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10 Kunst-Filme, die sich im Juli lohnen

Eine Legende der Straßenfotografie, ein Meister des visuellen Trips und Kunst, die unter die Haut geht: Das sind unsere Filme des Monats 
 

Die neue Sichtbarkeit für Schwarze Kunst 

"Ich denke an all die jungen Menschen", sagte Michelle Obama anlässlich der Enthüllung ihres offiziellen Porträts in der National Gallery in Washington. "Insbesondere an Schwarze Mädchen, die an diesen Ort kommen und ein Bild von jemandem vorfinden, der wie sie aussieht. Denn ich war eines dieser Mädchen." 

Als der erste Schwarze Präsident der USA Barack Obama und seine Frau ihre Porträts von Amy Sherald (Michelle Obama) und Kehinde Wiley (Barack Obama) malen ließen, hatte das Auswirkungen auf die Kunstwelt. Die verschiedenen Dimensionen dieses richtungsweisenden Ereignisses untersucht die Filmemacherin Marion Schmidt in der Dokumentation "Yes We Can - Die neue Schwarze Malerei". Sie identifiziert die Obamas als Wegbereiter einer neuen Generation von Künstlerinnen und Künstlern. Sie malen figurativ, zumeist Porträts, und häufig Menschen aus ihrem eigenen Umfeld.

"Für Schwarze ist es sehr wichtig, sich in Museen repräsentiert zu sehen", sagt der Maler Jerrell Gibbs aus West-Baltimore, der eines der wenigen Porträts eines Schwarzen US-Kongressabgeordneten malte. Er geht in seinen Darstellungen gegen die Klischees an, seine männlichen Figuren umgeben sich mit Sanftheit und Schönheit, sie halten Blumen und sitzen in expressiv gemusterten Interieurs.

Die kanadisch-karibische Künstlerin Shannon T. Lewis, die in Berlin lebt, collagiert in ihren Bildern Körper und Elemente von Luxuskampagnen. Ihr ist die politische Dimension von Schönheit wichtig. Anhand ihrer Herangehensweise und auch der ihres Malerkollegen Peter Uka in Köln wird deutlich, welch gewaltigen Schritt es für afrikanischstämmige Künstlerinnen und Künstler bedeutet, die Hoheit über die Darstellung Schwarzer Körper zurückzuerlangen.

"Der Schwarze Körper wurde immer wie ein Objekt behandelt", sagt die Galeristin Mariane Ibrahim, die alle drei Künstler vertritt. Mit Standorten in Chicago, Paris und Mexico ist sie gegenwärtig eine Schlüsselfigur, wenn es um das Ermöglichen und Sichtbarmachen der neuen Schwarzen Malerei geht. Selbst somalisch-französischer Herkunft, kann sie sich in die Themen ihrer Künstlerinnen und Künstler oft wortlos einfühlen und übersetzt sie sehr überzeugend sowohl in den Kunstdiskurs auch als in den Markt. "Für die meisten afrikanischen oder afroamerikanischen Künstler ist das Porträt ein Weg, sich mit ihrem Bild zu versöhnen", sagt sie, die auch die rasante Karriere von Amoako Boafo klug begleitet hat.

Ausstellungsmacherin Elena Filipovic aus Basel erzählt über ihre Arbeit mit dem britisch-kenianischen Maler Michael Armitage für die Kunsthalle Basel. Sie formuliert auch die Aufgabe aller Museen, ihre Sammlungen und Ausstellungen zu reorganisieren. "Es muss dabei Wert auf eine wahrheitsgemäße Darstellung der Kulturellen Vielfalt gelegt werden."

Gus Casely-Hayford, Gründungsdirektor des Victoria & Albert Museum East, London, ist einer der führenden Köpfe in dieser Angelegenheit. "Afrika ist bereits jetzt überall in den Museen vertreten", führt er vom Alten Ägypten bis zu Picasso Beispiele an. "Es kann aber sein, dass wir die Räume nicht so kuratiert haben, dass sie diese Geschichte erzählen." Sein Museum wird darauf spezialisiert sein. "Das fordert inzwischen das Publikum ein. Das ist keine vorübergehende Sache."

Sogar Laurence des Cars, Präsidentin des Louvre, stimmt zu. Man müsse sich den Schattenseiten stellen – Kolonialisierung, Sklaverei. "Es gibt keine Tabus in dieser Institution." Aber es gibt dennoch unüberwindbare Grenzen. Etwa, wenn es darum geht, junge Künstlerinnen und Künstler zu ihren eigenen, oft sehr erfolgreichen Ausstellungen einzuladen. Denn sie bekommen häufig keine Erlaubnis zur Einreise.

"Yes We Can - Die neue Schwarze Malerei", Arte-Mediathek, bis 29. September 


Auf den Fährten einer Fotolegende

"Ich mag es da, wo es nach Mensch stinkt", so formulierte Daidō Moriyama einst seine anarchistische Arbeitsphilosophie. Seit sechs Jahrzehnten durchstreift der Virtuose der Straßenfotografie Rotlichtviertel und zwielichtige Großstadtecken, auf der Suche nach den Randfiguren der Gesellschaft, die er in Schnappschüssen einfängt: einsame Gestalten im Vorortzug, Wanderschauspieler und Prostituierte in schummrigen Gassen, scheinbar wie im Vorbeigehen geknipst, überbelichtet und nicht selten grobkörnig verschwommen. Missglückte Aufnahmen gebe es nicht, so Moriyama, dessen Werk gerade im C/O Berlin zu sehen ist. Sie seien in ihrer Authentizität gleichwertig mit jeder anderen Aufnahme, ob Fassaden im ungeordneten Nebeneinander, Filmplakate, Werbezeichen oder das Gesicht einer Geisha.

Der Dokumentarfilm des Japaners Gen Iwama von 2021 hängt sich an seine Fersen, folgt ihm bei der Arbeit, inzwischen mit einer Digitalkamera, beobachtet ihn während der unzähligen Begegnungen, die sich hin und wieder als tauglich für ein Motiv herausstellen: ein Schulmädchen auf dem Nachhauseweg oder Angestellte an einem Straßenübergang in dem Stadtteil Shibuya.

Viel Raum nimmt die Entstehungsgeschichte des lange vergriffenen Schwarz-Weiß-Bildbands "Japan: A Photo Theater" von 1968 ein, der die Stadt als Bühne oder Film-Set begriff. Die Verstädterung griff in Tokyo und auch in der Provinz um sich, Einkaufsstraßen wurden im rasenden Tempo gebaut, und die Studenten rebellierten gegen die erstarrten Moralvorstellungen. Um dieses Schlüsseljahr herum dokumentiert Iwama die Vorbereitungen für eine Neuauflage zum 50-jährigen Jubiläum des Foto-Klassikers, angetrieben von einem Verleger und einem Grafiker, die Moriyama in spannende Gespräche über seine Denkprozesse und ungewöhnlichen Perspektiven verwickeln.

Es wurde Zeit für diese Hommage. Schon erstaunlich, wie der Reiz des drohenden Entschwindens das alte und neue Filmmaterial magisch auflädt. Andererseits wirkt der Revolutionär in seinen gepflegten 80ern mit dem pechschwarzen Haar und dem tänzelnden Schritt wie ein nie alternder japanischer Dorian Gray, der vielleicht in 50 Jahren das 100-jährige Jubiläum von "Japan: A Photo Theater" feiern könnte.

"Daido Moriyama: The Past is always new – the Future is always nostalgic", bei Amazon zum Leihen und Kaufen


Eine Geschichte vom Verschwinden und Auftauchen

Jennifer Brea ist 28 Jahre alt und frisch verheiratet, als ein fiebriger Infekt ihr Leben verändert. Sie kann kaum noch gehen, verbringt den Großteil ihrer Zeit im Bett, und selbst kleinste Stimulationen wie Licht oder Geräusche bereiten ihr Qualen. Zuerst bescheinigen ihr die Ärzte ein psychisches Problem, bis sie die Diagnose Myalgische Enzephalomyelitis (ME) erhält: eine Krankheit, die auch als Chronisches Erschöpfungssyndrom bekannt ist (diese Bezeichnung lehnen viele Betroffene jedoch ab, weil sie sie als verharmlosend empfinden).

Jennifer Brea nutzt auch in dieser existenziellen Krise ihre Erfahrung als Filmemacherin und beginnt, schonungslos ihr neues Leben mit allen Crashs und aller Verzweiflung zu dokumentieren. Außerdem beginnt sie, im Netz nach anderen Betroffenen zu suchen und stößt dabei auf eine versteckte Community, die für die meisten unsichtbar bleibt, weil ME-Patienten meist ihre eigenen vier Wände nicht verlassen können. Brea lässt sich erschütternde Geschichten von den Herausforderungen erzählen, die Betroffene erleben - auch, weil ihre Krankheit immer noch so wenig erforscht ist und oft nicht ernst genommen wird. Schließlich wird aus der Hilflosigkeit, die die Filmemacherin empfindet, Aktivismus: Sie beteiligt sich an weltweiten Protesten gegen die Ignoranz der Politik und der Medizin.

"Unrest" ist ein aufrüttelnder Film, der vor der Corona-Pandemie gedreht wurde, der aber durch die vielen Long-Covid-Betroffenen nun noch einmal eine neue Relevanz erhält. Durch die Erfahrungen der letzten Jahre wird die Forschung zu ME nun vorangetrieben. Jennifer Brea zeigt jedoch, dass das Problem keineswegs neu ist und dass lange einfach nicht hingeschaut wurde. Und falls man sich nun frage, was das mit Kunst zu tun hat - einen Dokumentarfilm fast ausschließlich aus dem eigenen Bett heraus zu drehen, ist schon ziemlich konzeptuell.

"Unrest", auf Youtube



Visuelle Trips mit M.C. Escher 

M.C. Eschers psychedelische Bilder passen so gut zum Kiffen wie Chips und Coca Cola, in ihnen ist die Welt so flüssig wie auf einem LSD-Trip. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der niederländische Grafiker in den 60er-Jahren regelmäßig Briefe von Hippies in London oder San Francisco erhält, die "dem wunderbar verrückten Meister" und "der vollkommenen Quelle des Wahnsinns" huldigen möchten. Allerdings stoßen sie auf wenig Gegenliebe. "Ich verstehe einfach nicht, warum die heutige außer Kontrolle geratene Jugend meine Arbeit so schätzt, aber nach einer Weile wird es anstrengend", notiert Escher in seinem Tagebuch.

Zeichnungen von Treppen, die gleichzeitig hinauf- und hinabführen; Metamorphosen von Fischen zu Vögeln zu abstrakten Ornamenten; Bäche, die bergauf fließen – mit optischen Täuschungen und unmöglichen Figuren wurde der 1898 in Leuwaarden geborene Maurits Cornelis Escher zum gefeierten Popstar. Wie er selbst auf sein Schaffen blickte, zeigt die Dokumentation "M.C. Escher - Reise in die Unendlichkeit", die ihn anhand von Tagebucheinträgen, Briefen und Vorträgen zu Wort kommen lässt (Erzähler in der Deutschen Synchronisation: Matthias Brandt).

Regisseur Robin Lutz bettet Eschers Biografie in die Zeitgeschichte ein, den erstarkenden Nationalsozialismus und Antisemitismus, den Krieg, die Hungersnöte in den Niederlanden. Ausführlich kommen auch Eschers Kinder zu Wort. Immer wieder aber durchbricht er das Dokumentarische mit liebevollen Spielereien, erweckt er Eschers berühmteste Werke mittels Animationen zum Leben.

Escher selbst, der in diesem Jahr 125. Jahre alt geworden wäre, begeisterte sich für den Animationsfilm, für die Übergänge vom Einzelbild zum Bewegtbild, vom Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen. Sein Interesse sei dabei nie ästhetischer, stets mathematischer Natur gewesen, betonte er. "Vernünftige Menschen dürfen das gerne für belanglos halten."

"M. C. Escher - Reise in die Unendlichkeit", auf Youtube

 

Street & Urban Art - zwischen Kunst und Verbrechen

Egal, wohin man sich im Trubel des Alltags begibt, beim genauen Hinschauen kann man künstlerische Botschaften auf den Hausfassaden, Mülleimern, Litfaßsäulen oder sogar auf den Abwasserrohren  erkennen. Die Zugehörigkeit der "Street & Urban Art" zum städtischen Raum scheint selbstverständlich geworden zu sein.

Die gleichnamige Reihe bei ZDF Kultur greift das Thema in kurzen Folgen auf. Künstlerinnen und Künstler, die sowohl solo als auch im Kollektiv tätig sind, sprechen über ihre Arbeit, ihre Ideen und ihre Botschaften, die sowohl in ihre persönlichen Biografien als auch in den gesellschaftlichen Alltag eingebettet sind. Aber auch Momente des fames, der sogenannten "Street Credibility", Illegalität und politische Statements, die Street Art eindrücklich prägen, werden aus den unterschiedlichen Perspektiven der städtischen Akteurinnen und Akteure diskutiert.  

Der Londoner Solo-Künstler Dave the Chimp, der für seine mit Acryl gemalten "Human Beans" auf den Berliner Hausfassaden bekannt ist, zeigt seine Bohnen-Figuren in ausdrucksstarken Situationen zwischen Spaß und Trauer. Für ihn ist Kunst eine Reaktion, ein Affekt oder gar ein Spiel – ähnlich sei es auch mit dem Leben.

Das Künstler-Duo Various & Gould aus Berlin fällt auf den Straßen gar nicht besonders auf, während sie ihre Collagen an die Wände anbringen. Das bisschen Kleister und Papier wirke im Gegensatz zu den illegalen Graffiti-Spuren harmlos. "Charakterköpfe" heißt eins ihrer Projekte. Die bunten Gesichter sind Ausdruck der sozialen Diversität und werden im Vorfeld in einem Atelier angefertigt, um unmittelbar danach auf der Straße bei Tageslicht auf die Fassaden geklebt zu werden. Die Impulse für ihre Werke holt sich das Duo direkt auf der Straße, das Urbane ist das, was sie antreibt. Daher soll der Weg ihrer Kunst auch keinesfalls in eine geschlossene Galerie führen.  

Die Künstlerinnen und Künstler entwickeln über Jahre einen eigenen Stil und eine individuelle Arbeitsweise. Aber eine Gemeinsamkeit ist durchweg präsent: Abgesehen von der Grenze zwischen Sachbeschädigung und Kunst, an der sie sich alle bewegen, vereint sie der starke Wunsch, mit ihren Werken in die gesellschaftspolitischen Debatten niederschwellig hineinzuwirken und drängende Themen sichtbar zu machen.

"Street & Urban Art", ZDF-Mediathek, bis 21. Oktober

 

Françoise Gilot und der Kampf um Selbstbestimmung

Françoise Gilot sollte die einzige Frau werden, die sich jemals von Pablo Picasso trennte. Als sie sich kennenlernten war sie 21 und er 61. Sie ersetze die Künstlerin Dora Maar an Picassos Seite und lebte insgesamt zehn Jahre mit dem exzentrischen Künstler zusammen. Am 6. Juni dieses Jahres verstarb "die Frau, die nein sagte", wie Gilot genannt wurde, im Alter von 101 Jahren. Sie hinterlässt eine grandiose Geschichte der Emanzipation, beeindruckende Kunstwerke- und Einblicke in das Leben mit Picasso.

Vor ihrem Tod ist noch ein biografischer Film entstanden, der vor allem aus Interviews mit ihr besteht. Dort erzählt sie, vor ihren Werken sitzend, gelassen, aber pointiert von ihrer Zeit mit dem spanischen Künstler. Die beiden lernten sich zu Kriegszeiten in Frankreich kennen, wohin Picasso ins Exil geflüchtet war, und bekamen zwei Kinder zusammen. Im Gegensatz zu vorherigen Gefährtinnen des "Meisters" arbeitete sie während ihrer ganzen Beziehung weiter als Künstlerin und erschuf dabei parallel zu ihm hunderte Werke.

Die Dokumentation orientiert sich besonders an Gilots Arbeiten und zeichnet so das gemeinsame Leben des Paares nach, das von Anfang an von Gewalt geprägt war. Einmal habe er gedroht, seine Zigarette in ihrem Gesicht auszudrücken, sie hätte sich nicht gewehrt, keine Angst vor ihm gezeigt, so Gilot. Sie sei nie das gewesen, was Picasso von einer Frau erwartet hätte, sie habe sich ihm nie unterworfen. Ihre Rettung aus der Beziehung sei schließlich gewesen, dass er sie auch nach zehn Jahren nie richtig eingeschätzt habe und sie unerkannt geblieben sei, erzählt sie. "Er hätte das sonst ausgenutzt, um mich zu zerstören".

Besonders spannend ist zu sehen, wie sich die Werke des Künstlerpaares zeitgleich und doch immer konträrer zueinander entwickeln. Etwa habe Gilot nie gewollt, dass Picasso sie male. Er tat es trotzdem. Sie antwortete mit Selbstporträts, in denen sie sich als selbstbewusste Malerin zeigte und somit ihr Bild zurückeroberte. Sie malte auch Picasso und die beiden Kinder. Während er sie als friedensbringende Nymphe darstellt, werden seine Züge in ihren Gemälden mit der Zeit sichtbar härter.

Neben einigen Anekdoten, etwa dazu, wie Picassos berühmte Friedenstaube entstand, erzählt der Film Gilots Kampf um Integrität und Selbstbestimmtheit in den Fängen des "lupenreinen Diktators" Picasso. Er zeigt ihre großartigen Werke und eine starke Geschichte, die in dem mittlerweile kritischen Diskurs um den Künstler-Giganten noch häufiger erzählt werden sollte.

"Pablo Picasso & Françoise Gilot. Die Frau, die Nein sagt", Arte Mediathek

 

Wo die Kunst entsteht

Ein Künstleratelier kann auch mal die Höhle von Lascaux sein. Oder ein Schuhkarton. Oder eine Zuckerrohrplantage. Die Künstlerin Shayna Klee etwa kreiert surreale Videos für Instagram, die sie zuvor in Kisten und Feenschlössern aus Pappe filmt, in die sie anschließend sich selbst und pink gepolsterte Sessel montiert. Dabei entstehen witzige Welten, die zwischen analoger Collage und konstruierter Digitalmontage changieren. In kurzen Interview-Auszügen erzählt Klee davon, wie ihre Arbeiten während der Corona-Pandemie entstanden, als alles begrenzt und eng war.  

Das Format "Atelier A" begleitet elf Künstlerinnen und Künstler in ihren Ateliers. Teilweise wird minutenlang gezeigt, wie die Kunstschaffenden nachdenklich am Arbeiten und Herumschieben sind, von der einen Ecke ihres Ateliers zur anderen laufen. Es ist ein "Deep-Dive" in die Diversität des Kunstbetriebs und die unterschiedlichsten Arten, Kunst zu erschaffen.

Normalerweise veröffentlicht Arte im Rahmen der Serie jede Woche ein acht Minuten langes Video, in dem der Sender eine Künstlerin oder einen Künstler besucht. Anlässlich der Ausstrahlung der 400. Folge zeigt nun ein 90-minütiger Film ausgewählte Videos aus den letzten Jahren. Zu sehen sind sowohl konventionelle als auch verrückte Settings, in denen Kunst entsteht. 

Julie Chaffort etwa dreht ihre Videos in den Höhlen von Lascaux und lässt dafür Pferde Modell stehen. Oder sie filmt ein Blasorchester, dessen Spieler in Booten auf einem schlammigen See dümpeln, der Dirigent steht bis zu den Knien im Wasser. Claude Como wiederum stickt in ihrem Atelier riesige Blüten und Blätterranken auf meterhohe Leinenwände. Sie "tuftet" sie mithilfe eines Handstaubsauger-artigen Gerätes, das sie mit Wolle füttert und über das Leinen fahren lässt. Die Künstler Kid Kreol und Boogie malen riesige organische Wurzelwesen auf verlassene Hauswände. Zum Beispiel in eine verfallene Hütte auf einem Zuckerfeld der Insel La Réunion, auf dem ehemals Sklaven gearbeitet haben.  

Die "Nuit Blanche" zeigt unterschiedliche Kunstformen und Arbeitskonzeptionen, die die Zuschauenden alle auf eine beruhigende Art und Weise in ihren Bann ziehen. Die dargestellten Künstlerinnen und Künstler sind dabei nur teilweise international bekannt. Von daher ist es kein weiterer Film über die ganz Großen auf dem Kunstmarkt; vielmehr kommen weniger bekannte Kunstschaffende zu Wort, denen allein auch ein ganzer Film gewidmet werden könnte.

"Atelier A: Nuit Blanche", Arte Mediathek

 

Erwachsenwerden in der Provinz

Der 17-jährige Paul (Jonas Holdenrieder) ist ein Einzelgänger, der gerne auf verlassenen Waldpfaden unterwegs ist und neugierig die Schubladen und Taschen anderer Leute durchstöbert. Ein hübscher, einsilbiger, schwer durchschaubarer Junge kurz vor dem Schulabschluss, einer, der die Menschen anzieht: Seinen Lehrer Bulwer (Devid Striesow), der ihn für musisch hochbegabt hält. Seine Mitschülerin Dala (Valerie Stoll), die Beste in der Theater-AG, die vom Machotum des Klassenkameraden Max (Max Schimmelpfennig) eher abgestoßen ist.

Ebenso interessiert sich David, der neu an die Schule gekommen ist, für Paul – und macht ihm schöne Augen. "Trübe Wolken" spielt irgendwo in der thüringischen Provinz, wo jede jeden kennt – oder zumindest alle denken, sie wüssten über ihre Mitmenschen Bescheid. Kein ländliches Idyll, sondern ein beängstigender Ort. Gleich zu Beginn fliegt ein Stein von einer Brücke in die Windschutzscheibe eines fahrenden Autos. Später wird ein Schüler erschlagen aufgefunden. Die Polizei tappt im Dunkeln. Nach dem Drehbuch von Glenn Büsing hat Christian Schäfer einen mysteriös-melancholischen Thriller über das Erwachsenwerden gedreht. Jonas Holdenrieder als irrlichternder Paul ist fantastisch, Musik (Christopher Colaço & Philipp Schaeper) und Kameraarbeit (Sabine Sina Stephan) erzeugen einen unwiderstehlichen Sog.

"Trübe Wolken", ARD Mediathek


Ja, es gibt sie: Malerinnen der Renaissance

Schon der Begriff "Meisterwerk", der noch immer hartnäckig in der Kunst herumspukt, zeigt, dass malende Frauen im Genie-Konzept der Geschichtsschreibung nicht vorgesehen sind. Ein "Meisterinnenwerk" gibt es nicht. Künstlerisch tätige Frauen aber sehr wohl, und das schon in der Renaissance, die in der heutigen Wahrnehmung vor allem von männlichem Schöpfergeist durchdrungen ist.

Die Dokumentation "Renaissance der Malerinnen" stellt drei Künstlerinnen vor, die gegen alle Widerstände die Malerei zum Beruf gemacht haben: Sofonisba Anguissola, Lavinia Fontana und Artemisia Gentileschi. Der Film stellt nicht nur drei großartige Künstlerinnen vor, sondern beleuchtet auch die Mechanismen, wie Frauen systematisch von der Kunst und den Akademien ferngehalten wurden - Strategien, die sich übrigens jahrhundertelang gehalten haben. Zuerst sagt man, Frauen seien nicht in der Lage zu malen. Wenn sie beweisen, dass sie es doch können, heißt es, es sei unschicklich und verwerflich, wenn sie es tun. Alle drei Malerinnen brauchten männliche Fürsprecher, um ihre Nische in der Kunst zu finden. Höchste Zeit also, ihr Werk um ihrer selbst willen zu würdigen.

"Renaissance der Malerinnen: Sofonisba Anguissola, Lavinia Fontana, Artemisia Gentileschi", Arte-Mediathek, bis 4. August


Kunst, die unter die Haut geht 

Tätowierungen - früher einmal Erkennungszeichen für Seefahrer und Outlaws - sind längst im Mainstream angekommen. Auch zeitgenössische Künstler wie Wim Delvoye, Santiago Sierra, Jeremy Deller oder Monty Richthofen benutzen Tinte und Haut als Ausdrucksmittel. Und in der Kultur- und Sportwelt scheint es inzwischen, als seien mehr Menschen tätowiert als unbeschriftet. Die ARD-Serie "Flaesh" beschäftigt sich mit der deutschen Tattoo-Szene und lässt die Schöpferinnen und Schöpfer der Motive genauso zu Wort kommen wie die Träger der Bilder, die jeden Tag mit ihnen leben. 

Die vier Folgen fragen unter anderem danach, ob Tätowieren eigentlich Kunst ist, ob die Szene immer noch männerdominiert ist und inwiefern Tattoos auch eine therapeutische Wirkung haben können. Außerdem widmen sie sich dem komplexen Thema der kulturellen Aneignung. Können weiße Menschen chinesische Schriftzeichen oder Tribals spazierentragen und trotzdem respektvoll gegenüber ihren Ursprüngen sein? Diese Frage diskutieren die Tätowierer Toshihide und Katie Wolfe - und sprechen damit einen der interessantesten Punkte der um sich greifenden Tattoo-Kultur an.

"Flaesh: Tattookultur in Deutschland", ARD Kultur