Tipps und Termine

Wohin am Wochenende?

Die Eröffnungen der Woche in Baden-Baden, Berlin, Essen, Gera, Mannheim, New York, St. Gallen und Wien


Nina Canell in Baden-Baden

Wir sind verdammt abhängig von Technik, was wir erst spüren, wenn der Toaster oder gar das Internet streikt. Nina Canell interessiert sich für technische (oder chemische) Prozesse und zugleich für die immanenten Störungen. Für eine Auftragsarbeit für zehn Sammlerinnen mit der Vorgabe, dieses Werk müsse aufteilbar sein, ließ Canell zwischen 2009 und 2010 mehrmals synchron in zehn geografisch entfernten Haushalten den Strom ausfallen, ferngesteuert und ohne Vorwarnung. Zentral in Canells Kunst sind instabile Kreisläufe. Aus Materialien
wie Holz, Kupfer, Kunststoff oder Glas, die erhitzt, befeuchtet oder unter Strom gesetzt werden, setzen sich viele ihrer Skulpturen zusammen. Transformationsprozesse ähneln Denkvorgängen, "da das Denken immer zu ruhelos ist, um Vertrauen in eine Form zu haben, die vollkommen ohne Zögern oder Reibung ist" (Canell). Über 20 Werke sind in der Soloschau in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen, darunter neue wie „Otic Pit“, eine aus Basalt gegossene Gehörschnecke. Die sogenannte „Hörgrube“ sorgt im Innenohr von Säugetieren dafür, dass verschiedene Tonhöhen wahrgenommen werden. Zufälle, Rauschen, Störungen in der Informationsvermittlung sind für Canell geradezu Synonyme für Kunstproduktion. In ihren experimentellen Skulpturen hat es schon immer Kabel als Signalträger gegeben, aber seit einiger Zeit interessiert sich Canell besonders für stillgelegte Kabel, die quer durchgeschnitten an Wurstscheiben erinnern. Als Fragmente einer ehemaligen Infrastruktur gemahnen die Kabelreste daran, dass Errungenschaften wie Elektrizität, Internet oder fließend Wasser eben nicht selbstverständlich sind.

"Nina Canell: "Muscle Memory", Kunsthalle Baden-Baden, 6. Juli bis 20. Oktober

Soundskulpturen in Berlin

Wie vielfältig Musik in der bildenden Kunst übersetzt, angeeignet und dekonstruiert werden kann, zeigt die Ausstellung "Sound on the 4th Floor"  in der Berliner Daimler Art Collection. Videos und Soundskulpturen treffen auf Bilder und Grafiken. Mit von der Partie sind künstlerische Arbeiten von John M Armleder, Rosemarie Trockel und Heimo Zobernig.

"Sound on the 4th Floor", Daimler Contemporary Berlin, 7. Juli bis 2. Februar 2020


Interaktive Intervention in Essen

Der deutsche Künstler Veit Stratmann lebt und arbeitet in Paris. Für das Museum Folkwang entwickelt er die raumbezogene Arbeit "Module/Essen", die sich auf die Funktionen von Architekturen öffentlicher Gebäude und Plätze bezieht. Als interaktive Intervention soll sie die Besucherinnen und Besucher einbeziehen, deren architektonische Wahrnehmungen schärfen und den Museumsraum spielerisch erfahrbar machen.

"Veit Stratmann: Module/Essen", Museum Folkwang Essen, 7. Juli bis 27. Oktober

 
Architekturmodelle und Keramik in Gera

Dem Wirken des Architekten Thilo Schoder (1888-1979) und dessen Kollegen in Gera widmet sich die Ausstellung "Bauten der Moderne" im Museum für Angewandte Kunst. Gezeigt werden neben zahlreichen Fotos auch Gebäudemodelle sowie Glas, Porzellan und Keramik, die von Schoder gestaltet wurden. Erstmals präsentiert wird eine von dem Architekten entworfene Küche, die zum gezeigten Gesamtbild der Reformideen der 1920er-Jahre beitragen soll. (dpa)

"Bauten der Moderne in Gera. Thilo Schoder und Kollegen", Museum für Angewandte Kunst Gera, bis 22. September


Hiwa K in Mannheim

Krieg, Unterdrückung, Gewalt, Migration - diese Themen prägen die künstlerische Praxis des aus dem Irak stammenden Künstlers Hiwa K. Den Mittelpunkt der Ausstellung bildet ein Teppich, auf dem Mannheim im Jahr 1943 zu sehen ist: zerstört, zerbombt, zerfallen. "Der Teppich ist eine Einladung, zusammen zu sitzen, zu reden", erläutert Hiwa K. Hiwa K ist bekannt für seine Videoinstallationen. In seiner neuesten Arbeit kombiniert er Fotografien und Folien. Collagen in Leuchtkästen thematisieren Attentate, Denkmäler und Propaganda im Irak nach dem Fall der Monarchie Ende der 50er Jahre. Ein ausführliches Interview mit Hiwa K, in der er die Wirkung zeitgenössischer politischer Kunst anzweifelt, lesen Sie hier. (dpa/monopol)

"Hector Preis: Hiwa K", Kunsthalle Mannheim, 5. Juli bis 1. September

Dem Mond sehr nah in New York

Er ist Mythos, Sehnsuchtsort und Symbol menschlichen Fortschritts: In New York eröffnete diese Woche eine Ausstellung über die fotografische Bedeutung des Mondes. "Apollos Muse: Der Mond im Zeitalter der Fotografie" im Metropolitan Museum of Art zeigt, wie der technische Fortschritt die Bilder und damit auch die Wahrnehmung des Himmelskörpers vom 16. Jahrhundert bis in die Moderne geändert hat. In mehr als 170 Fotos und einer Reihe von Zeichnungen, Drucken, Gemälden, Film- und TV-Ausschnitten erzählt die Ausstellung von der Evolution der Mondbetrachtung. (dpa)

"Apollo's Muse: The Moon in the Age of Photography", Metropolitan Museum New York, bis 22. September

 
Albert Oehlen in St. Gallen

Der in Krefeld geborene Künstler Albert Oehlen lebt seit 2002 in der Schweizer Gemeinde Gais, die sich unweit des Kantons St. Gallen gelegen malerisch in das alpine Gebirge fügt. Eigens für die Lokremise des Kunstmuseums St. Gallen hat der abstrakte Maler und Polke-Schüler ein neues Projekt entwickelt, das ab Samstag zu sehen ist. Unfertig oder nicht, wird sich dann zeigen.

"Albert Oehlen: Unfertig", Kunstmuseum St. Gallen, 6. Juli bis 10. November


Gelatin und Liam Gillick in Wien

Als jämmerliche junge Snobs im "Post-Linksismus" klarkommen oder untergehen: Das klingt nicht nur nach einem Kurzkommentar zur jüngsten politischen Krise in Österreich. Es ist ein Skript, das der britische Künstler Liam Gillick geschrieben und mit der österreichischen Künstlergruppe Gelatin verfilmt hat. "Stinking Dawn", so der Titel des Films, ist inspiriert von postutopischer Literatur wie Gilles Châtelets "Leben und denken wie die Schweine". Altes Revoluzzertum mischt die Erosionserscheinungen einer postliberalen Gesellschaft auf. Es kündigt sich ein großes Spektakel an: In einer monumentalen "Bauklotz-Architektur" mit Versatzstücken antiker Kolonnaden, Nachtclub-Dekor oder einer Gefängniszelle kommen Gelatins am Aktionismus erprobte Materialien und szenische Einfälle zum Einsatz. Gedreht wird an zehn Tagen in der Kunsthalle Wien unter Mitwirkung zahlreicher weiterer Akteure. Das immer wieder erweiterte Filmset wird auch die Basis für die anschließende Ausstellung bilden.

"Gelatin und Liam Gillick: Stinking Dawn", Kunsthalle Wien, 5. Juli bis 6. Oktober