Ein zu Unrecht vergessenes Meisterwerk
Josef von Sternberg wurde legendär als Regisseur von "Der blaue Engel" (Deutschland 1930), der Marlene Dietrich zu Weltruhm und nach Hollywood verhalf. Dort drehten die Berlinerin und der aus Wien stammende Regisseur noch "Marokko" oder "The Devil is a Woman" zusammen, dann setzte die Stilikone ihre Karriere fort und Sternbergs Ruhm verblasste. Zu Unrecht allerdings, denn sein letzter, in Japan gedrehter Spielfilm "Die Sage von Anatahan" zählt zu seinen eindringlichsten Werken.
Sternberg erzählt die im Kern wahre Geschichte von einer Schar japanischer Soldaten am Ende des Pazifikkriegs 1945, die das Bombardement ihres Schiffs durch die Amerikaner überleben und sich auf die Marianen-Insel Anatahan retten können. In Sternbergs Adaption leben nur noch zwei andere Menschen auf dem Eiland, vor allem die schöne Keiko, die den Männern nach und nach den Kopf verdreht. Wieviel Absicht bei der von Akemi Negishi ausdrucksvoll verkörperten Figur im Spiel ist und was die Projektion der Verehrer ist, bleibt unklar. Die Männer sind jedenfalls zwischen soldatischem Pflichtgefühl und Sehnsucht hin- und hergerissen. Wer Keiko besitzt, hat auch die Macht. Der Vorspann nennt die sechs Männer "Drohnen", die ihr Leben für "die Bienenkönigin" Keiko aufs Spiel setzen.
Neben Sternbergs hypnotischer Erzählkunst und der zwischen fernöstlicher Musiktradition und westlicher Symphonik oszillierenden Musik Ifukube Akiras trägt nicht zuletzt die Schwarzweißfotografie zur fatalen Stimmung des Films bei: Mit dem Blick eines Malers verwandelt von Sternberg den Urwald der Insel in eine Art Spinnennetz, in dem sich die handelnden Personen verfangen. Die Filmpublizistin Frieda Grafe schrieb, "welche [große] Rolle bei ihm Netze, Spitzen und Gewebe spielen, Strukturen aus Licht und Schatten, in die die Menschen wie eingewoben erscheinen. […] Sternbergs Filme bedeuten den Versuch, zurückzuerziehen zur spontanen Wahrnehmung von Formen, von Zusammenhängen, Konfigurationen und Komplexen, in denen der Mensch, seine Geschichten und vor allem auch die analytische Intelligenz nicht das Wichtigste sind."
"Die Sage von Anatahan", Arte Mediathek, bis 20. April
Kann man der Kunst vertrauen?
"Künstler sind dasselbe wie Start-up-Unternehmen. Ich sehe da keinen großen Unterschied" sagt der Leipziger Galerist Judy Lybke auf dem Instagram-Kanal der Webserie "In Art We Trust". Selbstvermarktung und -inszenierung gehören oft genauso zum Beruf von Künstlerinnen und Künstlern wie die Kreativität selbst. Instagram-Reichweite, posieren vor den eigenen Werken und wortgewandte Interviews bauen den Mythos der künstlerischen Persönlichkeit auf und halten ihn aufrecht. Wer ist man schon ohne großes Netzwerk?
Kunst machen, die es bis an die Spitze schafft, das will auch die 26-jährige Ophelia, in der neuen Miniserie von Benedict Reinhold, "In Art We Trust", die mit den Realitäten und Hoffnungen junger Kunststudierender jongliert. Die Doku-Soap-artige Satire fährt dabei einiges auf: Machtspielchen und Manipulation, dramatische Liebesaffären, Sinnkrisen und Existenzängste.
Die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) ist Zentrum des selbstironischen Schauspiels. Nach der politischen Machtübernahme der AfD in Sachen (ist es doch ein Horrorfilm?), die enorme Budgetkürzungen und neue Ansprüche an die Kunst mit sich gebracht hat, müssen sich die vier Nachwuchskünstler und -künstlerinnen Ophelia, Daphne, Hegmendon und Diamantis beim Studienpreis messen, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Gerahmt wird die Handlung von der Direktorin, die eigentlich studierte Kunstmanagerin ist, dem Professor, ein aus der Mode gekommener Künstler, der nur noch mit metaphorischen Ratschlägen dienen kann, und dem schrägen Werkstattleiter, der offensichtlich die meiste Zeit im Keller verbringt. Mit überzogenen Klischees wird ein parodistisches Bild des Kunsthochschulalltags gezeichnet, das allgegenwärtige Realitäten mit fiktiven Szenarien vereint. Auf amüsante Art kommentiert die Serie so nur leidlich verfremdete Leipziger Kunstpersönlichkeiten und die Strukturen des kommerziellen Kunstsystems selbst.
"In Art We Trust", auf YouTube, neue Folgen jeden Freitag
Die elegante Revolution der Coco Chanel
"Ich habe mit allen Modeschöpfern gekämpft, ich kämpfe ständig", sagt Gabrielle Chanel, genannt Coco, am Anfang dieser Dokumentation von 2018. Wie die Designerin (1883 - 1971) aus größter Armut auf den Olymp der Modebranche kletterte (und nebenbei die weibliche Schönheit neu definierte), davon erzählt der Film "Coco Chanel: Die Revolution der Eleganz" natürlich auch. Aber er ist keine Hommage im klassischen Sinne, weil er seine Protagonistin auch in ihrer Widersprüchlichkeit zeigt und ihr Stricken an der eigenen Legende thematisiert.
Das Porträt zeigt die Modeschöpferin, die vor 50 Jahren starb, als Person mit eisernem Willen, die beim Aufbau ihres Imperiums auch auf nicht ganz so faire Mittel zurückgreift. Der Film zeichnet Coco Chanel als Getriebene, die ihre soziale Benachteiligung zu kompensieren versucht. Nebenbei ist er auch ein Porträt der gnadenlosen - und männerdominierten - Pariser Modewelt.
"Coco Chanel, die Revolution der Eleganz", Arte Mediathek, bis 3. Februar
Filmfestival für zu Hause
Der andauernde Corona-Lockdown hat bei vielen vor lauter Zuhausebleiben ein neues Gefühl hervorgebracht: die Streaming-Plattformen leergeschaut zu haben. Sehenswerten Nachschub bieten die Filmfestivals, die aufgrund der Schließung von Kinos ins Digitale ausweichen. Auch das renommierte Festival Max Ophüls Preis im Saarland, das begehrte Auszeichnungen für Neuentdeckungen in der deutschen Filmbranche vergibt, geht 2021 vollständig online. Gestreamt werden insgesamt 98 Filme, die kürzesten Werke werden als Blöcke gebündelt. Im Wettbewerb Spielfilm läuft unter anderem der künstlerisch-essayhafte Film "Die Sonne brennt" von Joséphine Demerliac über eine junge Französin, die sich in Berlin verliert. Dort trifft sie auf ein Künstlermilieu zwischen lyrischer Überhöhung und Gewalt. Tickets zum digitalen Kinobesuch gibt es ab acht Euro.
Filmfestival Max Ophüls Preis online, bis Sonntag, 24. Januar
Was bedeutet Männlichkeit?
Der US-Schauspieler Jonah Hill hinterfragt mit seinem Regiedebüt "Mid90s" Geschlechterrollen. Der Film solle helfen, traditionelle Männlichkeit zu überdenken, sagte der 35-Jährige ("21 Jump Street", "The Wolf of Wall Street") bei der Berlinale 2018, wo er "Mid90s" vorstellte. "Traditionelle Männlichkeit bedeutete zumindest in den 90er-Jahren, dass man keine Emotionen oder Sensibilität zeigte." Stattdessen spreche man sehr verletzend miteinander. "Das führt aber zu einem furchtbaren Verhalten." Er habe die Probleme zeigen wollen, die daraus entstehen.
Der lyrische Film "Mid90s" erzählt vom 13-jährigen Stevie, der sich bei einer Gruppe Skatern eine Ersatzfamilie sucht. Die Jungen haben zu Hause alle mit Problemen zu kämpfen und flüchten sich in eine Welt der Rebellion, mit dauerhaftem Fluchen und Drogenexzessen. Jonah Hill schrieb das Drehbuch und führte Regie. Als Schauspieler habe er bisher immer die Vision eines Regisseures erfüllt. Dass er nun selbst hinter der Kamera stand, war eine neue Erfahrung: Nun habe er ein Team zusammenbringen und für seine Idee gewinnen müssen. Es hat sich gelohnt.
Jonah Hill "Mid90s", auf Mubi
"Victoria" - Eine Nacht, eine Einstellung
Bis ins Gigabyte-Zeitalter war es unmöglich, Filme in einer einzigen Einstellung zu drehen. Immerhin wagte Hitchcock 1948 mit "Rope – Cocktail für eine Leiche" um ein schwules Studentenpaar, das mit der Leiche eines getöteten Komilitonen eine Mordsgaudi zu veranstalten sucht, ein Echtzeitexperiment, das er allerdings aus einem Dutzend Einstellungen zusammenkleben musste.
Nach Alexander Sokurows "Russian Ark" (2001) war Sebastian Schippers "Victoria" (2015) überhaupt erst der zweite – und bisher stärkste – astreine One-Take-Movie der Filmgeschichte. Mit Nervenstärke, Kondition und Glück drehten Regisseur Schipper und sein Team in einer Aprilnacht 2014 einen Film über Freundschaft, Liebesanbahnung und einen Raubüberfall mit katastrophalen Folgen – ohne dass der Kameramann Sturla Brandth Grøvlen (Silberner Berlinale-Bär für diese Tour de force) auch nur einmal die Kamera absetzen konnte.
Die mit einer Clubnacht beginnende Geschichte aus Berlin, die dem Leben der jungen Spanierin Victoria (Laia Costa) eine jähe Wendung gibt, entwickelt einen dramatischen Sog, den man selten erlebt im Kino. In weiteren Hauptrollen sind Frederick Lau und der damals noch unbekannte Franz Rogowski zu sehen. Alles oder Nichts, die Devise beim Dreh, teilt sich derart dem Publikum mit, dass die Spannung fast nicht auszuhalten ist. "Victoria" war das deutsche Glanzstück des Filmjahres 2015.
"Victoria", ARD-Mediathek, bis 25. Januar
Tanz und Kunst
Tanz und bildende Kunst haben schon immer einen intensiven Flirt miteinander unterhalten. Wie Bewegung zum intimen Gesamtkunstwerk werden kann, erkunden gleich drei Formate über die Ausdruckskraft des Körpers.
Auf Arte arbeitet eine Dokumentation Leben und Werk der grandiosen Pina Bausch auf, die als Choreografin und Ballettdirektorin das Wuppertaler Tanztheater zu internationaler Bekanntheit führte. Nachdem Wim Wenders der Künstlerin mit dem Film "Pina" bereits ein bildgewaltiges 3-D-Denkmal gesetzt hat, ist dieses Porträt eher ein zurückgenommenes Kammerspiel, aber gerade deshalb nicht weniger sehenswert.
Die Mubi-Mediathek lässt mit dem emotionalen Tanzfilm "Isadora’s Children" die tragische Geschichte der amerikanischen Tänzerin Isadora Ducan wieder aufleben. In deren Werk finden sich knapp ein Jahrhundert später drei Frauen wieder und verleihen den Choreografien neuen Ausdruck. Und auch Netflix zeigt uns durch die Serie "Move", wie essenziell Tanz im Leben seien kann. Sechs verschiedene Tänzer und Tänzerinnen werden in der Reihe porträtiert und berichten, was Bewegung für sie bedeutet.
"Das Erbe der Pina Bausch" auf Arte, bis 8. Februar, "Isadora's Children", auf Mubi, "Move", auf Netflix
Die Maler und das Meer
Was Kunstschaffende und Pauschaltouristen gemeinsam haben? Oft zieht es sie an die Strände der Welt. Die Dokumentation "Die Malerei und das Meer" geht dieser Faszination der Kunst für das Darstellen von Wellen und Wasser im wahrsten Sinne auf den Grund. Das Meer verkörperte für viele Maler der Kunstgeschichte (ja, es geht leider vor allem um männliche Künstler) sowohl Freiheit und Weite, als auch Gefahr und Verderben. Außerdem war das Meer stets Schauplatz von Kriegen und Schlachten - eine Tatsache, die man heute auf die vielen Menschen übertragen kann, die beim Versuch sterben, Europa über das Wasser zu erreichen. Der Film besucht die Schauplätze berühmter Gemälde von unter anderem Tintoretto, Gustave Courbet, Caspar-David Friedrich, Paul Cézanne und Salvador Dalí.
"Die Malerei und das Meer", Arte-Mediathek, bis 16. April
Das CTM-Festival zieht ins Digitale um
Aufs Feiern müssen die Gäste des Berliner Kunst- und Musikfestivals CTM im Lockdown nicht verzichten - der Rave findet diesmal allerdings virtuell im Computerspiel "Minecraft" und im eigens fürs Festival entwickelten Software-Environment statt. Über die DJ-Sets hinaus werden zahlreiche Inhalte auf Youtube gestremt, darunter ein Konzert von Sean Nicholas Savage, ein gemeinsames Performance-Projekt von Isabel Lewis und Loraine James und eine Koproduktion des Duos Gabber Modus Operandi mit dem Animator Rimbawan Gerilya und dem Choreografen Siko Setyanto, die verspricht bunt und laut zu werden.
Dazu gibt es Paneldiskussionen; unter anderem diskutieren Caroline Basta und Lil Internet vom Berliner Kollektiv New Models mit ihren Gästen neue Entlohnungsmodelle für einen mehr denn je im digitalen Raum stattfindenden Kreativbetrieb.
CTM Festival, online, bis 31. Januar