Die Madrider Kunsthändlerin Helga de Alvear erhält am Donnerstag den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Ein Gespräch über ihre rheinland-pfälzische Heimat, ihre Anfänge in der spanischen Kunstszene, über Larry Gagosian, Wassily Kandinsky – und ihre eigene Sammlung
"In Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste," so heißt es in der Verleihungsurkunde, erhalten Sie das "Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland". Waren Sie überrascht?
Ich habe mich schon gewundert. Gut, weil ich viele deutsche Künstler im Programm habe? A.R. Penck und Imi Knoebel waren früh dabei, dann arbeitete ich mit Jürgen Klauke zusammen, später mit dem Becher-Schüler Thomas Ruff oder mit Thomas Demand. Und die Herausgabe und Übersetzung von wichtiger internationaler Kunstliteratur war sehr bald schon fester Bestandteil meiner Galeriearbeit.
Von den rund zwölf Frauen aus der Kunstwelt, die vor Ihnen das Verdienstkreuz am Bande erhielten, sind Sie diejenige, die am internationalsten und in einem größeren Rahmen gearbeitet hat. Sie waren im Übrigen die Mitbegründerin der Kunstmesse Arco.
Ja, ich half, wo ich nur konnte, von Anfang an der Arco in Madrid und tue es heute noch. Wenn ich bedenke, wie wir oft gestrampelt haben gegen die Messegesellschaft IFEMA, die uns lange Jahre dirigieren wollte! So nach dem Motto: "Die Galeristen sollen ihre Klappe halten!" Und nachdem ich in den stärksten Jahren der Art Cologne dabei gewesen war und sie für uns zu groß wurde, gehörte ich zu den Mitbegründern vom Art Forum Berlin.
Sie wurden 1936 in eine Fabrikantendynastie aus Kirn in der Nähe von Frankfurt geboren, haben zunächst Sprachen studiert. Wie kamen Sie überhaupt zur Kunst?
Dazu muss ich etwas über die Ähnlichkeit zwischen Kahnweiler und mir erzählen. Der Kunsthistoriker und Galerist Daniel-Henry Kahnweiler wurde in Rockenhausen geboren, das etwa dreißig Kilometer von meinem Elternhaus entfernt liegt. Er wollte Dirigent, ich wollte Pianistin werden. Seine Eltern haben ihn nach Paris geschickt, wo irgendein Verwandter Banker war. Dann wurde er dort Bankangestellter und eröffnete seine Galerie. Ich durfte kein Klavier spielen und lernte Sprachen, was mich dann nach Madrid brachte. Dort heiratete ich meinen Mann, den Architekten Jaime de Alvear, und durch seinen besten Freund lernten wir die Kunsthänflerin Juana Mordó kennen.
In der für Spaniens Moderne sehr einflussreichen Galerie Juana Mordó lernten Sie das Galeristenhandwerk. Dann sanierten Sie die Galerie in Madrid, als es bei ihr kriselte, und übernahmen sie schließlich nach dem Tod Mordós im Jahr 1984. Ihre Galerie ist heute eine der bedeutendsten in Spanien.
Mit Juanas Künstlern - der informellen Gruppe "El Paso" etwa - ging ich 1986 das erste Mal auf die Messe Art Cologne, wo ich gut verkaufte. Als ich mit diesen Künstlern zur Art Basel wollte, riet mir mein Frankfurter Galeristenfreund Herbert Meyer-Ellinger: "Helga, in jedem Haushalt muss man ab und zu Staub wischen. Das musst du in deiner Galerie auch tun." Also wischte und putzte ich, trennte ich mich von Juanas Künstlern und arbeitete zunächst mit den Fotografen Joan Fontcuberta und Javier Vallhonrat. Als ich aber mit Fotografie nach Basel wollte, war es wieder verkehrt. Da hieß es: "Jetzt kommt sie mit Fotografie und ist am falschen Platz!" Die Galerie Juana Mordó war im allgemeinen Segment, die Fotosektion in so einem Ghetto. Ich war eine der ersten, die mit Fotografie in den allgemeinen Bereich ging. Heute ist ganz Basel voll von allem. Die Anfänge waren aber für mich vor allem in Spanien schwierig. Damals gab es viele, die sammelten und Geld hatten, doch deren kulturelles Niveau ein Jahrhundert zurück war.
Aber während Sie in den 80er-Jahren in der Galerie Mordó aufräumten, mischte die Movida madrileña, eine interdisziplinär angelegte Kulturbewegung, die konservative Kunstwelt Spaniens auf. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Mit der Movida hatte ich am Anfang nichts zu tun, weil ich zu sehr mit der Galerie beschäftigt war. Mich interessierte sie aber später so sehr, dass ich viele Arbeiten für meine Sammlung kaufte. Die guten Künstler der 80er-Jahre waren leider alle nicht Künstler der Galerie Juana Mordó - wie Juan Muñoz oder Pepe Espaliu. Und bei all der Aufbruchstimmung war die spanische Szene nicht wirklich international. Kaum jemand sprach Englisch, was ja leider heute noch der Falls sein dürfte. Das Verständnis internationaler Literatur ist natürlich ohne Fremdsprachenkenntnisse unmöglich. Es fehlte damals an ordentlichen Büchern über Kunst. Viele Spanier begriffen auch nicht, dass der Beruf des Galeristen nicht allein ein Geschäft ist, sondern ein "way of life". Wer die Leidenschaft nicht hat, sollte besser einen Gemüseladen aufmachen.
War Juana Mordó Ihr Vorbild?
Ich verdanke Juana sehr viel, denn ich kam anfänglich überhaupt nicht mit der spa-nischen Kultur zurecht, dabei hatte ich reichlich Auslandserfahrung allein in Frank-reich oder in der Schweiz. Meine Vorbilder waren eher Ileana Sonnabend, Annely Juda und Denise René. Supergaleristinnen, die sich hundertprozentig für die Galerie und die Kunst einsetzten. Heute macht doch an jeder Ecke jemand eine Galerie auf und denkt: "Da holst Du Dir ein paar Bilder, Fotos, Skulpturen und stellst sie aus!" Messen sind inzwischen nur noch Supermärkte, woran teilweise die Galeristen selber schuld sind. Weiß irgendjemand, wie der Herr Gagosian aussieht?
Ihr Standort in Madrid scheint nach wie vor sehr günstig. Spannende Galerien, wie etwa Nogueras Blanchard aus Barcelona, eröffnen Dependancen in der Stadt. Spielt für die spanische Kunstwelt die Musik in Madrid?
Die Musik spielt in Madrid, aber trotzdem läuft da gar nix im Moment, was natürlich mit der Regierung zu tun hat. Es wird nichts gekauft. Das liegt an der von 18 auf 21 Prozent überhöhten Mehrwertsteuer, aber auch an der Korruption. Alle sitzen im totalen Loch. Natürlich gibt es noch Sammler hier, aber sie kaufen nicht. Und wie schon gesagt: Überall in Spanien herrscht Korruption.
Als weiterer Grund für das Verdienstkreuz wird Ihr Engagement als Mäzenatin und als Sammlerin und Stifterin Ihrer Sammlung genannt. Was hat Ihre Sammelleidenschaft entfacht?
Angefangen hat es damit, dass ich nach Juanas Tod in einer Schublade ihres Büros eine in Seidenpapier eingepackte Schwarz-Weiß-Zeichnung von Wassily Kandinsky entdeckte. Sie war der Grundstein für meine Kollektion.
Verfolgen Sie eine bestimmte Strategie beim Sammeln?
Es gibt kein Thema oder Prinzip, nach dem ich sammle. Privatsammlungen sind ohnehin und verständlicher Weise freier als institutionelle Sammlungen. Ich kaufe Kunst, die mich interessiert, aber immer Arbeiten und nicht die Namen der Künstler. Vor allem muss ich mich in ein Kunstwerk verlieben, bevor es Teil meiner Sammlung werden kann. Und bevor ich die Werke eines Künstlers ausstelle, kaufe ich erst einige seiner Arbeiten, um zu sehen, ob sie weiterhin interessant bleiben, wenn ich mit ihnen zusammen lebe.
Und dennoch haben Sie vor vier Jahren in dem Städtchen Cáceres ein Ausstellungszentrum von 3500 Quadratmetern für ihre Sammlung eröffnet.
Die Sammlung war im Laufe der Zeit mit rund 3000 Werken einfach zu groß geworden. Auf Messen kaufe ich ja grundsätzlich deutlich mehr als ich verkaufe! Und so schaute ich mich überall nach einem Gebäude für die Sammlung um, sogar in Deutschland. Ich hätte sogar die Fabrik meines Vaters haben können. In San Sebastián diskutierte ich zwei Jahre lang mit dem Bürgermeister, dann in Vigo oder auch in Granada. Nur in Cáceres waren die Konditionen günstig für meine Stiftung und das Projekt des Ausstellungshauses. Und nun ist eine passende "Hülle" für meine Sammlung entstanden. Mein größter Wunsch ist, dass mit der Kunst gearbeitet wird, dass vor allem möglichst viele Menschen die Sammlung genießen – und dass ich die Vollendung des Centros in drei Jahren erleben darf. Ich bin immerhin 78.