Über Witze und Wokeness

Aber ich lache nicht

Der zickige, egomane, "woke" Geschäftsführer eines neuen LGBTQ+-Museums verliebt sich in einen Muskel-Bro aus dem Sportstudio und will am Ende doch Heirat und Kinder: Billy Eichner (l) als Museumsdirektor Bobby und Luke Macfarlane als Aaron in einer Szene des Films "Bros"
Foto: Nicole Rivelli/Universal Studios/dpa

Der zickige, "woke" Geschäftsführer eines neuen LGBTQ-Museums verliebt sich in einen Muskel-Bro aus dem Sportstudio - und will am Ende doch Heirat und Kinder: Billy Eichner (l) als Museumsdirektor Bobby und Luke Macfarlane als Aaron in einer Szene der Filmkomödie "Bros"

Zurzeit werden wir auf allen Streaming-Plattformen mit Komödien überschwemmt, die so tun, als seien Diversität, Feminismus und fluide Identitäten schon im Mainstream angekommen. Doch schlechte Witze sind der Stoff für toxische Verwerfungen

Ich denke gerade so oft an diese Szene aus dem Film "Happiness" (1998) von Todd Solondz: Eine Familie sitzt in New Jersey beim Essen und eine sogenannte "normale" Frau macht sich auf Kosten ihrer Gedichte und Songs schreibenden Schwester lustig. Deren Folk-Lieder sind allerdings richtig peinlich und naiv, aber auch lustig, wahrhaftig. Als die Nerd-Schwester betroffen aus der Wäsche guckt, beugt sich die Norm-Core Schwester zu ihr und sagt lächelnd: "Wir lachen nicht über dich, sondern mit dir." Woraufhin die Nerd-Schwester antwortet: "Aber ich lache nicht."

Diese tolle, prekäre Szene ging mir auch durch den Kopf, weil mein Kollege Sebastian Frenzel in Monopol unter dem Titel "Warum Witze über Wokeness ein gutes Zeichen sind" ein optimistisches Plädoyer für das Miteinanderlachen hielt. Frenzel sieht zurecht einen regelrechten Boom von Büchern, Filmen und Serien über Wokeness, Cancel-Culture und #MeToo und attestiert, dass diese Themen jetzt in der Breite der Gesellschaft angekommen sind: "Schlechte Witze sind besser als toxische Verwerfungen. Nach Jahren der sogenannten 'Kulturkriege' könnten die Zeichen allmählich auf Entspannung stehen."

Wirklich? Ich glaube nicht. Schlechte Witze sind der Stoff für toxische Verwerfungen. Interessant ist, dass sich Monopol, ein Magazin, das nicht gerade als Spaßblatt der Kunstwelt bekannt ist, gerade jetzt über Woke-Witze freut. Interessant ist auch, dass wir zurzeit auf allen Streaming-Plattformen mit Diversity-Rom-Coms überschwemmt werden, die genau dieselbe Idee vermitteln, nämlich, dass Diversität, Feminismus und fluide Gender und Identitäten schon im Mainstream angekommen sind.

Weißer Junge will schwarzes Mädchen heiraten, aber die Eltern müssen sich kennenlernen. Zwei schwule beste Freunde fahren über Weihnachten nach Hause, wo sie Po-Sex und Monogamie entdecken und Teil der Familie werden. Der zickige, egomane, "woke" Geschäftsführer eines neuen LGBTQ-Museums verliebt sich in einen Muskel-Bro aus dem Sportstudio und will am Ende doch Heirat und Kinder. Ein Mädchen ist dick, lernt aber von Drag-Queens Tanzen und Body-Postivity, Eine Gruppe von diversen schwulen Freunden fährt nach Fire Island und erfährt, dass trotz Rumficken Freundschaft und Liebe extrem wichtig sind! Die Liste ließe sich endlos weiterführen, immer aber steht am Ende die Familie.

Hauptsache alle sind repräsentiert und es ist romantisch

Was diese (zumeist von der Kritik wegen ihrer Authentizität gelobten) Diversity-Rom-Coms vereint, ist ihre Biedermeierlichkeit, ein holzschnittartiger, pseudo-progressiver Humor, gefühlte 3000 Jahre nach John Waters Filmen wie "Female Trouble" (1974), in dem Divine der schlechteste Mensch der Welt werden wollte und der US-amerikanischen Kleinfamilie den Kampf ansagte, fast ein Jahrzehnt nach der ersten, atemberaubenden Staffel von "Transparent" , in der es nicht nur um Transition, sondern um Religion, Spiritualität, Depressionen, Familienhorror ging, sollen wir nun über dieses kapitalistische Butoh-Theater schmunzeln?

Warum sollen wir uns "inkludiert" fühlen, in einer vermeintlich diversen Welt, in der am Ende doch wieder alles an seinem hierarchischen Platz ist, wie in einer Jane-Austen-Story? Oh, ich hatte es vergessen, wir leben wieder im Regency, Girl! Der Hit ist ja gerade "Queen Charlotte", der Spin-Off von "Bridgerton", einer Netflix-Serie, in der die Königin und ganz viele in der herrschenden Klasse Schwarz sind, während das Britische Empire des Regency seine Kolonien ausbeutet und beim Sklavenhandel mitverdienen. Darüber wird aber in der Show nicht gesprochen. Im Gegenteil. Während sonst auch im Fernsehen das Wissen und die unterdrückten Geschichten der Vorfahren voll im Trend sind, spielen hier People of Color weiße Menschen, als wäre nichts gewesen. Hauptsache alle sind repräsentiert und es ist romantisch.

Während die Adeligen an geschichtlicher Amnesie leiden, müssen die diversen Menschen in der Rom-Com-Gegenwart über nichts anderes sprechen, als über ihre Identität, wie Bäume, die sich über ihr Baum-Sein unterhalten, oder überlegen, ob sie Baum genug sind und welcher Baum sie nun wirklich sind.

Zunahme rassistischer, homo- und transphober Gewalt

Natürlich ist Sichtbarkeit wichtig. Ich wünschte, ich hätte als Teen in den Seventies "Ru Paul’s Drag Race" oder "Sex Education" sehen können. Natürlich verändern diese Serien die Wahrnehmung. Interessant ist aber, dass wir jetzt alle über - oder besser: mit - woken, marginalisierten Leuten lachen dürfen, während zugleich die rassistische, homo- und transphobe Gewalt weltweit zu- und nicht abnimmt. Warum stehen die Zeichen auf liberale Humor-Entspannung, wenn der Kampf gegen "Wokeness" zur Agenda der US-Rechten und der Republikaner gehört? Die weigern sich zwar trotz hunderten von erschossenen Kindern und Jugendlichen die Waffengesetze zu ändern, überziehen aber das Land fleißig mit Gesetzen und Gesetzesvorlagen gegen das Recht auf Abtreibung, verhindern die medizinische Versorgung und Geschlechtsanpassung von Transmenschen, wollen die gleichgeschlechtliche Ehe rückgängig machen. Die "Don’t say gay"-Vorschrift in Florida reicht nicht, in Tennessee ist Drag bereits in der Öffentlichkeit verboten, "wegen unserer Kinder".

Marjorie Taylor Greene, das durchgeknallte Postergirl der Q-Anon Bewegung, der militanten, rassistischen Rechten, erklärte jüngst in "60 Minutes" ,einem der populärsten News-Magazine der USA, die Demokraten seien eine "Partei der Pädophilen", weil sie Kinder "groomen", also durch Haare, Make-Up und Geschlechtsanpassung zu Sex-Objekten machen, quasi für den Missbrauch zurechtmachen. Sie steht dabei ganz auf einer Linie mit Wladimir Putin, der bei seiner letzten Rede zur Lage der Nation dem Westen vorhielt, das eigene Volk kaputt zu machen - durch "die Zerstörung der Familien, der kulturellen und nationalen Identitäten, die Perversion und Misshandlung von Kindern bis hin zur Pädophilie". Gott sei Dank sind wir nicht in den USA oder Russland, uff!

Aber in Deutschland. Ich glaube, fast alle in meiner Nachbarschaft hier in der Uckermark stimmen mit Greene und Putin grundsätzlich überein. Und das sind nicht nur Rechte. Für viele der Wagenknecht-Anhänger bereitet das Gendern den Nährboden für einen Rechtsschwenk der "einfachen Leute". Denn der Kampf gegen Sexismus und Homophobie und für Gendergerechtigkeit ist bloß eine Marotte von ein paar elitären Kosmopolit*innen. Anstatt sich gegen soziale Ungleichheit zu wenden, für die Sorgen der arbeitenden Bevölkerung einzutreten, was ja das eigentliche Projekt der Linken und der Marginalisierten sei, würden da elitäre Nebenschauplätze für Snowflakes aufgemacht.

Inflation von anti-wokem Humor

Dafür, dass man gerade "gar nichts sagen darf", gibt es in den sozialen Medien eine regelrechte Inflation von anti-wokem Humor: Hallo ich bin 30, identifiziere mich aber als elf und hätte gerne den Kinderteller. Ich identifiziere mich als unsichtbar, transparent, har har. Weiße Talkshow-Moderatoren fragen, warum sie nicht einfach eine Schwarze Transgender-Lesbe sein können, wo sie gerade doch so Bock draufhaben. Sicher findet sich noch ein anderer Bro, der dann sagt: Na, die Titten hast du ja schon, Digga.

Und wo wir schon dabei sind, Transphobie und Rassismus sind keine Hetero-Probleme. Bürgerliche Tunten, die sich nach zwei Wodka-Lemon gegenseitig mit Frauennamen ansprechen, wollen kein Sternchen oder finden das mit den Toiletten "problematisch". Lasst uns a bissel queerdenkerisch nur LGB schreiben, raus mit dem T, und dann auch gleich raus mit Arabs und "Kopftuchmädchen". Da lauschen sicher viele nachts mal gerne dem gesunden bio-deutschem Volksverstand von "Besseren Zeiten. Wagenknechts Wochenschau" oder werfen einen Blick in diese Piers-Morgan-Carlson-Tucker-Joe-Rogan-Höllen: So und nun stelle ich den trans-Aktivist*innen hier in unserer Hexenverbrennungssendung schnell mal eine Frage. Was ist eine Frau? Na? Keine Antwort? Hast du einen Pimmel? Bist du eine biologische Frau? Oder vielleicht eine Katze?

Ich höre schon: Alte, was hast du gegen Porzellan, Fistfucking oder Wagenknecht? Ach, gar nichts, war nur ein Witz. Doch genau das ist mein Problem. Und jetzt wird es persönlich. In dem WhatsApp Chat meiner Familie postete auch jemand einen Witz, einen Cartoon. Und mit diesem Jemand, der mir sehr nahesteht, verbindet mich, auch wegen meines Schwulseins, ein durchaus schwieriges Verhältnis - bei dem auch Homophobie spürbar ist, selbst wenn das fast jeder in meiner Familie vehement bestreiten würde. Wir sind, zumindest dem Anschein nach, der Inbegriff einer liberalen, eher linken Familie. Alleine, das hier so hinzuschreiben, finde ich schrecklich, als würde ich Hochverrat begehen.

"Irgendwann ist auch mal gut!"

Jedenfalls fragt in diesem Cartoon eine Frau einen Tankwart: "Was kostet denn eine Fahrzeuginnenreinigung?" Und der antwortet: "Irgendwann ist auch mal gut mit dem Genderwahn." Mitbekommen? Fahrzeug-Innenreinigung! Ich habe nicht gelacht, hatte auch nicht das Gefühl, dass da jemand mit mir lacht, habe nachts wach gelegen, mich gefragt, ob der Witz wohl auch über den Tankwart sein könnte, der überall Gender-Terror wittert. Irgendwie habe ich mir das gewünscht. Aber es half nichts. Da ist dieses unüberhörbare "Irgendwann ist auch mal gut!", dieses "Es reicht jetzt aber mal!", dieser Teil einer Sprache, von performativen Sprechakten, die ich seit meiner Kindheit erlebt habe, zu Hause, in der Schule, in Jobs.

Bis heute geht das so, auch wenn meine Gegenüber mich nicht mehr nachäffen, anfassen, verprügeln oder bedrohen. Was sie mir aber immer noch gerne signalisieren, dass ich zu viel bin: zu schwul, zu versponnen, zu nervig, falsch, eben nicht so "realistisch" oder real wie die anderen, die da gerade sprechen. Ich glaube, ich quatsche bis heute so viel, weil ich immer noch das Gefühl habe, dass meine Redezeit gleich vorbei ist.

Natürlich waren da auch kurze, schöne Momente, in denen ich beim Sonntagsfrühstück etwas performte, Witze machte, von meinen Fantasien oder Sehnsüchten erzählte, in denen ich mich gesehen und ganz fühlte, dazugehörte, in denen ich ohne Angst wirklich anwesend sein konnte. Aber diese Momente waren immer begrenzt, es sollte dann wieder zurück - "back to normal" - gehen.

Der Witz war Geburtshelfer meines grenzenlosen Selbsthasses

Das war auch in der Schule so. Ich ging in den frühen 1970er-Jahren auf eine Gesamtschule, eine riesige Lernfabrik in einem Arbeiterbezirk im Kohlenpott. Als ich etwa 13 war, in einer Zeit als Kondome noch "Pariser" hießen, gab es in unserer Jahrgangsstufe einen kurzlebigen Trend, den "Schwulentag". Die Jungs begrüßten sich total tuntig mit "Hallo, Detlef". Dann schüttelte man sich die Hand und kitzelte den anderen mit einem Finger, als geheimes, schwules und erotisches Zeichen an der Innenfläche der Hand, kille, kille. Natürlich musste das Gegenüber mit gespieltem Entsetzen und Ekel die Hand zurückziehen, losgrölen und dich schlagen.

Obwohl dieser Tag eigentlich der Homophobie gewidmet war, waren das für mich die schönsten Tage, weil alle performten, ungeklärte Gefühle hochkamen. Ich war nicht mehr alleine und konnte all die geilen Kaminskis und Kowalskis berühren, die Fußball spielten, Flaum unter der Nase hatten und rauchten, auch wenn ich dafür blaue Flecken bekam. Das war mein wunderbarer Waschsalon. Der Witz war Geburtshelfer meiner Begierde, meiner Sehnsüchte, aber auch meines grenzenlosen Selbsthasses.

Humor, das war für mich als schwules Kind beides, Befreiung und Strafe. Man konnte in witziger Form über verbotene, verborgene Gefühle kommunizieren, manchmal auch Applaus oder Liebe bekommen. Und zugleich war Humor Gewalt, Marginalisierung, schwarze Pädagogik. Ich spare mir hier die Misshandlungen, die demütigenden Situationen, in denen ich als Höhepunkt der Hunger Games auch über mich selbst lachen sollte. Es wurde nicht mit mir, sondern über mich gelacht, nicht, weil ich so witzig war, sondern lächerlich - meinen pubertierender Körper, meine unbeholfenen Bewegungen, meine schwulen, eher non-binären Looks.

Slots im Programm sind alles, was man bekommt

Wenn ich versuchte, mich zu wehren, wenn ich die Brutalität zu Hause oder in der Schule ansprach, wurde mir jedes Mal gesagt, es reiche jetzt aber, das sei nicht ernst gemeint gewesen, ich verstehe ja null Spaß, ich könne ja gar nichts vertragen, ich sei ein verwöhntes Weichei. Tatsächlich sagten meine Eltern mir, ich sei "privilegiert", schon deshalb hätte ich keinen Grund, "ständig nur über mich zu sprechen", ich hätte keine Ahnung, wie hart "das echte Leben" der arbeitenden Bevölkerung oder in der "Dritten Welt" sei, wie man damals sagte. Irgendwie klang das immer so, als hätte ich durch meine Dekadenz, die Unfähigkeit ein echter Junge zu sein, die Gewalt und den Spott selbst provoziert. Ich hatte das eigentlich mir zuzuschreiben, dass es jetzt ein bisschen zu bunt mit mir getrieben würde. Na, klingelt da was?

Wenn ich Sorgen oder Probleme hatte, war eine andere, natürlich auch ziemlich privilegierte Antwort, ich solle doch etwas schreiben oder malen, "Kunst" machen. "Künstlerisch" war damals zugleich auch ein Synonym für schwul. Ich hörte Tanten aus der Nachbarschaft sagen: Das Kind wird sicher mal Künstler oder Balletttänzer. In unserem Bildungsbürgerhaushalt war "Kunst" wie ein Outlet, aber immer eine Form von Luxus. Ich verbrachte meine Kindheit und Jugend wie in einer Gong-Show. An der heteronormativen Geschichte, die mir meine Eltern, die Familie, die Schule, die vermeintlich "liberale" Gesellschaft der Seventies eintrichterten, wurde nicht gerüttelt. Man kriegte stattdessen Slots im Programm.

Ich hatte aber eine Geschichte zu erzählen. Meine Geschichte, die ich eigentlich bis heute nicht herausbekommen habe, die endlos und mäandernd ist wie dieser Text hier. Ich wusste schon als Kind, dass es eine Geschichte für mich gibt, die anders ist – und real. Und dass sie nicht nur ein Intermezzo bleiben, sondern mein Leben sein sollte. Und dieses Leben begann für mich mit Punk, der Wave- Szene der frühen 1980er-Berlin. Und natürlich hing es mit Hausbesetzungen und schwuler Befreiung zusammen, einem absoluten Aufschrei, der sich gegen die Norm richtete, zu der man ein lebender Gegenentwurf sein wollte. Die künstlerische Radikalität, mit der das damals, zwischen 1976 und etwa 1982 ausgelebt wurde, war nicht nur in Berlin einmalig. Ein ganz wesentlicher Fokus in Musik, Clubs, Kunst, Mode war die Auseinandersetzung mit der verdrängten Nazizeit und dem Krieg, mit den Avantgarden der Moderne und Nachkriegsmoderne, natürlich mit der RAF, dem geteilten Deutschland.

Die 80er als Katalysator für heutige Diskurse

Die Looks und Identitätsentwürfe in Berlin waren super-militant, pornografisch, industriell, androgyn und total non-binär. Ein bisschen wie Christopher Isherwoods "Goodby to Berlin" 2.0. Das Wort "queer" war unbekannt, der Begriff Transsexualität war ein medizinischer Fachbegriff, die größten Trans-Stars in der Szene arbeiteten als Sex-Worker*innen, weil es für die meisten von ihnen einfach keine anderen Jobs gab. Frauen wurden nach wie vor schlecht und sexistisch behandelt. Die 1980er waren auch in dieser Szene chauvinistisch und reaktionär. Zugleich bildete sich schon damals eine neue Form von Feminismus heraus, die Geschlecht als eine soziale, performative Konstruktion, als Inszenierung betrachtete, auf Biologie und "Natürlichkeit" pfiff und gegen den klassischen Ökofeminismus und die Hippiekultur opponierte.

Man muss diese Zeit nicht verherrlichen. Aber sie war ein Katalysator für die heutigen Diskurse um Identität und Gender. Nur dass damals, wie auch in New York oder London, nicht die Heilung das Thema war, sondern erstmal das Trauma: die Brutalität, mit der die westlichen Kulturen, der patriarchalische Kapitalismus nach 1945 wieder "back to business as usual" gegangen waren, zurück zur Kleinfamilie, zum Konsum, zu den klassischen Geschlechternormen, dem kolonialen Rassismus.

Auch wenn das von den meisten nicht theoretisch formuliert wurde, wollten alle, dass diese untote Welt der Väter und Mütter, von Thatcher und Reagan endlich untergeht, dass dieses binäre Denken gesprengt wird, das zu den Weltkriegen und zum Holocaust geführt hatte. Auf der Straße wurde man nicht nur angespuckt, weil man Punk war, sondern, weil man genau dieses Trauma verkörperte. Das hörte ich immer zuerst: Du siehst ja aus, wie aus dem KZ. Oder: Du siehst aus wie ein Nazi. Ich glaube, dass Transmenschen heute aus ganz ähnlichen Gründen gehasst werden. Sie verkörpern nicht nur ein neues Verständnis von Gender und von "Natur", sondern triggern auch die Scham und den Selbsthass des Patriarchats, die Angst vor einer kommenden, non-binären Welt.  

"Neue Deutsche Welle" als Zombie-Auferstehung

Ich war damals nicht der Einzige, der sich nicht mehr mit einem Time-Slot in dieser Shit-Show zufriedengeben, sondern das ganze Programm ändern wollte. Life is a Cabaret, old Chum! Nur geht keiner mehr nach Hause. Wir wollten unsere konstruierten Identitäten nicht mehr ausziehen, keine Trennung von Kunst und Leben. Als ich meiner Mutter damals am Telefon sagte, ich sei schwul, fragte sie, wie so viele Eltern, ob ich mir das nicht nochmal überlegen wolle. Die Homos, die sie kennen gelernt hatte, seien unglücklich, ob ich dieses unglückliche Leben wirklich wolle?

Diese Frage bekommen Schwule oder Lesben heute nicht mehr so oft zu hören, dafür bestimmt eher Transmenschen. Zu dem Terror der heteronormativen Mainstream-Gesellschaft gehört auch, so zu tun, als seien abweichende, beunruhigende Identitäten Verkleidungen oder Masken, die man sich ausdenkt und nach Belieben an- oder auszieht. Darunter liegt dann das "authentische" Selbst, das binäre Geschlecht. Um diese Idee durchzudrücken, sind "Humor" und diverse Formen von Karnevalisierung die schlagkräftigsten Waffen. Dabei muss immer auch das "Künstlerische" kommerziell werden.

Damals erledigte das die "Neue Deutsche Welle", die so ab 1982 eine Art Zombie-Auferstehung hatte. Aus der bösen, queeren Aneignung von "verbotener" Nazi-Ästhetik, der Sehnsucht nach Ende und Untergang, entwickelte sich eine Art New-Wave-Volksmusik, die wieder das Wirtschaftswunder, Schlager, Heimat, das Mitsingen beschwor. Dabei wurden die Gesten und Looks von Punk und Wave wie reiner dadaistischer Blödsinn recycelt. Plötzlich standen Muddi und Vati auf der Bühne, sangen von hohen Bergen oder Taschenlampen. Zu Nena ("99 Luftballons"), Trio ("Da da da"), Falco ("Der Kommissar") und Peter Schilling ("Major Tom") konnte man auch im Schrebergarten tanzen. Das Tolle daran war natürlich, dass da viel mehr Teenies eine Chance hatten, sich die Haare zu blondieren, andere Looks oder Sexualitäten zu testen. Das Schlimme war die Pseudo-Progressivität, dass alles, was wirklich wichtig gewesen war, jetzt als Spaß, Marotte, bunte Paradiesvogel-Verkleidung disqualifiziert war.

Was die Glitterkugel sagt

Heute, 40 Jahre später, ist das wieder so. Ich gucke diese verschissenen LGBTQ-Filme und -Serien an und habe ein Déjà-vu. Die eigentlichen Zombie-Filme, das sind nicht "The Walking Dead" oder "The Last of Us". Es sind die rechten, transphoben, rassistischen Talkshows und Memes, dieser Hexenkessel im Netz. Es sind auch die Diversity-Rom-Coms, in denen die einstigen, unerfüllten Utopien als Identitätskarneval auferstehen.

Habe ich meinen Humor verloren? Was ist nur falsch mit mir? Ich höre mir mal schnell Christina Aguileras "Beautiful" an und gucke tief in meine Glitterkugel. Liebe Kugel, warum kriegen wir statt wirklichem Fortschritt dieses karnevalistische Zurück-in-die-Zukunft-Entertainment? Weil auch das liberale, vermeintlich progressive Establishment die Idee einer authentischen, wirklichen Identität nicht aufgeben kann, flüstert die Kugel. Diese Idee der öffentlichen Maske, hinter der sich eine wahrhaftigere, private Identität verbirgt, wird da in immer wieder neuen Versionen durchgespielt. Unter der Maske der sexsüchtigen Tunte, die nur auf Status und Repräsentation schaut, verbirgt sich ein zartes, nach Liebe dürstendes Ich. Wie in dem Sam Smith und Kim Petras Video zu "Unholy" verbirgt sich hinter dem konservativen Tory-Daddy ein hedonistisches Ferkel, der sich gerne von Transfrauen und Gummimännern dominieren lässt.  

Der Philosoph Slavoj Žižek hat in Bezug auf Freud oder Lacan immer wieder über diese Vorstellung der Maske gesprochen, zum Beispiel, dass sich unter der öffentlichen Maske von Diktatoren wie Hitler ein "realer Mensch" verbirgt, der Kinder liebt und gerne Katzen streichelt. Oder dass sich hinter dem Gesicht von Elon Musks kaltherziger Gier ein sensibler, genialer Autist verbirgt. Oder hinter dem skrupellosen Opioid-Hersteller ein feingeistiger Kunstsammler. Nein, sagt Žižek, es ist nicht so, dass die öffentliche Maske den wirklichen Menschen verbirgt. Was wir konstruieren, ist der "reale Mensch" hinter der Maske. Wir konstruieren diese innere Identität, um die Handlungen und auch den Horror zu verschleiern, die wir mit unserer öffentlichen Maske begehen. Die wirkliche Maske ist unsere Vorstellung eines inneren, privaten Selbst. Žižek, sagt, dass es keine bedeutungsvolle "wirkliche Person" gibt, die hinter der äußeren Fassade, der Maskierung zu entdecken ist.

Humor verhindert Wandel

Deswegen sind Witz, Humor und Karneval für alle politischen Lager, auch für die vermeintlich liberalen, akademischen und ökonomischen Eliten wichtig: um wirklichen Wandel zu verhindern. Die anti-globale Rechte und die neo-nationalistische Linke brauchen sie, um an Vaterland, Kleinfamilie, Christentum, Patriotismus, weißer, männlicher Vorherrschaft festzuhalten, je nachdem worauf ihre alten Ideologien basieren. Für beide Seiten ist "Humor" eine der schlagkräftigsten Waffen. Das liberale Lager braucht den Diversity-Karneval und Rom-Com, um den Eindruck zu erwecken, die Wirtschaft kümmere sich, hinter der Maske von Corporate-Gier, Lobbypolitik und himmelschreiender Ungleichheit verberge sich ein empathischer, progressiver, anti-rassistischer Kapitalismus, der Trans-Rechte schützt und jeden nach seiner Fasson glücklich werden lässt. Auch deswegen wird gerne vermittelt, "Wokeness", was immer das auch sein soll, sei in Teilen der Gesellschaft bereits der Normalzustand, obwohl wir uns in einer Art depressivem Tiefschlaf befinden.

Die sogenannten "Kulturkriege" können gar nicht aufhören, weil die Scheingefechte zwischen den Fronten ein Milliardengeschäft sind, eine gigantische Branche der Unterhaltungsindustrie. Sie müssen auch nicht so schnell aufhören, weil das erst der Anfang einer Konversation ist. Welche zwiespältige Rolle der Kunstbetrieb dabei spielt, warum non-binäre, indigene Künstler*innen, Wale und Pilze gerade so heiß sind und neben dem Humor auch die Poesie als eine zweischneidige Waffe eingesetzt wird, erfahrt ihr beim nächsten Mal. Und auch wenn nicht mit euch, sondern über euch gelacht wird, vergesst nicht: You are beautiful no matter what they say.