Berlin

10 Highlights des Gallery Weekend

47 Berliner Galerien zeigen ihre besten Ausstellungen des Jahres. Hier sind unsere zehn Highlights

AA Bronson bei Esther Schipper und in den KunstWerken Berlin
Die kanadische Künstlergruppe General Idea gründete sich vor 50 Jahren. Felix Partz und Jorge Zontal starben 1994, AA Bronson macht weiter Kunst. Die Überblicksausstellung bei  Esther Schipper zeigt Arbeiten aus fast allen Jahren. Das Verhüllen und Zeigen ist das große Thema, das Abbild von nackten Männerkörpern, Spiegel, Jalousien sind genauso Material wie Humor und eine gute Widerständigkeit. Die große Einzelausstellung des in Berlin lebenden AA Bronson findet in den KunstWerken statt, der historische Zeitstrahl anhand von Arbeiten aus allen Schaffensphasen in der Galerie Esther Schipper. sh

Ausstellungsansicht "Catch me if you can! AA Bronson + General Idea, 1968–2018" bei Esther Schipper, Berlin


Los Carpinteros bei KOW
Das 1992 in Havanna gegründete Künstlerkollektiv Los Carpinteros bleibt trotz seines internationalen Erfolgs seinem Thema treu: den gesellschaftlichen Umwälzungen in ihrer Heimat Kuba. Die Ausstellung bei KOW, die erste Galerieschau des Kollektivs in Deutschland überhaupt, beschäftigt sich mit dem Scheitern der sozialistischen Utopie. In einem Film bezichtigt sich ein Gefangener so eloquent wie verlogen selbst der Konterrevolution, in einem anderen altert ein Paar beim Geschlechtsakt, ein dritter sucht die gesellschaftlichen Unterschiede in kubanischen Wohnungen – und ein Gemälde zeigt Malewitschs "Schwarzes Quadrat", aus Bohnen gelegt. Das Fressen bestimmt die Moral. eb

Los Carpinteros, Still aus "Retráctil", 2018


Konrad Fischers neue Räume in der Neuen Grünstraße
Die traditionsreiche Galerie Konrad Fischer hat sich eine neue Location geschnappt: ein altes Umspannwerk in der in Berlin-Mitte. Vor der Renovierung werden die so großartigen wie heruntergekommenen Räume warmgespielt, was leicht fällt, wenn man solche Künstler im Programm hat: Ober-Minimalist Carl Andre hat selbst eine große Installation für das Erdgeschoss ausgesucht, im Obergeschoss reagiert Manfred Pernice auf den Ort, und die Fassade bespielt Lawrence Weiner. eb

Installationsansicht mit Arbeiten von Manfred Pernice


Leda Bourgogne bei BQ
Während viele Galerien zum Gallery Weekend auf etablierte Größen setzen, wagt sich BQ mit einer jungen Künstlerin nach vorn. Leda Bourgogne, frisch von der Städelschule, bekommt den Raum mit ihren intensiven Installation aus Kleidern und den aus Samt und anderen Stoffen collagierten Bildern mit seltsamen eingenähten Objekten souverän in den Griff – von den beschrifteten Kaugummis im Eingang ganz zu Schweigen. eb

Insallationsansicht Leda Bourgogne "Skinless", BQ, Berlin


Cecilia Edefalk bei Carlier Gebauer
Nervös? Überreizt? Da kann die Ausstellung von Cecilia Edefalk bei Carlier Gebauer helfen. Die wunderbar feinen Gemälde in einem Raum beschäftigen sich ausnahmslos mit einer italienischen Engelsskulptur aus der Frührenaissance, deren Gestalt die schwedische Malerin seit zwanzig Jahren immer wieder umkreist. Im zweiten Raum variieren Skulpturen und Gemälde eine Büste Marc Aurels. Edefalk fühlt Form und Schönheit den Puls, und sie nimmt sich Zeit dafür. eb


Andro Wekua, Senga Nengudi und Kara Walker bei Sprüth Magers
Der große Ausstellungssaal bei Sprüth Magers ist jetzt fensterlos, wurde für Andro Wekua aufwendig verkleidet. In der Mitte des neonhellen, aber doch unheimlichen Raums steht eine lebensgroße Figur aus Neusilber in einem Bassin. Wie aus einer Brunnenfigur läuft Wasser – aus Schlitzen im Körper. Die alienhafte Figur hat der aus Abchasien (Georgien) stammende Künstler aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt. Dieselben Strategien von Assemblage und Collage kamen auch in Wekuas Malereien zum Einsatz: Combine Paintings aus groß abgezogenen Porträts und vielen Schichten oft grellfarbiger Ölmalerei. Ein Stockwerk höher sind Werke der 1943 in Chicago geborenen Senga Nengudi zu sehen: Skulpturen aus langgezogenen, verknoteten oder mit Sand gefüllten Nylonstrümpfen, ein Material, das die Künstlerin mit dem weiblichen Körper assoziiert. Die Arbeiten tauchen auch auf Fotos auf, in denen die Nylon-Strukturen von Performerinnen benutzt werden. Kara Walker, bekannt für ihre Scherenschnitt-Arbeiten, erweiterte ihre Ästhetik 2011 mit dem 17-minütigen Video "Fall Frum Grace, Miss Pipi’s Blue Tale" zum Schattentheater in der Tradition des indonesischen Wayang Kulit. Zu sehen gibt es derben Sex zwischen einer Southern Belle und einem schwarzen Sklaven, der am Ende von weißen Männern gelyncht wird. Walker lässt die Pappfigur des Schwarzen wirklich verbrennen, was die Distanz zwischen Schattenspiel und Betrachter restlos einreißt. Auch die Kameraästhetik evoziert Realismus, wo man ihn nicht erwartet. Aber das Grauen lauert eben überall. jh


Yngve Holen bei Neu
Hier wird Kunst mit der Hand gemacht, mag man in der Galerie Neu denken: Die sechs Wandobjekte des norwegisch-deutschen Bildhauers Yngve Holen sehen wie Sonnenräder aus der Werkstatt eines Herrgottschnitzers aus. Dabei sind sie ganz anders entstanden: Holen hat die Felgen verschiedener PKWs auseinandergenommen, das isolierte Mittelstück in einen 3D-Scanner gepackt, und die Daten auf einen Durchmesser von zwei Metern hochgerechnet. Die scheinbarocken, aber doch nur funktionalen Formen wurden automatisch in kreuzverleimte Sperrholzplatten gefräst. Nix Handwerk. Die Landlust ist groß in einer Zeit, in der die Natur schwindet. Der Ausstellungstitel "Rose Painting" verweist auf diese zeitgenössische Schönfärberei. jh

Installationsansicht Yngve Holen


"About the Body" in der Galerie Kicken
Die Galerie Kicken Berlin präsentiert die vierte Folge ihrer "Mixed Media"-Ausstellungsreihe. Unter dem Titel "About the Body" werden Werke des Wiener Aktionismus mit Collagen von Hannah Höch und László Moholy-Nagy sowie Arbeiten anderer Künstler der klassischen Moderne konfrontiert. Auf erhellende Weise zeichnet die Ausstellung Entwicklungslinien nach, die etwa von Egon Schiele oder Gustav Klimt zu Aktionisten wie Günther Brus und Otto Muehl führen. Fotografische Arbeiten dominieren die Schau, in der man interessante Entdeckungen machen kann. Fesselnd Rudolf Schwarzkoglers als 80-Bilder-Sequenz aus Kontaktabzügen festgehaltene "4. Aktion, Sommer 1965". Seltsam, dass Muehls "Materialaktionen" – auf die mancher Zeitzeuge mit Abscheu reagierte – auf den Schwarzweiß-Prints so ästhetisch wirken. jh

Installationsansicht in der Galerie Kicken


Kelley Walker bei Capitain Petzel
Im Vergleich zum identitären Irrsinn der Gegenwart scheinen die Zeiten fast humanistisch, als man sich noch über Konsumobjekte sein Selbstbild zusammen baute. Legendäre Anzeigen wie die von Richard Avedon Anfang der 80er-Jahre fotografierte Jeans-Kampagne für Calvin Klein ("You wanna know what comes betwenn me and my Calvins? Nothing.") oder Andy Warhol, der 1973 neben einem Pioneer-Plattenspieler posierte, schufen Glamour, Stil, Pop: schönste Illusionen der Zusammengehörigkeit. In den Collagen und Siedrucken des US-Amerikaners Kelley Walker, 1969 geboren und somit zu Pop-Hochzeiten im Teenageralter, tauchen diese Werbe-Ikonen wieder auf – zerstückelt, gealtert, verfremdet. Von der Decke der Galerie Capitain Petzel baumelt dazu der Abguss einer Discokugel aus Schokolade, auf der sich kein Licht zum Sternenhimmel bricht. Die Party ist vorbei. Oder halt: Getanzt wird heute woanders. sf

Kelley Walker bei Capitain Petzel



Jim Thorell bei Gillmeier Rech
Träume sind eine Ur-Quelle der Kunst und deshalb mit einiger Vorsicht zu behandeln. Wenn Jim Thorell seine Ausstellung bei Gillmeier Rech "Illicit Energy" nennt, also illegale, unerlaubte Elektrizität, dann scheint darin auch ein gesunder Skeptizismus gegenüber den eigenen Inspirationsquellen mitzuschwingen. Ein surreales Personal bevölkert seine Leinwände, Skelette und Masken, Mönche und Harlekine, deren mit Acryl- und Ölkreide gezeichneten Konturen sich gerade so vom abstrakt-fleckigen Hintergrund abheben. In dieser feinen Balance öffnen sich die Bilder für Geschichten, die so schnell wie ein Geist wieder verflogen sind. Deutlich bedient sich der 1981 geborene Schwede beim düsteren Symbolismus eines James Ensor, kreuzt sie mit dem naiven Frohsinn Marc Chagalls, den Freaks Daniel Richters, bei dem er in Wien studierte, den Comics seiner Jugend. Die Spruchblase bleibt leer, und der Totenkopf grinst – er weiß natürlich, wie die Geschichte endet. sf

Jim Thorell bei Gillmeier Rech