grisebach lässt seine Auktionslose von renommierten Autoren mit literarischen Kränzen umwinden, Deutschlands ehrgeizigster Junggalerist Johann König verpflichtet seine Künstler für sein selbst herausgegebenen Magazin mit dem bescheidenen Namen "KÖNIG"-Magazin zu Fashion-Shootings. Auch die Schirn Kunsthalle macht den Journalismus über ihre Ausstellungen gleich selbst und präsentiert sich in ihrem Online-Magazin "Schirn Mag". Die Art Basel startete gerade eine groß angelegte Internet-Offensive, um ihre Galerien und Akteure mit Texten und Filmen auf ihrer Website besser zu repräsentieren, und veröffentlichte in ihrem Jahrbuch einen brutal guten Essay von Teju Cole. Und wo Gagosian in seinem Marketingmagazin noch etwas plump herumprotzt, geht eine Galerie wie Hauser & Wirth mit bewundernswerter Sorgfalt und Seriosität vor, von den perfekt vorbereiteten und wissenschaftlich abgesicherten Ausstellungskatalogen bis zum Einkauf des renommierten "New York Times"-Kunstkritikers Randy Kennedy im vergangenen Jahr.

Kunstkritik als Korrektiv des Marktes

Das alles ist natürlich schön für die Leser und Rezipienten, die sich daran erfreuen, und für die Künstler, die all die Aufmerksamkeit bekommen. Aber trotzdem ist es Zeit, nicht nur Richard Polsky, sondern auch viele andere daran zu erinnern, dass nicht nur eine Demokratie, sondern auch ein Kunstsystem Gewaltenteilung braucht.

Liebe Künstlerinnen und Künstler, ich weiß, ihr kontrolliert gern jede Zeile, die über euch geschrieben wird. Aber jetzt mal ehrlich: Was ist denn ein Artikel über euch wirklich wert, der von eurer Galerie bezahlt wurde? Und liebe Galeristinnen und Galeristen, ist ein ganzes Magazin, das nur über eure Künstler berichtet, nicht so etwas wie die Verwirklichung eines trotzigen Kindertraumes, wie ein Fußballspiel, bei dem die Gegner keinen Torwart haben dürfen? Und liebe Sammlerinnen und Sammler, euch ist schon klar, dass die Macher der schönen Auktionskataloge und Galerienmagazine sich weniger um eure kunsthistorische Bildung sorgen als um die Umschichtung eurer Geldanlagen in ihre Richtung? Seit wann informiert man sich, wenn man etwas kaufen will, ausschließlich bei den Verkäufern der betreffenden Ware und konsultiert keine unabhängigen Quellen mehr?

Es geht bei alldem nicht darum, die existierenden Kunstmagazine zu idealisieren - auch nicht das, auf dessen Portal dieser Text erscheint. Dafür, dass das Ökosystem Kunst funktioniert, kommt es nicht darauf an, auf welchem Medium unabhängige Kunstkritik stattfindet - entscheidend ist, dass sie stattfindet. Die Kunst braucht eine unabhängige Kunstkritik als Korrektiv des Marktes, als Vermittler zwischen Insidern und Publikum, als Plattform, die die großen Player mit den kleinen zusammenbringt und die Mechanismen des Marktes transparent macht.

Die großen Kunstzeitschriften wie "Artforum" oder auch "Frieze" haben immer davon gelebt, dass sie von potenten Galerien mit Anzeigen unterstützt wurden, und man darf davon ausgehen, dass sie ihnen im Gegenzug auch Platz auf ihren Seiten eingeräumt haben. Aber jenseits dessen blieb auch Raum für andere Themen, für kleine Galerien, für die Entdeckungen jenseits des Kommerziellen. Das hat mit dafür gesorgt, dass das Spiel weitergeht, dass neue Künstler und Künstlerinnen entdeckt werden, dass Arbeiten diskutiert und in Frage gestellt werden.

Es gibt zurzeit eine Debatte darüber, wie die großen Galerien die kleineren mit ihrer Marktmacht kannibalisieren. Der Angriff auf die unabhängige Kunstpublizistik gehört zu dieser Diskussion dazu. So wie alle Akteure im Kunstbetrieb dafür sorgen sollten, dass der Nachwuchs leben kann und die Szene lebendig bleibt, müssten alle auch ein Interesse haben, dass es eine unabhängige Kunstkritik gibt. Denn wenn die Kunstpublizistik nur noch aus Auktionskatalogsprosa und "Gagosian Quarterly" besteht, wird die Kunst so langweilig und berechenbar wie die nächsten Jahresverkaufscharts von Sotheby's und Christie's.