Neues Wiener Aktionismus Museum

Kacken, um gesehen zu werden

Kunst, die verstört, anekelt und polarisiert: Das Wiener Aktionismus Museum zeigt mit seiner ersten Ausstellung Körper in grausamer Inszenierung - und eine verlorene Nachkriegsgeneration

Irgendwie sind an diesem Eröffnungsfreitag gar keine Protestlerinnen da. Niemand, der die Ausstellung der nackten weiblichen Körper durch die männlichen Künstler verurteilt, niemand der ruft, dass man einen der Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen angeklagten Künstler ja wohl nicht zeigen dürfe.

Dabei ist doch die Eröffnung des skandalträchtigsten Museums Europas, zu dem eine Nachrichtenagentur schrieb, das untere Geschoss sei erst ab einem gewissen Alter zugänglich, irgendwie schon fast auf Protest angelegt. Oder können die Wiener Aktionisten heute wirklich keinen mehr schocken?

Das ist in etwa der Spannungsbogen unter dem diese Künstler heute betrachtet werden müssen. Hermann Nitsch, Günter Brus, Rudolf Schwarzkogler und Otto Mühl: Eine Künstlergruppe, die ohne den Zusatz "höchst umstritten" nicht auszukommen scheint. Aber das irgendwie auch nicht mehr ist, wenn sie ein eigenes Museum bekommt, das ihre ja wirklich existierende Bedeutung würdigen soll. 

Keine Gute-Laune-Kunst

Das neue Wiener Aktionismus Museum – das natürlich auch eine schmissige Abkürzung erhalten hat: WAM – zeigt die weltweit größte Werksschau der Künstlergruppe. Dahinter stehen private Sammler. Und verantwortlich sind WAM- Direktorin Julia Moebus Puck und Eva Badura-Triska früher am Mumok, die die erste Ausstellung kuratiert hat. "Was ist Wiener Aktionismus?" heißt sie.

Und da kann man erstmal antworten: zumindest wirklich keine Gute-Laune-Kunst. Die Ausstellung ist in sieben Teilbereiche chronologisch geordnet. Beginnend mit den frühen Malereien der vier. Nitsch starkem körperlichen Malvorgang. Farbe die nach Blut aussieht. Spritzereien. Mühls Matsch-Bilder. Verbranntes im Schaukasten, sein Materialobjekt, als würde man auf die Trümmer des Zweiten Weltkriegs blicken. Mühl habe gefunden, man müsse Dinge zerstören, um zu etwas Neuem zu kommen, sagt die Kuratorin.

Um die Ecke hängen Brus' frühen Zeichnungen, die verdeutlichen, dass er zumindest der handwerklich beste Künstler war, seine ersten Fotoarbeiten, für die er sich anmalte. Die Leinwand am Körper, von der er sich befreite, und die Malerei in den Raum brachte.

Penisse, Gehirne und Menstruationsblut

Daneben Fotografien Schwarzkoglers, der als der ruhigste der Gruppe gilt und der viel mit Blau arbeitete. Wir sehen also, wie die Gruppe sich langsam zur Aktion entwickelte. Denn alle Arbeiten zeigen, wie die Künstler aus der abstrakten Malerei in die konkrete Arbeit mit Körper kommen. Und die sieht man dann in ihrer ganzen schockierenden Pracht im unteren Stock. 

Dort gibt es die inszenierte Fotografie von Brus voller Verletzlichkeiten, die Bilder zum Thema Heilung bei denen Schwarzberger mit medizinischem Gerät seines Vaters arbeitet. Wir sehen Anspielungen auf den Ödipus Mythus. Wir sehen nachgestellte Geburten, Nitsch in Gebärmutter, Nitsch auf den Boden kackend. 

Wir sehen ihn weiß bemalt mit schwarzem Strich über den ganzen Körper durch Wien laufend. Ob Brus' Spaziergang die Spaltung seiner Persönlichkeit zeigt, stellt Kuratorin Badura-Triska zur Diskussion, um dann Brus zu zitieren, der die Interpretation dem "Dachverband des Sachverstand" überlassen wollte. Wir sehen Menstruationsblut-Bilder von Nitsch. Die Schnitte, die er sich zufügte. Wir sehen lesbischen Sex. Schläuche, die Flüssigkeiten aus weiblichen Geschlechtern leiten. Wir sehen Gehirne neben Penissen. Wunden und Blut.

Ein Crescendo der Provokation

Es sind viele Interessierte in eher betagtem Alter gekommen, die den Führungen von Badura-Triska folgen, oder die von einem der Sammler, der die Wiener Aktionisten als starke Marke bezeichnet. Auch Künstler und Kommunen-Bewohner Theo Altenberg ist gekommen, um eine Gruppe lautstark durch das Museum zu führen. Sicherlich andere Schwerpunkte setzend, wenn er von der Sexualität der Bilder spricht. In einem anderen Raum steht ein Wiener Kunstsammler mit seinem Sohn und versucht sich zu erinnern, welche Zeichnung Brus er einmal besaß.

Wie wichtig der Wiener Aktionismus für Wien ist, merkt man aber auch, wenn man am Abend ins Beisl Gmoakeller geht und am Tafelspitz lutscht, im Rücken ein riesiger Spritz-Nitsch hängt. Und man merkt es hier in der Ausstellung, die sich langsam hochschraubt, wie auch die Aktionen der Aktionisten, die dann 1968 darin gipfelten, dass man um die Wette pisste, sich mit Scheiße beschmierte und dann noch versuchte, zu ejakulieren.

"Däfekieren, urinieren, konkreten Schnitt setzen", nennt es die Kuratorin wunderbar, um Abstand ringend. 

Ziemlich lost und Aufmerksamkeits-geil

Wir sehen in der Kunst der Wiener Aktionisten eine Nachkriegsgeneration, ziemlich lost, Aufmerksamkeit erheischend, wie kleine Kinder, die in die Hose machen, um in ihren Sorgen gehört zu werden. Wir sehen den Rückzug auf das Körperliche, als Bezug zum Existenziellen, das diese Zeit forderte.

Interessanterweise wirken diese Körperlichkeiten heute merkwürdig lahm. Auch weil diese 68er-Provokation dann doch eher wenig der versprochenen Befreiung und Aufarbeitung brachte. Sex ist auch heute trotz Sex-Positiv-Partys immer noch schambesetzt, vielleicht tut das der Tätigkeit sogar gut? Und das Schweigen der Nazi-Täter wurde von ihren Kindern – wie man heute sagt "ohrenbetäubend" – weitergeführt. Und dann gab es ja auch noch die höchst zweifelhaften Auswüchse der freien Liebe. In den 80ern wurde in Österreich ein Strafverfahren gegen Otto Muehl eröffnet. Kommunen-Mitglieder sagten gegen ihn aus und er wurde als Sexualstraftäter verurteilt.

Man zeige hier aber nur Kunst aus der Zeit vor Mühls Kommune, heißt es von den Kuratorinnen. Und damit macht man es sich zwar ziemlich einfach, aber irgendwie wäre es ja auch wirklich Quatsch, diese Kunst nicht zu zeigen. Die Kuratorin Badura-Friska sagt dazu, wie Klimt und Schiele habe sich Mühl eben für die weibliche Sexualität interessiert. In dieser Schaffens-Phase habe er auf keinen Fall Frauen missbraucht. Man habe sich viel eher ganz genau mit dem weiblichen Körper beschäftigt. Dass der Körper gebären kann etwa.

Und wer will das beurteilen, außer die Frauen selbst.

1968 kam es zur großen "Uniferkelei"

Die Ausstellung jedenfalls endet mit dem großen Ende der Aktionisten in Wien. Bevor sie das Exil in West-Berlin antreten mussten. 1968 kam es zur großen "Uniferkelei". Eine Aktion unter dem Titel "Kunst und Revolution" an der Akademie für angewandte Kunst. Mühl schlug mit einem Riemen auf einen Mann ein, Brus stand nackt auf dem Pult, schnitt sich mit einer Rasierklinge, trank seine eigenen Körpersäfte, beschmierte sich mit Kot, musste sich daraufhin übergeben und onanierte und sang dazu die Bundeshymne.

"Da wollte er provozieren, das einzige mal", sagt die Kuratorin. Ein Boulevard-Journalist sorgte für den entsprechenden Aufschrei. Die Künstler kamen vor Gericht, der Gerichtsgutachter war ein früherer Euthanasie-Arzt und sie werden zu Wochen, beziehungsweise Monaten Haft verurteilt. Dann haut Brus ab nach Berlin. Seine letzte Aktion ist die "Zerreißprobe" von 1970. Sie wird in einem Extra-Raum des Museum gezeigt. Wie er sich angekettet, selbst aufschneidet, diese Verzweiflung ist auch heute noch deutlich spürbar. Aber die ist nur spürbar, wenn man Künstler und Werk nicht trennt.