Debatte um Diversität

Zu viele Männer im Mond

Das Künstlerhaus Bethanien in Berlin 
Foto: Georg Schroeder/Courtesy Künstlerhaus Bethanien

Das Künstlerhaus Bethanien in Berlin 

Eine Berliner Ausstellung zum Thema Weltraum-Utopien zieht wegen ihrer überwiegend weißen und männlichen Besetzung den Zorn von Aktivistinnen auf sich. Der Leiter des Künstlerhaus Bethanien sieht seine Arbeit aus dem Kontext gerissen

50 Jahre nach der Mondlandung wird in diesem Sommer immer wieder deutlich, dass die Eroberung des Weltraums eine ziemlich männliche Angelegenheit ist. Insgesamt haben zwölf Menschen seit 1969 den Mond betreten, alle Männer, alle US-Amerikaner, alle weiß. Diese westliche Heldenerzählung der Raumfahrt wird immer wieder kritisiert, doch sie findet sich auch in vielen Ausstellungen wieder, die 2019 zum Mond-Jubiläum in internationalen Museen stattfinden.  

Besonders lauten Unmut hat nun die Gruppenschau "Milchstraßenverkehrsordnung - Space is The Place" im Künstlerhaus Bethanien in Berlin auf sich gezogen, die am 1. August eröffnet. Ein Kollektiv von Aktivistinnen und Aktivisten hat am heutigen Montag unter dem Namen "Soap du Jour" einen sarkastisch gefärbten Brief an den künstlerischen Leiter des Hauses Christoph Tannert veröffentlicht. Darin kritisieren sie die mangelnde Diversität der Künstlerliste und eine Vereinnahmung afro-futuristischer Ideen, ohne dass schwarze Künstler oder Künstlerinnen an der Ausstellung beteiligt seien. 

"Unerschütterliches Engagement für die weiße Männlichkeit"

Bei der Gruppenschau werden insgesamt 22 Positionen zum Thema Weltraum-Utopien gezeigt, darunter sind 18 weiße Männer, drei weiße Frauen und ein nicht-weißer Künstler aus Singapur. Im offenen Brief wirft das Kollektiv, dessen Mitglieder bisher anonym bleiben wollen, Tannert eindimensionales Denken und Ignoranz vor: "Ihre Mission ins All startet erfolgreich mit einer Künstler*innencrew, die schlichtweg die meisten derjenigen auf der Erde zurücklässt, die das Prädikat 'weißer Mann' nicht erfüllen", heißt es darin. "Das gänzliche Außenvorlassen von women of colour in einer solchen Ausstellung bedarf heutzutage tatsächlich eines bedeutenden Maßes an kuratorischer Erfahrung! Tja, und den Ausschluss beinahe aller künstlerischer Positionen, die nicht von weißen Männern stammen, muss man schon auch als das anerkennen, was er ist: eine bemerkenswerte Leistung, besonders mit Blick auf die zunehmend vielfältige zeitgenössische Berliner Szene. Hut ab, lieber Christoph Tannert, vor Ihrem unerschütterlichen Engagement für die weiße Männlichkeit!"

Außerdem werfen die Verfasser Tannert vor, den weißen südafrikanischen Milliardär Elon-Musk zu verherrlichen, der mit seinem privaten Space-Programm im Pressetext als Ausgangspunkt für die Ausstellung genannt wird. Die anderen Einflüsse, die in der Ankündigung des Künstlerhauses auftauchen, sind die revolutionäre Black Panther Party und der afroamerikanische Musiker Sun Ra, von dem die Formel "Space is the Place" stammt. Dieser afro-futuristischen Vision werde die Berliner Ausstellung laut "Soap du Jour" durch die überwiegend weiße Besetzung jedoch nicht gerecht. Vielmehr untermauere die Künstlerliste weiße Privilegien in der Kunst, ohne diese zu hinterfragen. 

Das Kollektiv, das auch unter dem Namen "Soup du Jour" auftritt (die Soap ist eine Anspielung auf die "Weißwaschung" der Kunst), hat bereits bei anderen Ausstellungen den Überschuss an weißen Männern beklagt. Zuletzt traf die Kritik eine Gruppenschau zu Verschwörungstheorien im NRW Forum Düsseldorf und das Berliner Gallery Weekend.   

Einzelausstellung ohne Kontext?

Christoph Tannert kommentiert den offenen Brief auf Nachfrage eher gelassen: "Ich kann die Kritik verstehen und bin sehr an einem Dialog mit der Gruppe interessiert", sagt er am heutigen Montag am Telefon. "Allerdings gab es im Vorfeld des Briefes keinerlei Kontaktaufnahme, und ich weiß nicht, wer mich eigentlich kritisiert." Tannert verweist darauf, dass man eine einzelne Ausstellungen nicht ohne den Kontext seines Hauses sehen könne: "Wir haben seit Jahrzehnten internationale Künstler in unserem Programm und in unseren residencies, darunter sind über die Hälfte Frauen und enorm viele people of colour".

Er habe entgegen der Vorwürfe von "Soap du Jour" durchaus zu weiblichen und nicht-weißen Positionen zum Thema recherchiert, allerdings seien diese oft gerade erst in anderen Ausstellungen zu sehen gewesen. "Wir wollten nicht wiederholen, was es schon gibt", sagt Tannert. "Ich würde mir wünschen, dass das 'Jungsthema' Weltraum inzwischen genauso viele vielfältige Gegenpositionen hätte, aber so ist es nun mal nicht."

"Die Kämpfe finden links statt"

Auch den Vorwurf , Elon Musk zu feiern, weist Tannert zurück. "Wir sind nicht sein Sprachrohr", sagt er. "Wir versuchen, ein Spannungsfeld zu beleuchten, das zwischen seinen Space-Projekten und den Ideen von politischen und künstlerischen Gruppen wie zwischen Sun Ra und den Black Panthers entsteht." Musk arbeitet mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX an Riesenraketen, mit denen ab Mitte der 2020er-Jahre Reisen zum Mond oder Mars unternommen werden sollen.

Dass die Kritik ein Haus trifft, dass für seine progressive Haltung bekannt und ein Traditionsort der unabhängigen Berliner Kunstszene ist, überrascht Tannert nicht. "Die Kämpfe um die Deutungshohheit laufen immer auf der linken Seite zwischen Protagonisten desselben Spektrums ab", sagte er. Auch "Soap du Jour" schreiben, dass das Künstlerhaus Bethanien als Institution "ein Juwel" sei. Ausstellungen wie "Milchstraßenverkehrsordnung" seien jedoch nicht mehr akzeptabel.  

Christoph Tannert kündigte an, den Brief in der Ausstellung für die Besucher zugänglich zu machen. Ab dem 1. August um 19 Uhr kann diskutiert werden.