Debatte um Diversität

Auf der Milchstraße verfahren

Bjørn Melhus "Moon over Da Nang", 2017, Production Still
Foto: Bjørn Melhus

Bjørn Melhus "Moon over Da Nang", 2017, Production Still

Was kommt nach dem Shitstorm? Im Künstlerhaus Bethanien antwortete eine Paneldiskussion auf die Vorwürfe der anonymen Aktivistinnen-Gruppe Soap du Jour. Die Diskussion um Diversität in der Kunst zeigte, wo das eigentliche Problem liegt

Wenn ein Erregungsphänomen aus dem Internet in die physische Welt sickert, sieht das oft ein wenig putzig aus. Während online mit verbalen Feuerkeulen jongliert und nach einer offenen Debatte gerufen wird, treffen sich dann einige mehr oder weniger beteiligte Protagonisten auf einem Podium und tauschen vor mäßig engagiertem Publikum höfliche Meinungsbeiträge aus. Der digitale Flächenbrand wird zum Teelicht auf der Fensterbank und keiner weiß mehr so genau, was der ganze Wirbel eigentlich sollte. 

Dass das bei der Aufregung um die Ausstellung "Milchstraßenverkehrsordnung (Space Is The Place)" im Künstlerhaus Bethanien anders ist, zeigte sich am gestrigen Montagabend bei der Diskussionsveranstaltung zwischen Kurator Christoph Tannert und dem Künstler und Autor Michael Küppers-Adebisi. Die verdeutlichte nämlich erst, was genau das Problem ist. 

Kurze Rückblende: Ende Juli hatte sich die Aktivistinnen der anonymen Gruppe Soap du Jour (früher als Soup du Jour in Erscheinung getreten) im Netz gegen den Bethanien-Leiter Christoph Tannert in Stellung gebracht. In einem offenen Brief kritisierten die Verfasser die Künstlerliste der Ausstellung "Milchstraßenverkehrsordnung (Space Is the Place)" über Weltraum-Utopien. Obwohl im Pressetext Referenzen zu den Black Panthers und dem afrofuturistischen Vordenker Sun-Ra auftauchten, bestand die Besetzung der Ausstellung aus 18 weißen Männern, drei weißen Frauen und einem Künstler of colour. Keiner der Beteiligten hat afrikanische Wurzeln.

Debatte über Diversität nur mit Männern

Soap du Jour griff Tannert als unerschütterlichen Verfechter der weißen Männlichkeit an, und das traditionell links und international ausgerichtete Berliner Künstlerhaus stand plötzlich wie eine Brutstätte der systemischen Gewalt und der white supremacy da. Die Angegriffenen änderten zuerst kommentarlos den Pressetext (wurden dafür digital abgestraft) und forderten dann die Aktivistinnen auf, ihre Identität preiszugeben (und wurden dafür digital abgestraft). Wenn man als Institution die Mechanismen eines solchen orchestrierten Shitstorms nicht sehr genau kennt, ist es praktisch unmöglich, nicht von den Füßen geblasen zu werden. Die eigentliche Kritik wurde vom gegenseitigen verbalen Aufrüsten überlagert. Alle Beteiligten hatten sich irgendwann - Verzeihung - auf der rhetorischen Milchstraße verirrt.    

Also ziemlich verhärtete Fronten vor der gestrigen Veranstaltung. Und dass eine grundsätzliche Komponente der Kritik an mangelnder Diversität nicht verstanden wurde, ließ sich schon an der Zusammensetzung der Diskutanten ablesen. Auf der Bühne sprachen vier Männer. Die angefragten Frauen hätten laut Christoph Tannert Honorar gewollt, das nicht da gewesen sei. Der Musiker Diego Hernandez aus Peru und der Autor und Kurator Mohammad Salemy (Iran/Kanada) gaben sogenannte Inputs, in denen sie die Kritik von Soap du Jour wortgewaltig delegitimierten. Einmal mit dem Argument, wirkliche Gewalt sähe anders aus und eigentlich bräuchte es doch keine Hautfarben, sondern "inklusive Umarmungen". Andererseits mit einer Reihe von agitiert vorgetragenen "What-about-isms" ("Warum redet ihr nicht über die AfD in Brandenburg und Sachsen? Das ist der wirkliche Feind") und Hinweisen auf den Anachronismus der Vorwürfe ("Das ist Vintage-Aktivismus. Wir haben so viel erreicht").

Im Publikum brodelte es schon nach zehn Minuten. Einige (vermutlich Soap-du-Jour-nahe) junge Frauen, die entsetzt in ihre Handys tippten, hielt es kaum auf ihren Stühlen.

Kurator Christoph Tannert (links) und Künstler und Autor Michael Küppers-Adebisi im Künstlerhaus Bethanien
Foto: Trebing

Kurator Christoph Tannert (links) und Künstler und Autor Michael Küppers-Adebisi im Künstlerhaus Bethanien

Nach diesem missglückten Auftakt, in dem nur die Art der Kritik und keines der inhaltlichen Anliegen adressiert wurde, zeigte Michael Küppers-Adebisi im Gespräch mit Christoph Tannert, wie es besser geht. Entspannt süffisant, und mit gelegentlichen lautmalerischen Show-Einlagen, nahm der afrodeutsche Autor und Künstler das komplexe Problem auseinander.

Auch wenn "Milchstraßenordnung (Space Is The Place)" anders als zwischenzeitlich behauptet keine Ausstellung über Afrofuturismus ist, ist das kontextlose Space-Zitat von Sun-Ra laut Küppers Adebisi eine unzulässige Aneignung. "Indem du all den Kontext des Afrofuturismus wegnimmst, machst du es flach", sagte er zu Tannert. Der Kurator beharrte darauf, dass er nur zeige, was er liebe und seine Intention eine Begegnung auf Augenhöhe sei. Küppers-Adebisi freute sich sichtlich über diesen Moment und holte dann genüsslich in eine Geschichte des Kolonialismus aus. "600 Jahre, in denen Europa immer nur Afrika geliebt hat."

Die Substanz im Shitstorm

Der entscheidende Satz des Abends fiel gleich mehrfach. Von Küppers-Adebisi und auch aus dem Publikum. In einer Welt, in der alle gleich sind, könnte man voneinander nehmen und inspiriert werden, wie man will. Aber in einer Welt, in der es Unterdrückung von Minderheiten und Rassismus gibt, gewinnen dabei immer die Starken. Fast immer sind das die Weißen. Keine neue Erkenntnis, aber eine, die offensichtlich immer noch nicht überall angekommen ist. 

Küppers-Adebisi zeigte, wie Kritik ohne Pranger und Zerfleischung aussehen kann. Der Feind sitzt nicht im Künstlerhaus Bethanien, und die Ausstellung ist nicht an sich ein Skandal. Aber es besteht enormer Nachholbedarf im Eindenken in dekoloniale Diskurse - fast überall in der deutschen Kunst. Es ist nicht zu viel verlangt, die unterschiedlichen Perspektiven auf eine Ausstellung mitzudenken, und eine Diskussion über Diversität beißt sich nicht mit einem solidarischen Einstehen gegen Rechts. Anscheinend ist es überhaupt nicht anachronistisch, immer wieder darauf hinzuweisen. 

Die Diskussion zu "Milchstraßenverkehrsordnung" hat trotz einiger Ignoranz- und Aggressions-Momente die wichtige Substanz im Shitstorm herausgefiltert. Und nächstes Mal dann bitte auch mit Frauen sprechen.