Die Ideen-Kolumne

Ungelegte Eier (18)

Monopol-Kolumnist Friedrich von Borries unterhält sich beim Abendessen mit dem Architekten Srdjan Jovanovic Weiss und dem Dichter Asmus Trautsch über das Anthropozän in der Kultur

Da ich gerade von einem langen Wochenende aus Wien zurückgekehrt bin, habe ich Lust, für meine Gäste vegetarisches Wiener Schnitzel zuzubereiten, nicht aus Seitan oder Tofu, sondern aus Knollensellerie. Also irgendwie die Haltung: Schnitzel ja, aber bitte nicht in böse. Das Motiv des "guten" Schnitzels passt zu den ungelegten Eiern meiner Gäste, die sich beide mit dem Anthropozän auseinandersetzen. Den New Yorker Architekten Srdjan Jovanovic Weiss habe ich seit über zehn Jahren nicht gesehen, nun ist er Artist-in-Residence am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK); den Dichter, Philosophen und Komponisten Asmus Trautsch habe ich erst diesen Sommer kennengelernt, als er am Literaturhaus Berlin das "Festival der Kooperationen" kuratierte.

Weiss hat zwei Eier dabei, mindestens, aber das ist bei den Architekt:innen, die ich zu Gast habe, eigentlich immer so, eine Art Berufskrankheit. Für sein aktuelles ungelegtes Ei wurde er ans PIK eingeladen: die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Versuchen, durch Architektur die Klimabedingungen zu steuern. Sprich: ein historischer Rückblick und ein spekulativer Ausblick auf Klimaanlagen, den er während seiner Zeit am PIK erstellen will.

Sein anderes ungelegtes Ei ist das absurd-provokative Projekt "Hilltopia". Hintergrund: In Philadelphia gibt es 50 Prozent Leerstand, Tendenz steigend. Die Stadt schrumpft, während es im angrenzenden Staat New Jersey – begünstigt durch steuerliche Anreize – einen suburbanen Häuserboom gibt. Und der bringt einen Überschuss an Erde mit sich, die irgendwo abgeladen werden muss, nachdem die Baugruben ausgehoben wurden. Srdjans Jovanovic Weiss' Vorschlag: Die Erde soll nach Philadelphia gespendet werden, wo sie über die leerstehenden Häuser geschüttet wird, sodass eine für Mensch und Natur reizvolle neue Hügel- oder Berglandschaft entsteht.

Gefahr des Nihilismus

Wir reden über die Bedeutung von Erde, Müll und Robert Smithons‘ beerdigte Holzhäuser. Asmus Trautsch stellt sich vor, dass Hilltopia eine Art zukünftiges Pompeji sein könnten, und schnell sind wir bei der architektonischen Debatte, aus welchem Grund Architekt:innen manchmal Projekte machen, bei denen sie wissen, dass sie nie realisiert werden können, und dann Gebäude verantworten, bei denen sie wissen, dass sie besser nie realisiert werden sollten.

Hilltopia führte uns aber auch zu der grundlegenden Frage, welche künstlerisch-gestalterischen Arbeitsformen den Herausforderungen des Anthropozäns gerecht werden können. Denn zum einen wissen wir, dass das tradierte, disziplinäre Denken und Handeln – Architekt:innen machen Architektur, Wissenschaftler:innen Wissenschaft, Musiker:innen Musik – uns bei vielem nicht weiterhilft. Auf der anderen Seite erfahren wir in unseren verschiedenen Versuchen der Grenzüberschreitungen immer wieder Identitätskonflikte. Die inter-, trans- oder metadisziplinäre Arbeit führt zu einer disziplinären Heimatlosigkeit, die mit dem Gefühl (und manchmal auch schlechten Gewissen) einhergeht, von allem etwas und von nichts alles zu können – das haben Asmus Trautsch und ich als undisziplinierte Wanderer anscheinend gemeinsam.

Ob diesem Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit warf Srdjan Jovanovic Weiss den Brief von Jacques Herzog an David Chipperfield in die Runde. Darin entgegnet Herzog auf Chipperfields Frage, was Architekt:innen gegen Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und andere grundlegende globale Probleme tun könnten, ein kurzes und zynisches "Nichts". Als Erklärung führt er unter anderem die Auftrageber:innen an, von denen man abhängig wäre, so sei Architektur und so sei es auch schon immer gewesen. Ausgehend von Herzogs Sarkasmus – denn natürlich können Architekt:innen mehr tun als "nichts", und sehr viele versuchen das auch – diskutieren wir die Gefahr, die dem Nihilismus innewohnt, der, wie Asmus Trautsch anschaulich macht, letztlich auch die Endzeitphantasmen und finalen Selbstauslöschungssehnsüchte des Nationalsozialismus geprägt hatte­.

Freiheit im Anthropozän

Das "Nichts" führt uns zu einer Debatte über Pessimismus und Optimismus: Während ich gerade desillusioniert bin, sieht Asmus Trautsch Möglichkeitsräume, weil wir gerade eine Zeit erleben, in der sich wirklich etwas zum Positiven verändern könne, so seine sympathische Einstellung. Er versteht das Anthropozän als eine griechische Tragödie, bei der es im Moment der unausweichlichen Katastrophe doch noch zu einem Sinneswandel kommen kann.

Als Hinweis, wie wenig Nihilismus bringt, gab Asmus Trautsch die Geschichte von Philipp Mainländer zum Besten: Dieser hatte sich unmittelbar nach Erscheinen seiner zweibändigen "Philosophie der Erlösung", der Zufolge das absolute Nichts des Todes die Erlösung vom Leben sei, am 1. April 1876 in seiner Wohnung erhängt – angeblich mit Hilfe eines Stapels Belegexemplare.

So wird es Asmus Trautsch hoffentlich nicht ergehen, wenn er sein ungelegtes Ei einst ausgebrütet haben wird. Er arbeitet nämlich gerade an einem Buch, das sich mit der Bedeutung von Freiheit im Anthropozän auseinandersetzt, also der Frage, welche Form von Freiheit man dem heute dominanten liberalen Freiheitsmodell spätmoderner Konsumgesellschaften entgegensetzen könnte. Das sei etwas hegelianisch, sagt er, aber da ich mich mit Hegel nicht richtig auskenne, weiß ich noch nicht genau was er damit meint.

Was ich mir unter "Freiheit im Anthropozän" vorstelle? Unser heutiges Freiheitsbild, das in der möglichst großen Auswahl an Konsumgütern seinen geistlosen Höhepunkt gefunden hat, macht niemanden glücklich – und weist auch keinen Weg aus der Klimakatastrophe und all den anderen, mit dem Anthropozän verbundenen Formen von Weltzerstörung. Dazu eine sinnvollere Alternative zu formulieren, wäre wirklich hilfreich.