Legendäre Bar Basso in Mailand

"Jeder ist bei uns ein Star"

In Mailand trinkt man nirgendwo so stilvoll wie in der Bar Basso. Nun kommt das legendäre Lokal für ein Gastspiel nach Berlin. Ein Gespräch mit Betreiber Maurizio Stocchetto über prominente Gäste, die Kunst der Geselligkeit und den Fluch des "falschen Negroni"

Während der Mailänder Design-Messe Salone Del Mobile kann man in der Via Plinio hervorragend mit attraktiven Jungdesignern über die Schönheit von Kacheln schwärmen, Visitenkarten und Instagramprofile tauschen, gutes Business machen und noch besser betrunken werden. Den Rest des Jahres – außer im August, da sind Ferien – ist die Bar Basso eine Institution italienischer Aperitivo-Kultur: eisgekühlter Campari, Patatine und Oliven.

Zum Berliner Gallery Weekend wird die Bar Basso als Pop-Up auf das Reference Festival am Berliner Ku’damm ziehen. Denn der Streetstyleblog "Highsnobiety" kollaboriert mit der legendären Bar für eine limitierte Fashion-Edition. Freche kulturelle Aneignung womöglich, aber vor allem eine schöne Liebeserklärung an einen Sehnsuchtsort, an den man sich in diesen Pullovern und T-Shirts bestens träumen kann. Wir haben Maurizio Stocchetto, Betreiber der Bar Basso, Anfang April vor seinem berühmten Neonschild auf einen Sbagliato getroffen.

Maurizio Stocchetto, Sie haben die Bar von Ihrem Vater übernommen, er hat sie aber nicht eröffnet, richtig?

Benannt wurde die Bar nach Signore Basso, der hat sie 1947 eröffnet. Mein Vater Mirko wuchs in Venedig auf, nach dem Krieg 1946 ist er erstmal in den mondänen Skiort Cortina d’Ampezzo gezogen, hat in einer Hotelbar mit internationalen Gästen gearbeitet. Es war Kriegsende, die Leute wollten Spaß. Es kamen viele wohlhabende und kosmopolite Gäste, vor allem Amerikaner, und die liebten die Cocktails aus Italien. Mein Vater wollte sich irgendwann selbstständig machen und erfuhr von einem Getränkelieferanten, dass in Mailand die Bar Basso verkauft werden sollte. Also überzeugte er Herrn Basso, und meine Familie zog 1967 nach Mailand. Er nahm die internationale Atmosphäre einer großen Hotelbar mit und brachte sie in diese kleine Bar an einer Mailänder Straßenecke.

Wie alt waren Sie, als Ihr Vater die Bar übernahm?

Ich war sieben, bin also da aufgewachsen. Mittags kam ich nach der Schule her und wurde von einem Haufen interessanter Gäste adoptiert. Die ließen mich ihre Gespräche lauschen, über Fotografie, über den Vietnamkrieg. Das war ein Einblick in Barkultur, ich verstand, wie Erwachsene Spaß haben. Und das ist etwas, das ich in meinem Leben am meisten liebe: mit Menschen in Beziehung zu treten und zu sehen, was passiert, wenn man andere zusammen bringt. Mit 16 Jahren habe ich angefangen, hier zu arbeiten, ich brauchte Geld, um Benzin für mein Motorrad zu kaufen. Ich habe die Schule abgebrochen. Meine Eltern waren natürlich nicht besonders glücklich darüber, also habe ich mich selbst finanziert. Und zog dann 1982 nach Kalifornien, um der Wehrpflicht zu entgehen. Ein paar Jahre bin ich geblieben.

Wo genau?

In Berkley. Ich habe amerikanische Literatur studiert, hatte viel mit der Beat-Generation und den Beatniks und all diesen 50er-Jahre-Sachen zu tun. Obwohl das 1982 musikalisch gesehen schon vorbei war und die Leute mich für verrückt hielten, dass ich in die Bars von Jack Kerouac oder William S. Burroughs gehen wollte. Ich habe Uni-Kurse belegt, einfach, weil meine Freunde sie unterrichteten. Das war Lernen in seiner reinsten Form, keine Abschlussprüfung, aber Nächte in der Bibliothek verbracht.

Und dann?

Als ich nach Mailand zurückkam, hatte sich die Stadt sehr verändert. Die Modebranche wurde wichtiger: atemberaubende Mädchen, die nach einer Model-Agentur und junge Fotografen, die einen Job als Assistent suchten. Die Bar Basso war damals schon berühmt. Und es kamen Modedesigner, die für Prada, für Gucci arbeiteten. Industriedesigner aus Deutschland, aus Italien. Etwa dieser wunderbare Mann aus Deutschland, Andreas Brandolini. Auch einige englische Designer, die für wichtige Designstudios in Mailand arbeiteten, wie Ettore Sottsass oder Stefano Giovannoni, kamen. Ich habe Freundschaft mit James Irvine geschlossen, der für Sottsass arbeitete. Ein sehr geselliger Mensch, er veranstaltete Partys hier. Und er wusste, wie man mit Italienern umgeht. So wurde er zum Fixpunkt für viele andere Designer, die nach Mailand kamen. Es war, als würde man mit einer Rock-n-Roll-Band rumhängen. Einige von denen wurden sehr wichtig. Marc Newson, Jasper Morrison, James ja auch. Ich habe einen guten Freund aus München, Konstantin Grcic, auch er gehört zu dieser Gruppe von Designern. Er war sehr jung, als ich ihn kennenlernte.

Aber nicht nur Produktdesigner treffen sich hier zum Nachmesse-Business.

Die Mode war in Mailand nicht sehr zugänglich. Zu den Modeschauen konnte man ja nur gehen, wenn man eingeladen wurde, aber Design wurde mit Fiore Salone auf die Straße gebracht. In den 80er-Jahren war man als Designer nicht sonderlich an der Modewelt interessiert, und die Modemenschen interessierten sich nicht so für Design, aber auf einmal hatte ich diese ganzen seltsamen, in schwarz gekleideten Typen hier. Und während wir tagsüber weiterhin viele Mailänder zu Gast hatten, öffnete die Design-Community die Tore zur Kunstwelt. Jetzt vermischten sich Design, Kunst und Mode. Dadurch ist diese Bar hier sehr angesagt geworden. Miuccia Prada kommt sehr oft hierher. Und wir haben Gucci-Partys veranstaltet, da waren Nick Cave, Kaia Gerber oder Chloe Sevigny.

Ist es nicht schwer, diesen Hype zu halten?

Klar, Mode, Design und Kunst sind sehr hip, da müssen wir aufpassen, dass diese Seite nicht zu sehr im Vordergrund steht und wir auch den anderen Menschen Aufmerksamkeit schenken. Einige große Stararchitekten kommen hierher. Aber es kann sein, dass die Assistenten als Erste ihre Drinks bekommen, auch die großen Stars müssen sich anstellen.

Und es gibt keinen Türsteher, aber eine Kassiererin.

Wir kümmern uns nicht so sehr, wer all die Leute sind, jeder ist ein Star. Das macht es sehr demokratisch. Denn wenn man anfängt, all die Kunst- und Design-Leute zu sehr in den Vordergrund zu stellen, vergisst man, dass wir uns in einer echten Welt befinden. Es kommen Ärzte, Journalisten, Musiker, Polizisten und Räuber her. Während der Kunstmesse vor zwei Jahren war Michael Stipe von R.E.M. zu Gast. Ich glaube, es gefiel ihm, dass ihn niemand nach einem Selfie oder Autogramm gefragt hat, denn er war an drei Abenden hintereinander hier.

Auch wenn während des Salones die Kreuzung vor der Bar komplett voller Menschen ist, gibt es keine Absperrung am Eingang?

Nein. Nur für private Partys. Aber die machen nicht so viel Spaß. Ich meine, es ist schon okay, geschäftlich gesehen ist es gut, aber es sind nicht dieselben Abende wie während des Salone.

Wie viele Leute kommen hier an diesen Abenden zum Salone? Im September 2021 war es schwer, die Bar zu erreichen, und alle Stühle waren besetzt.

Das ist schwer zu zählen. 500 bis 5000 vielleicht. Sie könnten das nächste Mal versuchen, zu zählen. Dieser Ort wirkt immer sehr physisch. Vor allem heute, wo man durch das Internet nicht unbedingt mehr mit Menschen in Kontakt sein muss. Man kann Dutzende per E-Mail kontaktieren und sie auf Instagram sehen. Aber sie einfach physisch zu treffen, ist etwas ganz anderes. Und die Bar Basso ist wie Twitter, bevor es Twitter gab. Wir haben den ganzen Klatsch und Tratsch. Jeder trinkt, aber man muss sich immer benehmen, denn wenn man sich daneben benimmt, weiß es jeder sofort. Es ist ein sehr, sehr guter Ort, um Neuigkeiten auszutauschen.

Und ein Ort des Styles: Dunkles Holz, pinke Wände, Marmorböden, auffällige Kronleuchter und ein typisch italienischer Edelstahltresen – Haben Sie was an der Einrichtung geändert?

Nein, seit 1960 nicht mehr. Seit 2018 haben wir eine Licht-Installation der kanadischen Firma Gabriel Scott, die in New York und London sitzt. Die Designer, die hier vor dem Tresen stehen, sagen immer: "Maurizio, ändere bloß nichts." Sehen Sie, diese sehr großen Gläser da drüben, die wurden von meinem Vater entworfen. Darin servieren wir zum Beispiel einen großen Sbagliato. Und viele Industriedesigner waren irgendwie erstaunt über unsere Gläser, vor allem, weil sich früher kaum jemand für die Gestaltung von Bartools interessierte. Also kamen sie alle hierher, um sie sich anzuschauen. Im Jahr 2000 haben wir auch ein Projekt mit WMF gemacht.

Auf den Caps der "Highsnobiety"-Kollektion steht unter anderem "Sbagliato", dieser Drink aus Campari, Wermut und Prosecco, der hier erfunden wurde. Der Negroni eigentlich auch?

Nein, der wurde in Florenz in den 30ern das erste Mal serviert. Nur der Negroni Sbagliato wurde hier erfunden, in den frühen 70ern. Sbagliato bedeutet falsch. Denn mein Vater hat ihn eigentlich falsch gemacht, er hat Sekt anstelle des Gins verwendet. Mein Vater mochte den Drink nicht besonders, aber der Name war sehr eingängig, und es ist ein sehr gutes Produkt - wenn Sie Campari mögen. Er ist nicht so stark wie ein Negroni, aber gibt Ihnen immer noch dieses gewisse Gefühl. Der Sbagliato wurde das beliebteste Getränk hier. Es gab ihn früher nur in der Bar Basso. Das war Mund-zu-Mund-Propaganda. In den 90er-Jahren eröffneten andere Bars und begannen, Sbagliato zu servieren, mit dem Hinweis, es sei der Sbagliato aus der Bar Basso. Das hat uns international bekannt gemacht. Das ist die gute Seite der Geschichte. Aber wir haben gemischte Gefühle, denn wegen des Sbagliatos gehen andere Getränke, die wir auch sehr lieben, eher unter. Aber man kann nicht alles haben.

Es ist also wie bei einer Rockband, die ihre Hits spielen muss.

Genauso. Wie "Walk on the Wild Side" für Lou Reed.