Köln-Fotos von Chargesheimer

Cologne Noir

Intime Momente und raues Rheinland: Unter dem Pseudonym Chargesheimer wurde Carl-Heinz Hargesheimer zur Fotolegende im Nachkriegs-Köln. Das Museum Ludwig feiert den 100. Geburtstag des einstigen Bürgerschrecks

Die Trümmerberge fasste er in expressionistische Bilder, düsteres Schwarz strahlen die zerbombten Häuserruinen aus. Dunkle Hintergründe und harsche Kontraste findet man auch auf seinen Porträtaufnahmen. Etwa auf dem berühmten "Spiegel"-Titelbild von 1956 mit einem Kanzlerporträt von Konrad Adenauer, das für manche allzu diabolisch und deshalb wahlkampfschädigend geriet. Romy Schneider oder Jean-Paul Belmondo kamen später besser davon. 

Berlin, Paris und immer wieder seine Heimatstadt Köln inspirierten den Fotografen Carl-Heinz Hargesheimer alias Chargesheimer. Er fing mitunter auch erstaunlich intimen Motiven ein, wenn er am Tresen ein Liebespaar ablichtete, oder einen Eingeschlafenen, der nach der Sperrstunde zurückgeblieben ist. Kuratorin Barbara Engelbach widmet sich in der kleinen Schau im Fotoraum des Museums Ludwig nun vor allem zwei Buchprojekten. 1957 erschien der Fotoband "Cologne intime". Im städtischen Auftrag sollten dafür Bilder des wachsenden Wohlstands und typisch kölschen Alltags eingefangen werden. 

Nicht alle entsprachen dem intendierten Werbeeffekt für das Wirtschaftswunder. Die neuen Autobahnen sahen trostlos aus, die Einkaufsstraßen abweisend, Bars, Arbeiterkneipen und Gaststätten mit Prostituierten zeugten von einem eskapistischen Unbehagen. Und den 77. Katholikentag lichtete Chargesheimer aus erhöhter Perspektive so ab, dass die Menschenmenge an die Massenaufläufe der Nazis erinnerte.

Erinnerung an einen Alleskönner

Der nachfolgende Band über die Kölner Straße Unter Krahnenbäumen von 1958 fokussierte auf den Stadtteil Eigelstein, damals eine No-Go-Area, ungeschönt und ganz ohne Bildlegenden. Chargesheimer fing mit seiner Großbildkamera Fronleichnamsprozessionen und Kirmesbesucher ein, fotografierte Kinder, Pferdemetzgereien und kriegsversehrte Gegenden, in denen Karneval gefeiert wurde. Eine Welt, die stark jener der neorealistischen italienischen Filme der 1950er-Jahre ähnelte.

Auch die kinetischen Lichtkästen und bereits um 1950 entstandenen "Fotografiken" bekommt man zu Gesicht, eine Art von zufallsbetonten Spukbildern, die ohne Kamera mit chemischen Substanzen entstanden sind, indem Chargesheimer die Emulsionsschicht des Negativs erhitzte. An diese Phase schloss er in den 1960ern mit den "Meditationsmühlen" an: kinetische Objekte aus Plexiglas, die von Zahnrädern in Bewegung versetzt wurden. 

Wenn es nach ihrem Erschaffer gegangen wäre, sollten die Lichtspiele auf Polizei- und Taxifunk reagieren. Eine solche Skulptur aus Draht wurde vom Publikum zerstört, was Chargesheimer zu dem lakonischen Kommentar bewog, er habe nichts anderes erwartet. Neben der Fotografie in Schwarz-Weiß, Farbe lehnte er ab, malte der Alleskönner auch, schuf Bühnenbilder und führte an der Oper Regie. Rätsel gibt bis heute sein früher Tod auf. Chargesheimer ist in der Silvesternacht 1971 gestorben, wahrscheinlich hat er sich das Leben genommen. Er wurde nur 47 Jahre alt.