Ein Museum ist ein Ort der Blicke und der Körper. Aber auch eine Institution der Ausgrenzung. Die Choreografin Sophie-Yukiko Saint Laurent hat die queere Subkultur des Vogueing ins Berliner Bode-Museum gebracht - und Bilder von Wucht und Zartheit geschaffen
Museen sind nicht nur Räume des Sehens, sondern auch des Gesehenwerdens. Wie die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk in ihrem Buch "Spaces of Experience" schreibt, sind Ausstellungsräume schon immer Orte mit komplexer Blickordnung gewesen. Das schweifende Sehen stiftet nicht nur Verbindungen zwischen Menschen und Kunstwerken, sondern auch zwischen den Besuchern. Die Kunst macht die Betrachter im Idealfall empfindsam, schafft also einen emotionalen Nährboden für Begegnungen.
Ums Gesehenwerden und sich gegenseitig Sehen geht es auch im Performance-Projekt "Here" im Bode-Museum in Berlin. Dabei treffen die reglosen Kunstwerke auf lebendige Körper, und die lebendigen Körper treffen aufeinander. Die Tänzerin und Choreografin Sophie-Yukiko Saint Laurent hat das Museum zusammen mit Regisseurin Svenja Trierscheid in eine besondere Ballroom-Bühne verwandelt. Sophie-Yukiko Saint Laurent und die anderen Performer sind Mitglieder des europäischen Ablegers des House of Saint Laurent, einem New Yorker Ballroom-Haus, das unter anderem durch den Film "Paris Is Burning" (1990) bekannt wurde.
Die queere Ballroom-Subkultur und das Vogueing sind in Europa bisher eher selten sichtbar - auch wenn das Thema durch Popkultur-Phänomene wie die Netflix-Serie "Pose" inzwischen ein breiteres Publikum erreicht. Ballroom-Häuser sind familiäre Zusammenschlüsse von queeren Menschen of color, in denen der Tanzstil des Vogueing geprägt wurde und immer weiterentwickelt wird. Die Houses organisieren spektakuläre Bälle und treten in Wettbewerben gegeneinander an. Vor allem sind sie aber auch Zufluchtsorte für marginalisierte Menschen, für die ihre Bühnenauftritte Akte der Ermächtigung sein können.
Zugang, wo lange keiner war
Beim Projekt "Here" steht jedoch nicht das Glamouröse und Laute im Vordergrund, das Vogueing-Shows oft prägt. Es geht vielmehr um Verletzlichkeit und darum, Bilder für die Fürsorge und Zärtlichkeit der House-Mitglieder untereinander zu finden. "Ich wollte etwas radikal Weiches", sagt Sophie-Yukiko Saint Laurent. Das Video und die Fotostrecke, die aus der Idee entstanden sind, spielen mit Nähe und Distanz. Sie zeigen die Herrscherbilder und Kriegerkörper in den Prachträumen des Museums, schenken aber den Performern und ihrer Interaktion mehr Aufmerksamkeit als den berühmten Kunstschätzen.
Das Museum ist für Sophie Yukiko-Hasters ein besonderer Ort. Der Kuppelsaal des Bodemuseums erinnert an einen Sakralbau, das Gebäude steht aber auch für eine eurozentristische, elitäre und weiße Kulturtradition, die Beyoncé und Jay-Z schon in ihrem "Apeshit"-Video im Louvre auf den Kopf gestellt haben. Auch im Film "Here" besetzen nichtweiße, nicht-binäre Körper einen Raum, zu dem sie lange keinen Zutritt hatten.
Dabei steckt im Bode Museum viel queeres Potenzial, denn die Kunstgeschichte ist voll von Figuren, die nicht ins heterosexuelle Mann-/Frau-Schema passen und auf unterschiedlichste Weise körperlich sind und begehren. Das rückt nun auch die Ausstellungsreihe "Der zweite Blick" im Bode-Museum in den Fokus, die sich mit verschiedenen Spielarten der Liebe in Sammlungswerken auseinandersetzt. Zur Eröffnung hat das House of Saint Laurent zusammen mit anderen Ballroom-Tänzern eine Choreografie von Sophie-Yukiko Saint Laurent vor 600 Zuschauern performt. Eine Intervention aus äußerst lebendigen Körpern, die sich ausdrücken wollen. Und die auch den Blick auf die steinernen Leiber auf ihren Sockeln verändert.