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Vollgespritzt mit Vitamin B12

Vor einem Hintergrund von blechernen Musikfetzen und klimpernden elektronischen Geräten gibt sich eine bizarr geschminkte und kostümierte Bande junger Leute einer Orgie hin. Die Windschutzscheibe eines Minibusses wird zertrümmert, ein Blumentopf demoliert, man schneidet verächtliche Grimassen und spuckt meist unverständliche Worte aus, bis jemand plötzlich höchst unerwartet sagt: „Wir müssen den Tisch decken.“

Der Betrachter von Ryan Trecartins Serie „Any Ever“, sieben thematisch, aber nicht chronologisch miteinander verbundene Filme, fühlt sich, als wäre er in eine Party gestolpert, deren Gäste in einem unverständlichen Code kommunizieren, getrieben von sehr fremden Ideen. Tatsächlich schuf der 31-jährige Texaner dieses hermetische Opus, das bis September im New Yorker PS1 zu sehen sein wird, mit seiner langjährigen platonischen Komplizin Lizzie Fitch in einem Haus in Miami. Mithilfe von rund 15 Mitbewohnern verwandelten es die beiden innerhalb von 18 Monaten in eine immer chaotischere Kulisse für eine neue Generation von Superstars, das Draußen geriet dabei ganz in Vergessenheit. Im Unterschied zu Andy Warhols Gang spritzen sich Trecartins Narzissten, die in die Performancekultur des Internets hineingeboren wurden, aber Vitamin B12 statt Heroin.

Man hat seine Arbeiten auch mit den Szenarien des Videokünstlers Jack Smith verglichen, doch herrscht bei Trecartin statt elegischer Grandezza ein frenetisches Tempo, das die ultrafragmentierte Bilderwelt der Gegenwart reflektiert. Die geschlechtliche Mehrdeutigkeit seiner Charaktere entspricht Trecartins Ideal individueller Vielfalt, und die Subversivität des Werks basiert nicht mehr auf traditionellen sexuellen Grenzüberschreitungen und Provokationen – sie liegt in der Erfindung einer völlig neuen Sprache.

„Ich habe die Schule im Jahr 2000 absolviert, und die Zukunft war damals unser einziges Thema“, sagt Ryan Trecartin. Mit dem 20. Jahrhundert hat er nichts mehr zu tun.

MoMA PS1, New York, 19. Juni bis 3. September. Die Website Ubu.com hat eine eigene Sektion zu Trecartin, wo man viele seiner Filme sehen kann. Oder - weniger gut sortiert - bei Youtube: