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11 Kunst-Filme, die sich im Februar lohnen

Eine kranke Kunstwelt, die Aufklärung eines spektakulären Museumsraubs und das Leben einer Modelegende: Das sind unsere Filmtipps des Monats


Erinnerungen ans Berliner Tacheles

Wie das Tacheles in Berlin-Mitte seine Seele verlor, zeigt "Spiegel TV" in einer aktuellen Reportage. Die auf Luxus-Immobilien spezialisierte Jagdfeld-Gruppe hatte die als Künstlerhaus besetzte Kaufhausruine 1998 erworben, um dort ein modernes Stadtquartier zu bauen. Das Projekt geriet aber in Schieflage. Das Objekt stand deshalb lange unter Zwangsverwaltung der HSH Nordbank. Diese hatte das Gelände wiederum für 35 Millionen Euro verkaufen wollen. In einem jahrelangen Rechtsstreit setzte sie 2012 die Zwangsräumung der zuletzt von 40 bis 60 Künstlern genutzten Ruine durch. Danach war der Zugang versperrt. 2014 verkaufte die Jagdfeld-Gruppe das Gelände für 150 Millionen Euro an einen international tätigen Finanzinvestor. Seither wurde hier ein Stadtquartier für geschätzte 600 Millionen Euro entwickelt, zur Berlin Art Week 2023 hat das schwedische Fotografiehaus Fotografiska, das auch in Stockholm, Tallin und New York residiert, einen Ableger eröffnet

Der Film blickt in die wilde Vergangenheit der einstigen Ruine zurück und lässt ehemalige Besetzer zu Wort kommen. Die aktuelle Entwicklung des Ensembles kommentieren sie eher entsetzt. Außerdem gibt es einen Blick in eine der millionenteuren Wohnungen der Architekten Herzog & de Meuron, die es in den Naubauten zu kaufen gibt. Auch die Verantwortlichen des Fotografiska kommen zu Wort. Hier zeigt sich das Dilemma von profitorientierten Kulturhäusern. Einerseits wollen sie jungen Künstlerinnen und Künstlern die Chance auf Sichtbarkeit geben, andererseits sind sie Teil des Motors der Gentrifizierung, die Kreative aus einem Stadtviertel vertreibt. 

"Luxusimmobilie in Berlin: Wie das Tacheles seine Seele verlor", "Spiegel TV", auf Youtube

Ausstellungshaus Fotografiska in Berlin-Mitte
Foto: dpa

Ausstellungshaus Fotografiska in Berlin-Mitte


Mythos Balenciaga

Als Designer Demna 2021 seine erste Couture-Schau für Balenciaga präsentierte, war es eine Hommage an den Gründer des Hauses, der knapp 50 Jahre vorher verstorben war. Das Defilée wurde in den originalen Räumlichkeiten in Paris präsentiert, in denen der "König der Schneiderkunst" ab 1937 seine Modenschauen abgehalten hatte. Daher rührt auch die kurze Irritation beim ersten Anblick eben jener rosa Zimmer in der neuen Drama-Serie über den Modeschöpfer Cristóbal Balenciaga, die nun auf Disney+ zu sehen ist: Müssen diese Räume nicht damals schon unerträglich Avantgarde gewesen sein? Kurze Einblendungen später unterstreichen Entwürfe des Modemachers das Bild des Futuristen. Das sechsteilige Biopic über den baskischen Designer widmet sich den circa 30 Jahren, in denen er von Frankreich aus die Mode revolutionierte.

Die Geschichte beginnt 1971 auf der Beerdigung von Coco Chanel, wo die junge britische "Times"-Journalistin Prudence Glynn (gespielt von Gemma Whelan) den gealterten Balenciaga (Alberto San Juan) abpasst. Nach kurzem Zögern stimmt der Mann, der zeitlebens das Rampenlicht gemieden hat, einem Exklusivinterview zu. Anhand von Rückblenden entspinnt sich die Handlung. Themen wie das Franco-Regime, die Jahre der deutschen Besatzung, die Fehde mit Widersacher Dior oder Cristóbals Bewunderung für den hübschen, talentierten Givenchy dürfen in so einem Projekt nicht fehlen. Ebenso wenig wie die Erzählung der großen Liebe, personifiziert durch Balenciagas langjährigen Partner Wladzio D'Attainville (Thomas Coumans). 

Aber es wird auch nicht künstlich Drama heraufbeschworen. Und überhaupt ist es keine bedingungslose Huldigung, der man beiwohnt. Immer wieder kommt Unbehagen auf, etwa, wenn sich der Protagonist als "unpolitisch" bezeichnet, obwohl er während der Besatzung von Paris durch die Nazis nach wie vor kommerziellen Erfolg hat – nicht zuletzt, weil die Deutschen gute Kunden sind. Trotzdem überwiegt die Bewunderung – für den Designer ebenso wie die Liebe zum Detail, die in der Serie steckt. Wer Mode mag, wird seine Freude an den Querverweisen haben, wer sich nicht um sie schert, wird eine gute Rückennaht zu schätzen lernen.

Im Zentrum der spanischen Produktion stehen die Grundwerte von Balenciaga: Form, Schönheit, Präzision, Klarheit. Das zeichnet sich auch in ihrer Machart ab: In einer der beeindruckendsten Aufnahmen steht Cristóbal an einem Fenster über dem Meer, er scheint in der Luft zu schweben. Das hat etwas Surreales, ein wenig wie bei Godards "Le Mépris". Ein passendes Bild: Erinnern Balenciagas klare, teils kastigen Entwürfe schließlich selbst an tragbare Architektur.

"Cristóbal Balenciaga", Disney+

"Cristóbal Balenciaga", Filmstill
Foto: © 2023 Disney und seine verbundenen Unternehmen

"Cristóbal Balenciaga", Filmstill


Auf der Jagd nach geraubten Kunstschätzen

Im Moment macht die Sammlung des Schweizer Waffenhändlers Emil Bührle vor allem wegen ihrer umstrittenen Präsentation im Kunsthaus Zürich Schlagzeilen: Es geht um NS-Raubkunst in den Beständen und die schleppende Aufarbeitung des damit verbundenen Unrechts. 2008 gingen die berühmten Bilder der Moderne jedoch schon einmal um die Welt. Damals stürmten maskierte und bewaffnete Männer das Museum Bührle, in dem die Sammlung bis 2015 in Zürich zu sehen war. Die Täter bedrohten Mitarbeiter und Besucher des Hauses (mit einer Spielzeugwaffe, wie sich später herausstellte) und stahlen vier Gemälde im Wert von mehreren hundert Millionen Euro: Einen Cezanne, einen Monet, einen Degas und einen Van Gogh.

Zwei der Werke wurden wenig später in einem geparkten Fluchtauto gefunden, der Cezanne und der Degas blieben jedoch verschwunden und tauchten erst nach mehreren Jahren Ermittlungsarbeit wieder auf. Im True-Crime-Dokumentarfilm "Es geschah am ... Der Bührle-Kunstraub" erzählen Vertreter der Schweizer Polizei und Staatsanwaltschaft erstmals ausführlich von der spektakulären Aufklärung des Falls. Die Spuren führten demnach ins Milieu der organisierten Kriminalität in Serbien. Über einen verdeckten Ermittler, der einen Porno-Mogul mit mächtigen Kontakten mimte, gewann man das Vertrauen eines kleinkriminellen Mittelsmannes, der schließlich einen Deal zum Rückkauf der Bilder einfädeln sollte.

Der Film verknüpft Interviews mit beteiligten Protagonisten, Nachrichtenbilder von 2008 und gestellte Spielszenen, die den heiklen Auftrag des verdeckten Ermittlers Mario begleiten. Das ist manchmal etwas melodramatisch und auf Thriller-Optik zugespitzt, insgesamt ist der Fall selbst jedoch so spannend, dass man 90 Minuten mit dem besorgten Museumsdirektor und den Ermittlern mitfieber kann. Nur über den Hintergrund der Bilder und der Sammlung erfährt man leider nichts. Das ist ein anderer Fall. 

"Es geschah am ... Der Bührle-Kunstraub", 3-Sat-Mediathek, bis 31. Juli

"Es geschah am ... Der Bührle-Kunstraub", Filmstill, 2023
Foro: SRF

"Es geschah am ... Der Bührle-Kunstraub", Filmstill, 2023


Kranke Kunstwelt 

Ach, skandinavischer Künstler müsste man sein! Vollgepumpt mit Stipendien könnte man sich ganz auf seine wohlfeile Weltverbesserungskunst à la Ólafur Elíasson und Tue Greenfort oder auf Boutiquekunst à la Yngve Holen konzentrierten.

Der schwedische Regisseur Ruben Östlund hatte 2017 mit seiner Satire "The Square" die Widersprüche der nordischen Kunstszene sauber herausgearbeitet, und auch Kristoffer Borglis Regiedebüt "Sick of Myself", das in Cannes Premiere hatte, könnte man eine Kunstweltsatire nennen. Darin wird der Künstler Thomas – dessen Werk vor allem daraus besteht, Designmöbel zu stehlen und dann auszustellen – als karrieregeil und selbstbezogen dargestellt. Die Aufmerksamkeit, die er bekommt, neidet ihm seine Freundin Signe, die nun im Schatten steht: in der Wahrnehmung von Thomas und den Freunden. 

Was also tun? Sie nimmt heimlich synthetische Drogen aus dem Darknet, um mit den krassen Nebenwirkungen – ein mysteriöser Hautausschlag – zu punkten. Das funktioniert auch so weit ganz gut: So lange, wie die Abweichung von der Norm noch pittoresk ist, kann sie noch ins System eingearbeitet werden – das gilt für die Mode- und die Kunstwelt gleichermaßen. Dann übertreibt es Signe aber ein bisschen. "Sick of Myself" ist eine schwarzer Komödie aus Norwegen, die sich über ein sattes Milieu lustig macht, und eine Generation, die ständig ihr Selbst performen muss. Den Titel kann man nicht nur als den Überdruss an der eigenen Person lesen, sondern auch an der schleichenden Vergiftung durch ein zu großes Ego.  

"Sick of Myself", auf Mubi

"Sick of Myself", Filmstill
Foto: Oslo Pictures

"Sick of Myself", Filmstill


NFTs in der Kunst: Utopie oder Blase?

Im Frühjahr 2021 versteigerte das Auktionshaus Christie's ein NFT des Digitalkünstlers Beeple für 69 Millionen Euro - und brachte das Thema Kryptokunst aus den nischigen Ecken der Tech-Szene auf die Tagesordnung einer breiten Öffentlichkeit. Von Anfang an gingen die Meinungen stark auseinander: Für die einen waren die an die Blockchain gebundenen Bilder eine Befreiung, die die Kunst von Institutionen und Zwängen loslöste, für die anderen nur eine gefährliche Finanzblase, die platzen würde wie so viele zuvor. Tatsächlich haben große Teile der NFT-Werke inzwischen massiv an Wert verloren, trotzdem befindet sich Krypto-Kunst inzwischen in Museumssammlungen und ist auch für viele Künstlerinnen und Künstler weiter ein verlockendes Universum, das Autonomie vom klassischen Markt verspricht.

Die Arte-Serie "NFT: Chaos in der Kunstwelt" nimmt sich dem Phänomen nun ausführlich an und lässt mit Forscherinnen, Digital Artists und Ökonomen sowohl Skeptiker als auch Verfechter der Blockchain-Technologie zu Wort kommen. Angenehm unaufgeregt zeigen die Filme Kreative, die sich eine eigene digitale Wertschöpfungskette aufgebaut haben, aber auch Fälle, in denen doch wieder die Spekulanten mit dem größten Kaptal die Regeln bestimmen. 

Noch ist unklar, wohin sich die NFT-Kunst entwickeln wird. Die Serie hilft aber zweifellos, sie besser zu verstehen. 

"NFT: Chaos in der Kunstwelt", Arte-Mediathek, bis 2026

"NFT: Chaos in der Kunstwelt", Filmstill, 2023
Foto: Courtesy Arte

"NFT: Chaos in der Kunstwelt", Filmstill, 2023


Der niemals endende Bilderstrudel

"Wir akzeptieren all diese Bilder wie wir das Klima akzeptieren", heißt es in der Filmcollage "Glass Life" von Sara Cwynar. "Jeder Klick ein Vermögenswert". Die Künstlerin bedient sich der visuellen Überforderung, der wir (fast) alle durch Social Media Feeds, TV-Bildschirme und Werbetafeln ständig ausgesetzt sind, als Stilmittel. Ihr Kurzfilm ist selbst aufgebaut wie ein Display, auf der eine unsichtbare, allmächtige Userin immer weiter herumscrollt. 

Der Ozean an Bildern ist bodenlos. Eine perfekt geschminkte Kylie Jenner kommt in dem hypnotischen Strom genauso vor wie verlockend gewachste Äpfel, alte Röntgenaufnahmen und Kupferstiche. Den Blick abzuwenden, ist fast unmöglich. Als Protagonistin bewegt sich eine Schwimmerin mit Badekappe durch die opulenten Kulissen. Aus der Bilderflut zu entkommen scheint sie gar nicht erst zu versuchen. Vielleicht muss man sich einfach treiben lassen. 

Sara Cwynar "Glass Life", auf Mubi 

"Glass Life", Filmstill
Foto: Courtesy Mubi

"Glass Life", Filmstill


Der Fotograf Steve McCurry, die Liebe und der Krieg

Mit seinen Fotografien aus Kriegs- und Krisengebieten eröffnet Steve McCurry der Welt Einblicke in Ereignisse, die sonst leicht hätten untergehen können. Zu grausam, um es sich anzusehen, zu weit weg. In Denis Delestracs Dokumentarfilm "Die Farben von Liebe und Krieg" tritt der notorisch schüchterne McCurry aus der unsichtbare Beobachterrolle heraus und wird selbst zur Hauptfigur. Obwohl er sich zu Beginn des Films eher widerwillig vor die Kamera setzt, statt wie gewohnt die Position dahinter einzunehmen, bietet er intime Einblicke in sein Arbeits- und Privatleben.

Chronologisch erzählt McCurry seine Lebensgeschichte: vom frühen Tod seiner Mutter, einem komplizierten Armbruch, der ihn schon als Kind zum Beobachter hatte werden lassen und seiner ersten Reisen nach Indien, wo ihn afghanische Flüchtlinge erstmals in ein Kriegsgebiet mitnahmen. Bald darauf begann die internationale Karriere als Fotograf. Sein Werdegang scheint, wie McCurry selbst, "alte Schule" zu sein: Er begann in ärmlichen Verhältnissen auf eigene Faust, rutschte mehr oder weniger durch Zufall mitten in das Geschehen im Krieg, einige Monate später wurden seine Bilder erstmals in der "New York Times" abgedruckt. Es folgten zahlreiche Preise, Ausstellungen, Coverfotos.

Steve McCurrys Fotografien leiten durch dieses filmische Porträt. Dabei erzählt er von den Geschichten hinter seinen ikonischen Bildern aus dem Irak, von 9/11 und aus Afghanistan. Sogar das afghanische Mädchen mit den leuchtend grünen Augen, welches auf McCurrys wohl berühmtestem Bild zu sehen ist, kommt als erwachsene Frau zu Wort.

Auch die Diskussion um den Vorwurf von Fälschungen und Korrekturen in seinen Bildern bleibt nicht unerwähnt. Der Fotograf äußert sich dazu nur knapp: "Ich fotografiere zu meinem Vergnügen, und ich hoffe, meine Fotos sagen etwas aus." Dass ihm das gelungen ist, scheint unbestritten. Zum Ende des Films ist dann noch eine ganz andere Seite des scheuen Bilderjägers zu sehen: In einigen Aufnahmen spielt der mittlerweile 73-Jährige mit seiner Tochter im Kleinkindalter. Ein Ruhestand kommt für ihn trotzdem nicht infrage. Weiterhin will er die Katastrophen unserer Zeit ablichten. Im Fokus: Der Klimawandel.

"Die Farben von Liebe und Krieg", ARD-Mediathek, bis 11. April

Der Fotograf Steve McCurry mit seinem berühmtesten Bild eines afghanischen Mädchens
Foto: Courtesy ARD

Der Fotograf Steve McCurry mit seinem berühmtesten Bild eines afghanischen Mädchens


Memes als jüngste Popkultur

Ein kleines Mädchen steht vor einem brennenden Haus und schielt schelmisch in die Kamera. Es ist das sogenannte "Disaster Girl", das in unzähligen Varianten durch die sozialen Medien geistert. Inzwischen gibt es von diesem Meme an die 10.000 verschiedenen Varianten. Eines der etlichen Beispiele, das mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung spielt: Auf dem in Flammen stehenden Haus steht "There was a Spider." Und wenn der Blick auf das "Disaster Girl" herunterwandert, liest man "It is gone now."

Der Dokumentarfilm "Die Welt der Memes" beschäftigt sich mit dem populären Internetphänomen im Hinblick auf dessen gesellschaftliche, kulturelle und kunsthistorischen Bedeutung. Vor allem wird klar, dass Memes viel mehr sein können als Witz in Bild und Text . Das Wort Meme kommt ursprünglich von "mimea", was übersetzt "das Nachgemachte" bedeutet. Auch in der Kunstgeschichte ist der Begriff der Mimesis bekannt. Was genau macht dieses Prinzip der Wiederholung und Reproduktion so beliebt? Letzendlich treffen Memes den Nerv der Zeit, da Sie mit Hilfe von (Galgen-)Humor gesellschaftliche Misstände aufzeigen, eigentlich eine Art Bewältigungsmechanismus. 

Für jüngere Generationen können Sie sogar identitätsprägend sein, sagt der Journalist Dirk von Gehlen. Auch die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout ist sich sicher, dass Memes einen kulturellen Gewinn bringen und mit klassischer Hochkultur verglichen werden können.

Trotz dieser positiven Aspekte der Memekultur, beleuchtet die Dokumentation auch die Schattenseiten, vor allem die Gefahr, wenn Sarkasmus in brutalen Humor bis hin zu extremistischen Ansichten und Menschenfeindlichkeit kippt. Denn die Faszination und Wirksamkeit der Bild-Text-Kombinationen haben längst auch die internationale Rechte und Vertreter von Verschwörungstheorien für sich entdeckt. 

"Die Welt der Memes", 3sat Mediathek , bis 2029

Memes kann man schnell selbst erstellen.
Foto: ZDF/Alexander Vexler

"Welt der Memes", Filmstill, 2024
 


Museum für zu Hause

Das Bedauerliche an Ausstellungen ist, dass sie enden und nie mehr wiederkommen. Auch in der Erinnerung verblassen meist allmählich die Bezüge, die man selbst hergestellt hatte zwischen sich, den Werken, dem Raum. Auch der beste Katalog kann das Erleben nicht konservieren. Andererseits: Sieht man ein Werk in einem anderen Kontext wieder, wird oft auch die Erinnerung an frühere Male zurückgeholt. So, als habe man selbst zwar nicht mehr daran gedacht, aber das Kunstwerk habe sich alles genau gemerkt.

Das MMK Frankfurt filmt seit vielen Jahren seine Ausstellungen und stellt sie als relativ kompakt geschnittene Videos in einer eigenen Mediathek online zur Verfügung. Hier wird in sehr zuschauerverträglicher Länge der Museumsbesuch rekapituliert wie ein zügiger Gang zu ausgewählten Werken. Von Videoarbeiten sind Ausschnitte zu sehen. Und mehr als eine Aneinanderreihung von Arbeiten wie in einem Katalog wird auch die Dramaturgie und die Raumsituation noch mal nachvollziehbar. Auch zu Recherchezwecken eignet sich dieser Fundus hervorragend. Wer sich über den nächsten Biennale-Künstler des deutschen Pavillons, Ersan Mondtag, informieren will, erlebt ihn hier in einer Installation über sein Werk sprechen.

Die bislang ziemlich einzigartige Ausstellung "Crip Time" mit Künstlerinnen und Künstlern, die mit Krankheiten und Behinderungen leben, wird hier noch einmal gut gebündelt. Als Anne Imhof und ihr "Faust"-Team eine Schallplatte veröffentlichen, geben sie ein Livekonzert im MMK, auch das ist komplett dokumentiert. Und die singuläre Ausstellung zum Lebenswerk der notorisch abwesenden Cady Noland ist auch durch ein Vortragsprogramm präsent. Hier kann man Diedrich Diederichsen dabei folgen, wie er schon in den ersten vier Minuten von Noland über Underground Bands zu Charles Manson und dem Horrorfilm "Texas Chainsaw Massacre" gelangt. 

Man kann einen langen Abend in der MMK-Mediathek verbringen, oder, anders als in vergangene Ausstellungen, immer wieder zurückkommen.

MMK Mediathek, MMK online

Museumsfilm des MMK zur Sammlung, MMK online
Foto: Courtesy MMK

Museumsfilm des MMK zur Sammlung, MMK online

 

Das Leben einer Punk-Ikone

Sie ist die "Godmother of Punk": Aus der New Yorker Undergroundszene kommend revolutionierte Patti Smith die Rock-Musik durch ihre Poesie. Eine Arte-Dokumentation zeigt die Entwicklng der Künstlerin von ihrer Kindheit an, in der sie sich als freies, aber “hässliches Entlein” fühlte, über ihr frühes Streben nach dem Kunstschaffen, bis hin zu ihrer Verwirklichung als Musikerin, Dichterin und Fotografin.

Aus dem ländlichen New Jersey zog Patricia Lee Smith Anfang der 1960er nach New York, im Gepäck hatte sie nur Rimbauds "Illuminationen", ein Notizheft und Buntstifte. Der Film erzählt die bekannten Geschichten aus Smiths Leben: Robert Mapplethorpe, Chelsea Hotel, Andy Warhol – für Fans zunächst nichts Neues. Wieder gut macht das aber die Fülle an Originalaufnahmen, beispielsweise von ihrem ersten Theaterauftritt im Stück "Femme Fatale", sowie Konzertaufnahmen, Interviews und Geschichten, die nicht in ihren Büchern erzählt wurden.

Beeinflusst durch die Autoren der Beat-Generation, wollte Patti Smith der Poesie neues Leben einhauchen. Ihre Gedichte trug sie zur E-Gitarren-Begleitung wie eine Predigt vor und fand so ihren einzigartigen Stil. Die darauf folgende steile Musik-Karriere ordnet die Dokumentation in das Zeitgeschehen ein, zeigt die Verbindungen zur queeren Szene von New York und der Protestmusik der Bürgerrechtsbewegung. Patti Smith selbst verstand Kunst immer als politische Kraft und sagte: "Wenn man fünf Millionen Platten verkauft, sollte man damit auch ‘was aussagen, etwas mitteilen, statt eintöniges Gerede zu verkaufen."

"Patti Smith: Punk und Poesie", Arte-Mediathek, bis 8. März

Sängerin und Autorin Patti Smith, 2022
Foto: dpa

Sängerin und Autorin Patti Smith, 2022


Amalia Ulman und der Schein des Wohlstands

Bloß nicht arm aussehen! Das ist das Wichtigste für Leo und ihre Mutter María. Im Regiedebüt der Künstlerin Amalia Ulman versuchen die beiden Figuren (gespielt von Ulman selbst und ihrer Mutter Ale) den Schein des Wohlstands zu wahren. Dabei ist ihnen wohl bewusst, dass sie am Abgrund ihrer finanziellen Existenz stehen. In "El Planeta", dem kleinen Restaurant am Meer, das dem Film den Namen verleiht, lässt María anschreiben – auf den Namen ihres reichen Politiker-Freundes, der natürlich frei erfunden ist. In ihrem Pelzmantel versteckt sie Lebensmittel, für die sie kein Geld hat. Rechnungen schiebt María immer weiter in die Zukunft, als ob sie sich dann auf magische Weise auflösten. Dass die Fassade längst bröckelt, verraten spitze Kommentare der Menschen, denen sie Geld schuldet.

Leo, die bis dato in London gewohnt und als Stylistin gearbeitet hat, sieht ihre zuvor noch vielversprechende Zukunft in Gefahr, als sie sich der Tragweite der Lage bewusst wird. In der Heimat, der spanischen Hafenstadt Gijón, ist nach der Wirtschaftskrise 2008 Arbeit rar. Der europäische Traum des offenen Arbeitsmarkts und der Zollunion hat hier einen bitteren Beigeschmack.

Die argentinische Künstlerin Amalia Ulman ist den meisten als "Instagram Girl" bekannt. Mit ihrer Online-Performance zeigte sie 2014, wie einfach ein glamouröses Leben auf der Bilderplattform zu faken ist. Der Fake hat in "El Planeta" jedoch einen ernsten Hintergrund. Selbst im spanischen Gijón aufgewachsen, bekam Ulman die Auswirkungen des Wirtschaftscrashs mit. Die Film-Noir-haften Aufnahmen, in denen immer wieder leerstehende Geschäfte zu sehen sind, haben etwas Trostloses. Die fast improvisiert wirkenden Dialoge und ungewöhnlichen Schnitte überzeugen dafür mit der abstrusen Komik eines Godard-Streifens. In jedem Fall ein gelungenes Erstlingswerk.

Amalia Ulman "El Planeta", auf Mubi