Jahresrückblick

Herabschauender Hund vor Abstraktion

Foto: dpa
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Yoga-Stunde Anfang 2018 vor dem Kunstwerk "Trevira" von Leni Hoffmann in der Galerie Stadt Sindelfingen

Auch 2018 wurde in Ausstellungen meditiert, massiert und geheilt. Was soll dieser Wellness-Trend?

2018 war ein Jahr, das einen durchaus in einen tiefen Erschöpfungszustand stürzen konnte. Allein das Alert-Bleiben bei allen politischen Empörungsanlässen, Kanye-West-Entgleisungen und anderen Erschütterungen der Weltordnung konnte oftmals nur durch ausgedehnten Mittagsschlaf kompensiert werden. Gut, wenn man sich da von Terence Koh die Füße massieren lassen kann, während unter dem Kopf Kristalle knirschen und in den schwachen Händen eine Tasse zeremoniell zubereiteter Grüntee dampft. Der Trend zur Wellness in der Kunst ließ sich auch in diesem Jahr nicht wegmeditieren. In Ausstellungsräumen wurde "mindful" fermentiert, "meaningful" Ton geformt und seltenes Pu-Erh-Elixier gebraut. Immersion nennt man das auf Kunstdeutsch, wenn das Publikum fühlt, riecht und schmeckt. Yoga im Museum ist inzwischen auch in Sindelfingen angekommen. 

Selbst Terence Koh, einst spektakulär gekleideter Lieblingsprovokateur der Kunstszene, bot bescheiden in seinem "Haus der Sinnsuche" in Berlin angenehmes Streicheln in mönchischem Schweigen an. Realitätsflucht hat Konjunktur, weil man gleich aus zwei Welten flüchten kann. Erstmal aus der schwer erträglichen Unordnung, die man Wirklichkeit nennt. Rein in den digitalen Kosmos, und dann, weil dort eine genauso schwer erträgliche Unordnung herrscht, gleich weiter in die innere Emigration. Terence Koh sieht "The Age of the Mind" heraufziehen, und solange man menschliche Gehirne überhaupt noch gebrauchen kann und sich der Körper mit Ginger Shots besänftigen lässt, wird auch in der Kunst der Achtsamkeitstrend weiter seine Teeblüten treiben. 

Man kann diese westliche Tendenz zur Überhöhung von Tätigkeiten, die vor ein paar Jahrzehnten noch zum Alltag gehörten (Handarbeit, Gärtnern, Teezeremonien, Honigproduktion) auf verschiedene Arten betrachten. Als eskapistische Launen einer übersatten Gesellschaft, die im Konsumterror künstlichen Mangel erschafft und den wiederum durch vermeintlich besseren Konsum und Selbstoptimierung beheben will. Oder man sieht das Ganze als einen Versuch der Heilung, der über den Einzelnen hinausgeht. Selbstfürsorge kann in einem Klima der Bedrohung politisch sein, und wer sich innerlich mit der Welt verbindet, kann auch den dringend nötigen Schutz unseres gebeutelten Planeten als Notwendigkeit empfinden. 

Wenn sich allerdings Kunststars in ihrem Wohlfühlgrößenwahn sonnen, wird es schnell ein wenig unangenehm. In ihren frühen Werken kann man Marina Abramovic nun wirklich keinen Hang zur Wellness-Kunst unterstellen (außer man betrachtet das Essen einer rohen Zwiebel als Detox-Rezept und Liegen auf einem Eiskreuz als reinigende Kryotherapie). Inzwischen gibt die Performance-Majestät jedoch Achtsamkeitsworkshops und kündigt für 2019 "Cleaning The House"-Seminare in Griechenland an, auf denen sich ihre Anhänger für schlanke 1850 Euro fünf Tage lang in Verzicht und mentaler Ausdauer üben können.

"Resetting the body" nennt das die Künstlerin, und wenn der Neustart mit dem Gehirn genausogut klappt, hat man vielleicht sogar vergessen, wie viel Geld man dafür bezahlt hat. Zusammen mit James Turrell, dessen Lichträume zynische Geister schon immer an den Ruhebereich der Therme in Bad Saarow erinnert haben, designt Marina Abramovic übrigens gerade ein Spa. Das Kunstparadies soll in den nächsten fünf Jahren in Tasmanien entstehen und zu einem Luxushotel des Sammlers und MONA-Museumsgründers David Walsh gehören.

Ob man sich dort dann in schummrigem Farblicht auf Glasscherben bettet, wird sich noch zeigen. Aber wenn die Zumutung der Realität noch unzumutbarer wird, lässt sich dort vielleicht sogar 2024 überleben.