Herr Rost, Herr Ullrich, seit Mitte März 2025 sind Sie Sekretär und stellvertretender Sekretär der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste. Sie sind als Künstler und Kunstwissenschaftler gut beschäftigt. Warum ist es für Sie reizvoll, diese ehrenamtliche Aufgabe zu übernehmen?
Andreas Rost: Wir haben beide Spaß daran, Sachen zu bewegen und anzustoßen, neue Gedanken einzubringen. Wir sind mitten in den ersten 100 Tagen, in denen man sich finden und Ideen und Vorschläge machen kann.
Wolfgang Ullrich: Ich finde die Grundidee einer Akademie sehr schön: Menschen, die etwas mit Kunst und Kultur zu tun haben, sichern sich gegenseitig ab. Gerade in Zeiten, in denen einige von uns wieder vermehrt spüren, schnell in eine Außenseiterposition zu geraten, in denen Kunst und Kultur gar Anfeindungen ausgesetzt sind, ist es wichtig, dass es solche Institutionen gibt. Ganz unabhängig davon, was man mit Projekten und Initiativen konkret bewegen kann. Akademien der Künste wie auch Akademien der Wissenschaften dienten auch historisch immer wieder dazu, dem Nicht-Selbstverständlichen einen geschützten Ort zu bieten. Nicht ohne Grund sind gerade diese beiden Bereiche in unserem Grundgesetz in Artikel 5, Absatz 3 mit eigenen Freiheitsrechten gewürdigt. Deshalb sollte man diese Idee ehren, und ich war gern bereit, diese Funktion zu übernehmen.
AR: Ich glaube, es war für die Akademie auch wichtig, sich mit uns beiden zu verjüngen. Wir sind 58 und 59 Jahre alt, da ist es etwas witzig, von Verjüngung zu sprechen. Aber Wolfgang steht mit seiner Forschung und seinen Publikationen für einen zeitgenössischen Kunstbegriff, etwa auch mit den Untersuchungen zum Einfluss von Social Media auf Kunst oder zu Empowerment. Und genau das soll eine Akademie sein: Ein Ort, wo aktuelle Fragen diskutiert werden, ohne ökonomischen Druck von außen.
WU: Andreas bringt natürlich auch Berliner Geist und die Nähe zu Kunsthochschulen, deren Sichtweisen und Bedürfnisse, mit ein.
Mit Blick auf die Zusammensetzung der Sektion fehlen tatsächlich jüngere Stimmen, etwa auch von den Professorinnen und Professoren der beiden Kunsthochschulen in Leipzig und Dresden. Haben Sie darauf Einfluss?
WU: Zum einen ist die Gesamtzahl der Akademiemitglieder nicht beliebig zu erhöhen. Zum anderen sind die Mitgliedschaften lebenslänglich, daher werden üblicherweise keine 30-Jährigen nominiert, von denen man ja noch gar nicht weiß, wie die sich weiter entwickeln.
AR: Wir werden in diesem Jahr hoffentlich noch Neuberufungen vornehmen. Dazu braucht es einen Senatsbeschluss. Die Klasse soll jünger und weiblicher werden und es wird nicht mehr so einen starken Überhang von Fotografie und Malerei geben. Wir haben auch festgestellt, dass die letzte Ausstellung der Klasse schon über zehn Jahre her ist. Es steht auf unserer Wunschliste ganz oben, eine Ausstellung für die Klasse zu organisieren, wahrscheinlich 2026/2027 in Berlin.
Die Akademie hat die Aufgabe, den geistigen und künstlerischen Reichtum der Region zu zeigen und sich den Fragen zu stellen, die mit dem sozialen und kulturellen Wandel und den aktuellen gesellschaftlichen Brüchen verbunden sind. Dazu gehört laut Selbstverständnis auch, auf neue und zukunftsweisende Entwicklungen in den Künsten einzugehen. Wie wollen Sie diesen Aufgaben nachkommen? Was planen Sie konkret?
AR: Wir haben viel darüber nachgedacht, was aktuell sinnvoll ist. Zum einen geht es darum, die Sichtbarkeit der Akademie zu erhöhen. Das hat auch damit zu tun, dass wir derzeit kein eigenes Haus, sondern nur Büroräume haben. Ein größerer Ort ist ein langfristiges Ziel der Akademie, damit Menschen sich versammeln können. Dann haben wir die Jahreshauptversammlung im September, in der die Autonomie der Kunst und somit Wolfgang eine wichtige inhaltliche Rolle spielen wird. In Sachsen gibt es derzeit massive Kürzungspläne. Besonders dramatisch sind die Auswirkungen in der Fläche, außerhalb der großen Städte Leipzig und Dresden. Wir haben uns die Aufgabe gestellt, auch in Städten wie Görlitz oder Riesa aktiv zu sein. Dafür müssen wir nun Drittmittel akquirieren und überlegen: Mit wem verbünden wir uns? Was machen wir konkret?
WU: Akademien neigen dazu, eher Leuchtturmprojekte zu unterstützen. Im Moment ist es aber viel wichtiger, in kleineren Orten präsent zu sein. Wir hoffen, dass auch einzelne Akademiemitglieder bereit sind, sich an solchen Orten einzubringen, aufzutreten oder etwas zu kuratieren. Viele kleinere Kunstvereine, Off-Spaces und Demokratieförderprojekte sind in ihrer Existenz bedroht oder haben nur noch so wenig Geld, dass sie nicht mehr das Programm machen können, für das sie ursprünglich gegründet wurden. Da können wir als Akademie zumindest die Aufmerksamkeit drauf lenken - und uns wie jetzt hier kritisch dazu äußern.
Bereits am 24. Januar wurde ein gemeinsamer Appell der deutschen Akademien der Künste gegen die Kürzung kultureller Förderung veröffentlicht. Da hieß es: "Sprechen Sie mit den Kulturschaffenden und entscheiden Sie nicht über unsere Köpfe hinweg." In Sachsen wurde nun am 3. April der Haushalt für 2025/2026 in den Landtag eingebracht. Wurde mit Ihnen gesprochen?
AR: Aktuell gibt es leider keine Gespräche zwischen Landesregierung und Akademie. Wir bemühen uns sehr stark darum und haben auch unseren Präsidenten Wolfgang Holler gebeten, da entsprechende Initiativen zu starten. Bedauerlicherweise haben wir bisher keine Gesprächstermine. Wir sind bereit! Es ist eine Aufgabe der Akademie, dass wir die Politik beraten, und da müssen wir uns wieder aktiver ins Spiel bringen. Wenn überall gekürzt wird, wäre es komisch, wenn die Kultur ausgenommen wird. Was ich gegenwärtig problematisch finde ist, dass mit dem Rasenmäher überall 10 oder 20 Prozent angesetzt werden, ohne mit den Betroffenen zu sprechen. Wenn große Institutionen weniger bekommen, ist das für die nicht schön, aber sie gehen nicht kaputt. Kleinere Vereine, die plötzlich 20 Prozent weniger haben, sind schnell existenzbedroht.
Die finanzielle Trägerschaft der Akademie obliegt dem Freistaat Sachsen. Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben werden der Akademie Mittel nach Maßgabe des Staatshaushalts bereitgestellt. Auch die Akademie wird nach aktuellem Stand wohl 20 Prozent weniger bekommen. Was bedeutet das konkret?
AR: Das führt dazu, dass wir kein Programm mehr machen können. Wir kommen wohl auch in die Situation, dass der Hans-Theo-Richter-Preis ausfällt, den die Akademie mit der Hildegard-und-Hans-Theo-Richter-Stiftung verleiht. Das ist ein Preis für Grafik und Zeichnung, davon gibt es nicht viele in Deutschland. In Sachsen gibt es überhaupt nur sehr wenige Kunstpreise. Eigentlich bräuchten wir mehr. Es gibt hier schließlich zwei wichtige Kunsthochschulen. Da kommen tolle Leute raus, die Sachsen oft verlassen. Man sollte doch darum bemüht sein, diese jungen Künstler in Sachsen zu halten.
WU: Wenn man einen renommierten Preis aussetzt, muss man später wieder fast bei null anfangen, und der Preis hat allein dadurch an Renommee verloren, dass er ein paar Mal nicht verliehen wurde. 20 Prozent weniger sind für die Akademie wirklich existenzbedrohend. Sie kann ihre Aufgaben nicht mehr angemessen wahrnehmen. Wir haben Fixkosten für Räume und Gehälter, bräuchten aber als Akademie auch mindestens 200.000 Euro, um inhaltlich so arbeiten zu können, wie es die Satzung vorsieht. Wenn die Akademie das nicht mehr kann, wird sie als Institution umso angreifbarer. Das halte ich aktuell wirklich für gefährlich. Umgekehrt kann man auch fragen: Warum hat ein Staat ein Interesse daran, eine Institution so wenig zu fördern, dass sie ihrer eigenen Bestimmung nicht nachkommen kann?
AR: Kunst ist ein schwer evaluierbares Geschäft, aber so wichtig für die Demokratie. Eine Demokratie ohne freie Kunst ist nicht vorstellbar. Und Kunst braucht die Demokratie, um sich entfalten zu können. Wir wissen in Sachsen ja zu gut, was es für Künstlerinnen bedeutet, sich nicht frei äußern zu können. Kunst in einem nichtdemokratischen System bringt mit sich, dass Kunst sich der Diktatur in irgendeiner Art und Weise anpassen muss. Oder sie wird in die Rolle des Widerstands gezwungen. Ich glaube, dass beides nicht die originären Aufgaben von Kunst sind. Kunst bietet Menschen die Möglichkeit, auf ganz individuelle Weise Erfahrungen zu machen, die ihnen sonst nicht möglich sind, zu sich selbst zu kommen und sich mit sich selbst zu versöhnen, weil die Kunst ihnen Perspektiven bietet, die das Selbstgespräch nicht eröffnen kann.
Herr Rost, nach der Maueröffnung waren Sie als 23-Jähriger aktiv am "Runden Tisch" in Leipzig. Schließt sich mit dem Ehrenamt in der Sächsischen Akademie der Künste für Sie ein Kreis?
AR: 1989 waren wir sehr erfolgreich und haben die Diktatur abgeschafft. Die Leute, die damals aktiv waren, kamen - mit wenigen Ausnahmen - nicht in der Politik der Bundesrepublik an. Ich war damals sehr verärgert zu erleben, mit welcher Ignoranz die Erfahrungen ostdeutscher Bürgerrechtler im Prozess der Wiedervereinigung ignoriert wurden. Danach habe ich mir geschworen, nie wieder Politik zu machen. Jetzt sind wir in diesem Senat der Akademie gelandet und ich merke, das ist jetzt auch eine politische Aufgabe. Ich möchte das machen, weil wir in einer Situation sind, wo vieles, für das ich als Bürgerrechtler 1989 und auch davor eingetreten bin, massiv bedroht ist.
Herr Ullrich, Sie leben seit vielen Jahren in Leipzig. Haben auch Sie eine ganz persönliche Motivation für dieses Ehrenamt?
WU: Ich bin gebürtiger Wessi und lebe seit zehn Jahren in Sachsen. Ich spüre die Differenzen in der Sozialisierung immer wieder. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich für das Amt in der Akademie gefragt wurde, als jemand, der nicht gebürtig aus Sachsen kommt. Das ist aber auch der Grund, warum mir unwohl wäre, die Sprecherrolle innezuhaben. Dann wäre ich schnell in der Rolle des "Besserwessis". Deshalb finde ich das mit uns beiden eine sehr gute Lösung: Mit unseren unterschiedlichen Biografien und Herkünften und zugleich großer Schnittmenge an Überzeugungen. Ich kann mir das nur im Tandem mit Andreas vorstellen, mit jemandem, der diese Situation hier ganz anders verstehen kann.
AR: Wir werden diesen Ost-West-Widerspruch nicht komplett auflösen, wie auch Steffen Mau jüngst in seinem Buch "Ungleich vereint" formuliert hat. Gut ist, wenn man ins Gespräch kommt, sich gegenseitig ergänzt und so vorankommt. Das wollen wir beide versuchen. Wir verstehen uns als Doppelspitze. Wir wollen die Ost-West-Kiste nicht auflösen, aber produktiv machen. Wir werden im Herbst in Westdeutschland, im Saarland, auftreten. Da wird die Sammlung von Peter Ludwig gezeigt, der viel aus der DDR gesammelt hat. Es sind viele Mitglieder der Klasse dabei, etwa Max Uhlig und Carlfriedrich Claus, und wir werden da als Akademie einen Abend gestalten. Die Klasse Baukunst macht derzeit wiederum viel zum Wiederaufbau der Ukraine. Die Verbindungen in die osteuropäischen Länder sind sehr wichtig für die Akademie. Auch da möchten wir uns einbringen.