Villa Caffetto in Brescia

Ein Haus wie eine Skulptur

Die Villa Caffetto im norditalienischen Brescia ist ein faszinierender Hybrid aus klassischer Moderne und Brutalismus. Nun soll das architektonische Kleinod ein Ort für die Öffentlichkeit werden

Jede Nische der Villa Caffetto steht für sich. Keine einheitliche Fassade, sondern geometrische Formen und starke Linien aus Beton, Glas und Metall bestimmen das Gebäude. Es schwankt zwischen Skulptur und Wohnhaus, und auch in seinen Innenräumen sind Leben und Kunst vereint. 

Fausto Bontempi, Schüler des Architekten Carlo Scarpa, entwarf die Villa für seinen Freund, den Künstler und Sammler Claudio Caffetto und dessen Familie. Sie steht seit 1972 in Calcinato, Brescia. Dabei verband Bontempi Tendenzen des späten Modernismus mit brutalistischen Elementen. Auch der Einfluss seines Meisters ist unübersehbar. Das Haus besteht aus mehreren Ebenen und schräg verlaufenden Räumen, die durch Korridore, Treppen und Rampen miteinander verbunden sind. Spitz zulaufende Winkel ragen in den Himmel, die Garage ergibt sich aus einem roten Marmorbecken samt konkav gewölbten Dach.

Zylinderförmige Treppenhäuser, Sitzecken und Duschkabinen, offene Decken und von überall einfallendes Licht bestimmen das Innenleben der Villa. Metilde, Claudio Caffettos Tochter, erinnert sich an den Umzug von einem kleinen Haus in der Stadt, ohne Garten und Balkon: "Für mich als Mädchen, das die Häuser gegenüber beneidete, die ein paar Quadratmeter Grünfläche hatten, war das Umziehen hierher sehr eindrucksvoll, wegen der Größe, nicht nur des Gartens draußen. Sondern auch, weil es ein Haus ist, in dem man lebt und die Natur hineinkommt, durch die Glaswände, durch die Glasdächer, durch das Licht. Das ist eine schöne Dimension. Auch schön war die Atmosphäre mit all den Ecken, wo man immer wieder Momente für sich finden kann, etwa am Brunnen, zwischen den runden Formen."

 Fern von Gartenlaube und Gemüsebeet

Die Fensterfronten sind durch schwarze Holzgitter in Quadrate und Rechtecke geteilt. Zwischen ihnen sitzen gelbe Holztürchen, die das Ganze zu einem Mondrian-ähnlichen Entwurf werden lassen. "Die hauseigene Klimaanlage" nennt der neue künstlerische Direktor der Villa, Stefano Soso, die Konstruktion, als er die farbige Würfeltür öffnet und ein Windstoß ins Innere strömt. In den heißen italienischen Sommern unverzichtbar. 

In dem großen, grünen Garten thront die Villa Caffetto wie von einem Raumschiff abgesetzt und dann mit der Natur verwachsen. Das Efeu schlingt sich um die runden Säulen. Sie gleicht so gar nicht den umstehenden Häusern der kleinen Gemeinde, weit entfernt von Gartenlaube und Gemüsebeet. Und doch eint sie die Bewohner Calcinatos, Künstler und neugierige Besucher. 

Vor zwei Jahren starb Claudio Caffetto. Das wundersame, eindrucksvolle Haus stand leer. Und das war der Villa vorher noch nie passiert. Neben dem Wohnsitz der Familie aus Vater, Mutter und den zwei Töchtern Metilde und Giovanna, war sie auch Atelier und Studio. Ein Haus-Museum, in dem Arbeitsraum und Wohnzimmer, Küche und Ausstellungsfläche nur durch gläserne Wände und winzige Brücken voneinander getrennt waren. 

Ein Werk, das andere Werke enthält

Schnell wurde die Villa zum Treffpunkt für die lokalen Künstler. Gino Cosentino, Alberto Meli, Berocal, Rinaldo Pigola, Franco Grignani, Dada Maino, Delima Medeiros und Hsiao Chi stellten hier aus. Ein Diskussionsforum entstand, und durch die vielen Begegnungen entwickelte Caffetto neue kulturelle Aktivitäten. Er beschränkte sich nun nicht mehr auf Bildhauerei und Malerei, sondern gründete die Edizioni dArte Caffetto, die sich der Herstellung von Kunstwerken in verschiedenen Metallen – Bronze, Aluminium, Kupfer und Zinn – widmete. "Dieses Haus war wie eine große Skulptur, geschaffen, um viele andere aufzunehmen. Es ist selbst ein Kunstwerk, das andere Werke enthält", erklärt Metilde Caffetto. 

An jeder Wand, die zur Verfügung steht, hängt eine Caffetto-Malerei. Als Teenager gar nicht so leicht, sich mit dem musealen Gebäude zu verstehen. "Man sieht ja, dass es kaum Wände gibt, um Bilder aufzuhängen. Ein Mädchen, das etwa auf ein Konzert geht, ein Poster hat und es aufhängen will – wohin damit?" So beschreibt Metilde die Querelen ihrer Jugend. Nein, Plakate einer Boyband kann man sich wirklich nicht in der Künstler-Villa vorstellen. Und auf jeder freien Fläche steht eine Bronzeskulptur; auf jedem Tisch, Mäuerchen, Sockel. 

600 Quadratmeter, aber nur zwei Schlafzimmer und drei Badezimmer besitzt das Haus – der Rest gehört der Kunst. Noch ist alles im originalen Zustand, bald jedoch sollen einige Restaurierungsarbeiten beginnen. Die Caffetto-Schwestern haben große Pläne, wie sie das Erbe ihres Vaters für die Gemeinschaft weiterentwickeln wollen. Sie sind in der Villa aufgewachsen, ihre Kinder ebenso. Doch die Hingabe zur Kunst überwog immer den reinen Wohnaspekt.

Ein Ort für kulturellen Austausch

Die Villa Caffetto wurde vor wenigen Monaten in einen Ort für Künstleraufenthalte, Forschung und kreativen Austausch umgewandelt. Sie ist offiziell von der Region Lombardei als Kulturdenkmal anerkannt worden, und die Kulturvereinigung Villa Caffetto ETS, die im Oktober 2024 gegründet wurde, widmet sich nun der Bewahrung ihres Erbes und der Überwachung der Restaurierung. 

Unter der Leitung von Stefano Soso organisiert der Verein bereits ein breites Spektrum kultureller Termine: darunter Gartenkonzerte, Kinderworkshops, Ausstellungen, Keramikkurse sowie Vorträge über Kunst und Architektur. Und es sollen noch viel mehr werde. Die Villa und das, was sie bietet und repräsentiert, gehört genutzt und bespielt. Um die Instandhaltung und das künstlerische Programm zu finanzieren, werden jetzt 35 der hauseigenen Kunstwerke – Caffettos und die seiner Kollegen – in einer Auktion auf der Plattform Catawiki versteigert.

Die Avantgarde-Arbeit "Cromorilievo" des mailändischen Künstlers Dadamaino gehört dabei zu den Highlights, genau wie die Skulptur "Dalarium" von Miguel Berrocal. Eine der eindrücklichen Büffel-Skuplturen von Caffetto selbst steht zur Auswahl, ebenso sein Gemälde "Angelo custode".

Ein neues Kapitel

Es ist das erste Mal, dass die Villa ihr Archiv und über Jahre angelegte Sammlung der Öffentlichkeit präsentiert. Jeder hat nun theoretisch die Möglichkeit, sich einen Teil des Künstlerhauses ins eigene Wohnzimmer zu holen. Wie fühlt es sich an, die Kunst seiner Kindheit, Objekte, die einen das ganze Leben auf die ein oder andere Weise begleitet haben, abzugeben? Und die Türen des Familiensitzes für die ganze Welt, wenn sie denn nach Brescia kommen mag, zu öffnen? 

"Viele der Werke, die wir verkaufen, sind Mehrfachausgaben. Wir trennen uns also nicht ganz von den Dingen, die uns am Herzen liegen. Ein Teil bleibt bei uns, der andere ermöglicht uns, kulturelle Veranstaltungen, Ausstellungen und Events zu organisieren – vor allem, um das Werk meines Vaters zu würdigen, der bislang kaum bekannt war und nun vielleicht ein wenig mehr Sichtbarkeit erhält", erzähl Metilde Caffetto. Sie ist bereit für ein neues Kapitel Kunst- und Familiengeschichte.