Venedig-Biennale 1964

Wie Rauschenberg den Großen Preis gewann

Geahnt hat man es immer schon, es konnte ja auch gar nicht anders gewesen sein: Die US-Amerikaner haben 1964 die Preisvergabe der Biennale von Venedig gekapert und handstreichartig ihren Favoriten durchgesetzt: Robert Rauschenberg

Die Legende will es, dass mit dem Großen Preis der XXXII. Biennale an Künstler Robert Rauschenberg der Siegeszug der US-amerikanischen Pop-Art in Europa beginnt. Nachdem vor mehr als 30 Jahren schon der Tri­umph der New York School des Abstrakten Expressionismus als ferngesteuerte Machenschaft der CIA entlarvt worden war, kann die neuerliche Agentenstory nicht mehr überraschen. Die Kritikerin und Filmemacherin Amei Wallach ist den seit jeher wabernden Gerüchten nachgegangen und konnte im Laufe der Jahre einige der damaligen Akteure befragen. Daraus entstand der Dokumentarfilm "Taking Venice", zu deutsch "Die Einnahme von Venedig", der, der Vorankündigung zufolge, eher ein Spionagethriller ist als eine Kunstgeschichte. Im Mai soll der Film nacheinander in New York und Los Angeles vor Fachpublikum gezeigt werden. Ein Termin für Deutschland steht indes noch nicht fest.

60 Jahre nach dem damaligen Coup ist der richtige Zeitpunkt, um mit den letzten noch verbliebenen Augenzeugen und Zeitgenossen noch einmal so richtig "Weißt du noch" zu seufzen. Denn nachträglich regt niemanden mehr auf, was damals die national gestimmte Öffentlichkeit Italiens und halb Europas in Wallung brachte. Ein US-Amerikaner, der mit Fundstücken buchstäblich aus der Gosse seine "Combine Paintings" genannten Assemblagen bastelte, der Siebdruck, Fotografie und Malerei ohne Rücksicht auf geltende Gattungsgrenzen vermischt, dieser Robert Rauschenberg also wurde mit dem Großen Preis bedacht. Der galt damals wohl noch mehr als heute, denn mit ihm verband sich unmittelbar Status und Preishorizont des betreffenden künstlerischen Werks.

Die Eroberung Venedigs

Erst- und einmalig wurde der US-amerikanische Biennale-Beitrag von der United States Information Agency (USIA) bestimmt, einer Regierungsbehörde zur Beeinflussung der internationalen Meinung und Medien. 1964 herrschte Kalter Krieg, die Kuba-Krise lag weniger als anderthalb Jahre zurück. Alice Denney, eine gut vernetzte Kunstagentin aus Washington, gab den entscheidenden Anstoß, als sie der Behörde Alan Solomon für die Durchführung vorschlug. Der hatte als Direktor des New Yorker Jewish Museum im Jahr zuvor mit einer Rauschenberg-Ausstellung Aufsehen erregt. Gemeinsam mit den Galeristen Leo Castelli und Ileana Sonnabend organisierte er die Eroberung Venedigs.

Liest man die Namen, springt sofort ins Auge, dass hier der harte Kern der Pop-Art-Promoter beieinander war. Man hielt sich mit den Regularien erst gar nicht auf. So war im US-Pavillon nur eines von Rauschenbergs Bildern ausgestellt, die anderen anderswo in Venedig in einem Palazzo – was den Künstler nach den bestehenden Regeln vom Preis ausschloss. Kurzerhand wurden die aushäusigen Bilder in die Giardini verfrachtet, nur für den Besuch der Jury, der man am Vorabend noch einen Auftritt von Merce Cunninghams Tanzkompanie geboten hatte – Bühnendesign Bob Rauschenberg. Der Rest ist Geschichte. Dotiert war der Preis übrigens mit 2.200 Dollar. 

Allerdings reichte ein Großer Preis in Venedig nicht aus, um der Pop-Art zum Durchbruch zu verhelfen. Das geschah gewissermaßen auf breiter Front. 1964 fand eine Weltausstellung in New York statt, bei der Andy Warhol mit seinem Wandbild der "13 Most Wanted Men" für einen Skandal sorgte, und obwohl das Bild vor der Eröffnung übermalt werden musste, blieb es durch Fotografien als ein Meilenstein von Pop im öffentlichen Raum wirksam. In Europa wurde die Pop-Art schon im Frühjahr 1964 durch die gleichnamige, bahnbrechende Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm bekannt, und anschließend begannen Sammler wie Karl Ströher und nach ihm Peter Ludwig die neue amerikanische Kunst en gros einzukaufen – vorzugsweise, man ahnt es, bei Leo Castelli und Ileana Sonnabend.

Ob die Intention der Masterminds von USIA, in den Worten von Amei Wallach: "die Kühnheit der amerikanischen Kunst zu nutzen, um das Beste an der Demokratie zu fördern", aufgegangen ist, mag dahingestellt bleiben. Was aber 1964 in Venedig sichtbar wurde, war der Siegeszug der amerikanischen Pop-Art in der Museumswelt und dem Kunstmarkt des Westens.