Dieses Grün wirkt nicht natürlich. Der Raum, den man von der Straße durchs Schaufenster sehen kann, ist in greller Greenscreen-Farbe ausgekleidet. Teppich und Vorhänge an den Wänden haben einen Ton, wie er zur filmischen Montage benutzt wird, um zwei Ebenen übereinander zu legen. Wohl auch, weil dieses Grün fast nie vorkommt, jedenfalls nicht in lebendigen Organismen. Die Zimmerpflanzen, die im Raum verteilt sind, sind auch noch nie in ihren botanischen Ursprungsländern gewesen, sondern kommen aus dem Möbelmarkt. Und doch steht der schon x-mal gebrochene und über Bande gespielte Begriff "Natur" im Raum.
Die Stifterin der Crespo-Foundation, Ulrike Crespo, war leidenschaftliche Fotografin und Umweltschützerin. Das Vermächtnis der Wella-Miterbin wird in einem lichten Bau mit eleganter Fünfziger-Jahre-Fassade in der Frankfurter Innenstadt gepflegt und produktiv in Aktivitäten in Kultur und Bildung geleitet – darunter der renommierte Literaturpreis "Wortmeldungen" und ein Nachwuchspreis für Essayistik. Jetzt ist ein Preis für Fotografie hinzugekommen: "After Nature. Ulrike Crespo Photography Prize".
Jedes Jahr werden zwei internationale künstlerische Positionen mit je 40.000 Euro Preisgeld bedacht. "After Nature" ist dabei nicht nur Titel, sondern auch thematische Leitlinie: die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis vom Menschen und seinen Mitwesen, der Umwelt, dem Klima.
Narco-Villen und die westliche Wissenshegemonie
Die beiden mit dem hoch dotierten Preis Ausgezeichneten, Sarker Protick aus Bangladesch und Laura Huertas Millán aus Kolumbien, kommen aus unterschiedlichen Richtungen; im Fall von Millán nicht einmal im engeren Sinne aus der Fotografie. Ihre essayistische filmische Herangehensweise überzeugte die 15-köpfige internationale Jury dennoch.
Huertas Millán ist Filmemacherin, die sich jahrelang intensiv mit der Kokapflanze auseinandergesetzt hat. Tatsächlich ist die Droge Kokain lediglich das grellste, lauteste und zerstörerischste Produkt, das aus diesem Gewächs gewonnen wird. Die Künstlerin richtet den Blick auch auf die kulturellen, medizinischen und rituellen Anwendungen. Welche Bedeutung die Pflanze für die indigene Bevölkerung der Andenregion hat, erzählt sie mithilfe von fiktionalen Elementen und füllt so die Lücken in der westliche Wissenshegemonie.
Ihr zweites Werk, gezeigt im künstlich grünen Raum, erzählt die Geschichte von "El Laberinto" und führt schon akustisch auf halbseidenes Terrain. Ein Drogenboss ließ sich nämlich die Villa der skrupellosen Öl-Dynastie aus der US-TV-Serie "Denver-Clan" exakt nachbauen, deren schmonzettige Fanfare hier hin und wieder erklingt. (Wir erinnern uns: Habgier und Schuld, Haarspray und Schulterpolster.) Der Auftraggeber aus der Realität starb völlig verarmt im Gefängnis. Millán spürt die Ruine der Narco-Villa im Wald mit der Kamera auf.
Neuverhandlungen von Natur
Die Werke der Preisträger wurden bereits 2024, als der Preis vergeben wurde, im renommiertesten deutschen Ausstellungshaus für Fotografie, dem C/O Berlin, ausgestellt. Die Institution, selbst eine Stiftung, ist Partner von "After Nature". Ihr Leiter Stephan Erfurt war mit der im Jahr 2019 verstorbenen Ulrike Crespo bekannt, verbunden durch die Leidenschaft für Fotografie und deren Förderung. Die Doppelausstellung wurde von Katharina Täschner, Kuratorin bei C/O, konzipiert und von Ben Livne Weitzman von der Crespo Foundation für die Frankfurter Räumlichkeiten neu inszeniert.
Sarker Protick hat von beiden Geehrten den klassischeren Zugang zum Medium Fotografie. In großformatigen Aufnahmen von Geröllfeldern, auf denen der Abbau von Bodenschätzen stattfand, setzt er sich mit der kolonialen Geschichte des indischen Subkontinents und der "British East India Company" auseinander, die das Gebiet fast 200 Jahre lang beherrschte. Sarker interessiert vor allem der Ausbau von Eisenbahnverbindungen und der Kohlebergbau des 19. Jahrhunderts, deren Auswirkungen bis heute gesellschaftlich und ökologisch brisant sind. Was sich auch bildlich in der Trostlosigkeit der ausgebeuteten Erde abbildet.
So verschieden die Herangehensweisen der beiden Projekte sind, so haben ihre Neuverhandlungen von Natur doch etwas gemeinsam. Es geht um die Stoffe, die wir unserem Planeten abgewinnen, um Erträge und um Kosten, die in keiner Bilanz auftauchen. Mag sein, dass keine Energie je verloren geht, aber ihre Formen haben Hierarchien. Und die legen die Künstler des "After Nature"-Preises frei.