Neu im Kino: "Gotthard Graubner. Farb-Raum-Körper"

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Ein Dokumentarfilm gewährt sommerliche Einblicke in die Arbeitsweise des 2013 verstorbenen Malers Gotthard Graubner

Welchen Hut ziehe ich heute an? Die Wahl fällt Gotthard Graubner nicht schwer. Sein Atelier und zugleich Wohnhaus auf der Museumsinsel Hombroich in Neuss bietet in dem Chaos aus Tageszeitungen, Postkarten von Renaissance-Madonnen und Malutensilien aller Art reichlich von der immer gleichen Toskana-Fraktion-Sorte. Der Sommer 2010, in dem das Filmporträt von Tilman Urbach entstanden ist, lädt zu gemächlichen Spaziergängen über weitläufige Wiesen der Insel ein. Die Kamera hält diskret Abstand, weiß aber auch ihre Fühler auszustrecken, wenn der Meister sein Zitaten-Reservoir öffnet.

Cézanne? Sagte einmal, "um die Sonne zu malen, müsste man sich hinter die Leinwand stellen". Monet? Gab weise den Zweck seiner Kunst zu Protokoll: "Wenn ich es sagen könnte, bräuchte ich es nicht zu malen". Dem Geplauder mit dem Gärtner folgt die Klage darüber, dass kaum noch jemand die vielen Nuancen des Grün in der Natur erkenne. Die Verarmung des Sehens sei weit fortgeschritten, konstatiert der Mann, der es mit seinen monochromen "Farbraumkörpern", wie er sie nennt, bis in den Berliner Reichstag und ins Schloss Bellevue geschafft hat.

Das Konzept für die Präsentation des Insel-Museums erklärt Graubner für seine Verhältnisse fast ausschweifend. Ein Dialog der Kulturen über Epochen und Gattungen hinweg habe ihm vorgeschwebt. Ob Axel Vervoordt sich hier inspirieren ließ? Chinesische Vasen treffen auf Khmer-Skulpturen. Hier und da taucht eines seiner Kissen auf. Legenden sucht man vergebens. Die bevormunden nur den Besucher, so Graubner kategorisch. Zurück im Atelier, wo die Kissen-Sammlung "wächst und gedeiht", gibt er eine Kostprobe seiner Arbeitsweise. Es "kisst" an den Wänden und auf dem Boden, in allen Größen und Farbtönen, auf Stoff und Papier.

In der Pose eines chinesischen Kalligraphen hält Graubner stehend Abstand zum Bild. Dafür erreichen die Pinsel Körpergröße. Während die Drucke trocknen, bearbeitet er die Kissen mit homöopathisch verdünnter Farbe oder gleich mit Wasser, Schicht um Schicht, bis der passende Licht-Effekt entsteht. Dann kommt die Siesta auf dem Sofa. Graubner sinniert über die chinesische Lehre vom Nichtstun und raucht eine Zigarre.

Damit beim Betrachter nicht allzu viel meditative Versenkung aufkommt, drängt der Sammler Volker Kahmen ins Bild. Eloquent nimmt der langjährige Weggefährte das Werk auseinander, berichtet von der Wohngemeinschaft mit Josef Beuys und den Steinen, die Graubner als entfernte Kissen-Verwandte in Kisten arrangiert. Oder er schwärmt vom "Riesenzauber", der von den in einem langen Prozess malträtierten Riesen-Wölbkörpern ausgeht.

Heinz Liesbrock, Direktor des Josef Albers Museum in Bottrop, geizt ebenfalls nicht mit wohlwollenden Worten, erkennt in der Schau "Gespräch mit Josef Albers", die Graubner mit dem Erfinder der ineinander geschachtelten Quadrate konfrontiert, wenig überraschend "Gespräche zwischen Farben" und eine Wesensverwandschaft zu Albers. Das Sammler-Ehepaar Lenz ist in der Pariser Dependance der Galerie Karsten Greve natürlich auch voll des Lobes. Nach der Ausstellungseröffnung lässt man es sich bei Chartier gut gehen. Und wo sind die Kritiker, Feinde, Neider und üblen Nachredner des ehemaligen Professors der Düsseldorfer Kunstakademie?

Graubner selbst, dessen Biographie mit wenigen Schwarz-Weiß-Fotos abgehandelt wird, reagiert auf die Frage nach den Dissonanzen in seinem Werk sogar wie wachgeschüttelt. Vielleicht hätte er Gefallen gefunden an der einen oder anderen Widerrede? Dem drei Jahre vor seinem Tod allzu hagiographisch geratenen Kuschel-Film hätte man jedenfalls mehr Harmonieuntauglichkeit gewünscht.