Zum Tod von Kenneth Anger

Magier der bewegten Bilder

Kein anderer Künstler hat die Paarung von Brutalität und Sex so geheimnisvoll und verstörend in Szene gesetzt wie der Underground-Filmemacher Kenneth Anger. Jetzt ist er mit 96 Jahren gestorben

Es ist 1947, irgendwo in einer Villengegend in Beverly Hills. Der 20-jährige Kenneth Anglemeyer trägt Möbel in den Garten seiner Eltern, um eine Kulisse aufzubauen: Seine Eltern sind auf einer Beerdigung, und er dreht seinen achten Film mit dem Titel "Fireworks". Stumme Matrosen lassen darin ihre Muskeln spielen – sie verführen und vergewaltigen einen jungen Träumer, dessen Augen vor lauter Panik zu bluten beginnen. Die Männer reißen sein Herz auseinander, nur um eine tickende Uhr freizulegen. Anstatt eines Happy Ends wird ein im Hosenstall angezündetes Feuerwerk gezeigt.

Der schwarz-weiße Horror-Porno ist nicht abstoßend, sondern bedient sich einer seltsamen Ästhetik. Schon vor der Veröffentlichung wechselt der Filmemacher und Hauptdarsteller seinen Namen in Anger, zu Deutsch Wut. Es sollte nach einer Marke klingen und "leicht zu merken" sein. Nach der Premiere des 15-minütigen Films verhaftet der kalifornische Bundesstaat den Regisseur wegen öffentlich zur Schau gestellter Obszönität. Homosexualität ist zu der Zeit noch illegal und wird mit der Todesstrafe bestraft. Anger hat aber Glück: Das oberste Gericht erklärt "Fireworks" zur Kunst und lässt die Anklage fallen. Noch mehr Glück hat er, als der französische Poet und Künstler Jean Cocteau auf ihn aufmerksam wird und Anger kurzerhand nach Paris einlädt, wo er für seine Kunst-Filme in den avantgardistischen Kreisen Anerkennung bekommt.

Nicht nur Cocteau unterstützt und inspiriert den junge Anger: Wie er noch im hohen Alter oft wiederholte, hatte seine Großmutter eine besondere Bedeutung für ihn. In Angers Jugend ist sie Künstlerin und Kostümbildnerin für Stummfilme, nimmt ihn zu Ausstellungen mit, kauft ihm seine erste Kamera, leiht ihm Kostüme, wie etwa für seinen surrealistischen Kurzfilm "Puce Moment" (1949). Durch sie lernt er die Crème de la Crème Hollywoods kennen und tanzt im Alter von acht Jahren bereits neben Shirley Temple.

Hollywood Trash

Im Jahr 1959, als Anger die finanziellen Mittel für seine Filme fehlen, nutzt er sein Insider-Wissen und publiziert das Buch "Hollywood Babylon" in Frankreich. Sarkastisch berichtet er darin über die Schattenseiten der Traumfabrik – über Drogensucht, Trennungen, Suizid. Wegen Zensuren und Copyright-Streits erscheint es erst einige Jahre später in den USA. Das Buch wird ein internationaler Bestseller und bewegt Anger in späteren Schaffensphasen dazu, weitere Bände zu verfassen.

Man sagte Kenneth Anger oft eine dämonische Aura nach, mutmaßte, er würde Flüche verteilen. Das lag vielleicht an seinem tiefschwarzen Haar, das lange kein Grau sehen wollte, und dem "Lucifer"-Tattoo, das seine Brust schmückte. Er schien sich kaum zu verändern, und auch Angers Filme zeichnen sich durch eine einzigartige Bildsprache aus, deren Formel er bis zuletzt treu geblieben ist: psychedelische Farbkompositionen, Kaleidoskop-Effekte, Überblendungen und gezielte Langsamkeit – sein hauseigener Hollywood-Trash entspricht einem grundlegend sinnlich erfahrbarem Kino, das den Zuschauer, wie Anger immer betont, "verzaubern" will.

In seinem bekanntesten Werk, "Scorpio Rising" von 1963, vermischt er homoerotische Aufnahmen von Bikern, die ihre Motorräder putzen, mit Jesus-Nachstellungen und unterlegt die Bilder mit Pop-Musik von Elvis Presley, Ray Charles oder auch Ricky Nelson. Anger kreierte eine Filmsprache, die vielleicht als Mixtur aus homosexuellem Glamour-Fetisch und psychodelischer LSD-Ästhetik bezeichnet werden könnte. Von Angers gekonnt-eigenartiger Kombination aus Ton und Bild lassen sich auch Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder inspirieren. Martin Scorsese bezeichnet ihn als "Künstler mit einer außerordentlichen Vorstellungskraft".

Spiritualität und dunkle Magie

Die dominante Musik ersetzt in Angers Filmen Dialoge und führt manchmal unterschwellig zu Unbehaglichkeit. Mit Kurzfilmen, wie "Invocation of my Demon Brother" aus dem Jahr 1969, für den der Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger einen beunruhigenden Soundtrack erarbeitet, übt Angers mystischer Umgang mit Ton und Bild großen Einfluss auf Filmemacher wie David Lynch aus. Es sollte "hypnotisch klingen – ein elektronisches Äquivalent zu afrikanischen Trommeln" sein.

"Invocation of my Demon Brother" sind elf Minuten symbolische Bilderfluten: Der Film zeigt Ausschnitte einer satanistischen Messe, kombiniert mit Fragmenten eines Rolling-Stones-Konzerts. Darüber legen sich Hakenkreuze, Katzen und wieder blutende Augen. Der Film endet mit einer gruseligen Holzfigur, die, umgeben von Trockeneis-Effekten, eine Treppe hinunter schwebt und ein Schild mit dem Satz "ZAP. YOU'RE PREGNANT. THATS WITCHCRAFT" vor sich hält. 

Aus seinem Interesse an Spiritualität und dunkler Magie machte Anger kein Geheimnis. Im Gegenteil: Neben Sexualität, spielen Okkultismus, Religiosität und Magie inhaltlich meist die zentrale Rolle seiner Filme. Stets mit skeptischen Fragen konfrontiert, erklärte Anger oft, er glaube an Luzifer, sei aber kein Satanist, sondern ein Heide. Luzifer, so müsse man sich das vorstellen, sei wie ein kleiner Junge, der nicht erwachsen werden will. Er begeistert sich für die Schriften des spirituellen Thelema-Anführer Alister Crowley, ist mit dem Gründer des modernen Satanismus, Anton LaVey, befreundet und beweist auch einen lockeren Umgang mit morbiden Themen, als er 1967 in der Zeitung "The Village Voice" seine eigene Todesanzeige schaltet.

"Von Bad Boys angezogen"

Unangenehm wird es für Anger erst, als Bobby Beausoleil, einer der Darsteller und Musikkomponisten für seinen Film "Lucifer Rising", wegen des Auftragsmordes für den Sektenführer Charles Manson ins Gefängnis kommt. Nachdem auch der Versuch mit Jimmy Page, dem Gitarristen von Led Zepplin, aufgrund dessen Heroinsucht scheitert, schreibt Beausoleil den Soundtrack vom Gefängnis aus. "Ich scheine mich von Bad Boys angezogen zu fühlen, aber ich gehe nie zu weit", gesteht Kenneth Anger einst.

Knapp 20 Jahre pausierte er mit dem Filmemachen nach der Veröffentlichung von "Lucifer Rising" im Jahr 1981. Erst im 21. Jahrhundert drehte er wieder Filme, darunter sogar kommerzielle, aber immer noch mit seiner alten Bildsprache. Viele Museen, wie das MoMA in New York, widmeten ihm Werkschauen und Retrospektiven – ehrten ihn als Magier der bewegten Bilder. Jetzt ist der Meister mit 96 Jahren verstorben, wie seine Galerie Sprüth Magers meldet. Mit dem Tod vom immer jung-gebliebenen Kenneth Anger, verlässt uns jetzt einer der letzten Pioniere der Video-Avantgarde – doch er hinterlässt ein großartiges Erbe. Und falls er in die Hölle gekommen ist, dann fühlt er sich dort vermutlich ganz wohl.