Designer

Das System Virgil Abloh

Virgil Abloh 
Foto: Katrina Wittkamp

Virgil Abloh 

Kann der alles? Wie der Designer Virgil Abloh die Kunstwelt entert und die Türsteher des Systems austrickst

"You are obviously in the wrong place" war das Thema der ersten Schau in Paris, an der Virgil Abloh mit seinem Label Off-White 2016 teilnahm. Sie sind hier offensichtlich falsch: der Satz, den die Boutiquenverkäuferinnen zu Julia Roberts in “Pretty Woman” sagen, als sie mit Overknee-Stiefeln und Trägertop von der Straße hereinspaziert.

Jetzt ist der Spruch in Leuchtschrift Teil der Ausstellung "Virgil Abloh: Figures of Speech" im Museum of Contemporary Art (MCA) in Chicago. Und die Frage ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, ob der supererfolgreiche, megapräsente Modemacher, DJ, Designer hier am richtigen Platz ist: Ein Haus, das Josef Albers, Francis Bacon bis Andy Warhol sammelt, zeigt einen 1980 geborenen Fashiondesigner, der als erster Afroamerikaner Kreativ-Chef von Louis Vuitton wurde, und von dem manche grob wissen, dass er an alles orangefarbene Kofferschilder dranmacht, und den andere für den größten Innovator der Modewelt halten.

Zuerst dachte Abloh, dass er im Museum DJen soll

Als der Museumskurator Michael Darling 2016 Kontakt zu ihm aufnahm, dachte Abloh zuerst, er solle im Museum einen Vortrag halten oder ein DJ-Set spielen. Aber es ging um eine große Einzelschau, etwas, das Modedesignern selten in Kunst-Institutionen zuteil wird, schon gar nicht in einem so frühen Stadium ihrer Karriere. Virgil Abloh war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Chefdesigner für Herrenmode bei Louis Vuitton ernannt worden, sondern gerade erst mit deren Nachwuchs-Preis ausgezeichnet.

Zuvor war er zehn Jahre lang enger Mitarbeiter von Kanye West (den er im ersten Jahr der Zusammenarbeit nicht einmal traf) und lernte die Bastion des Modebusiness kennen: Mit welchen Snobismen und Rassismen zu rechnen sein würde, registrierte er wachsam an der Seite von West, einem jungen schwarzen Mann ohne konventionelle Ausbildung, der die Branche erobern wollte. Abloh zog seine Schlüsse – und enterte die Festung. Zuerst mit Street-Wear, dann bei Louis Vuitton im traditionellen europäischen Luxussegment, und in vielen anderen Bereichen.

Überall am richtigen Ort

Inzwischen scheint er überall am richtigen Ort zu sein: Zur Biennale in Venedig zeigte er Möbelobjekte und legte auf Partys auf, in den Kunsträumen der Galeries Lafayette in Paris installiert er ein rosafarbenes Sound-System als Kunstobjekt, er ist Kurator und Vernissage-DJ zugleich und postet immer wieder die Arbeit an der Ausstellung in Chicago. Ist das also ein sich selbst bestätigendes Transfer-System, bei dem sich die Kunst bei der Mode die Coolness leiht und die Mode bei der Kunst die Bedeutung?

Dann wäre das Phänomen Virgil Abloh eine Zeiterscheinung, doch der 38-Jährige verkörpert eine Revolution, die sich weniger in seinen Kollektionen ausdrückt, als in den Positionen und Institutionen, zu denen er Zutritt hat.

Purist oder Tourist?

Ablohs Eltern wanderten Ende der 70er-Jahre aus Ghana in die USA ein, er lernte in Chicago Ingenieurswissenschaften und studierte am IIT Architektur – jener Schule, an der Mies van der Rohe das Bauhaus weiterführen wollte. Auf dem Campus war gerade ein neu errichtetes Gebäude von Rem Koolhaas entstanden. Dessen Büro OMA macht jetzt die Ausstellungsarchitektur im MCA für Abloh.

Im Katalog zur Ausstellung unterhalten sich Abloh und Rem Koolhaas über Architektur als Basis für kreative Grenzgänge: "Purist" oder "Tourist"? Abloh erweist sich in diesem Katalog als versierter Erklärer und eleganter Erzähler seiner eigenen Story, auch als geschickter Vermittler zwischen allen scheinbaren Unvereinbarkeiten: "Street-Credibility" im vierstelligen Dollar-Bereich, das institutionalisierte Außenseitertum, die Frage nach dem Einreißen von Gattungsgrenzen. Marcel Duchamp und das Readymade sind seine Pflichtverteidiger bei jedem Plagiats-Vorwurf. Sein IKEA-Teppich, der sein eigener Kassenbon ist, besteht auch die strengste Konzeptkunst-Prüfung. Abloh wirft Granaten in die Institutionen, die ihm umgehend den Teppich ausrollen.

Das Kid, das nicht zu Balmain reindurfte

Rem Koolhaas trifft in der Konversation aber mit einer scheinbar völlig zusammenhanglosen Frage zielgenau: "Würden Sie sich als Afro-Amerikaner oder Afrikaner beschreiben?" fragt er. Abloh antwortet: "Afrikaner."

Anfangs, erzählt er, flog er bei den Pariser Schauen fast wieder vom Fahrplan, weil er normale Leute zu seinen Shows einlud – eine Missachtung des Exklusivitätsgebots, einem Elixier der High Fashion. "Aber ich war doch kurz zuvor selbst noch das Kid, das nicht zu Balmain reingelassen wurde. Das Kid, das stattdessen durch die Stadt stromert und sich scheiße fühlt."

Virgil Abloh hat die Erfahrung immer wieder gemacht, offensichtlich am falschen Ort zu sein, und vielleicht ist das der Schlüssel zu allem was er tut, egal in welcher Disziplin. Er ist dann aber einfach nicht weggegangen. Und hat, statt sich wieder an den von anderen für ihn vorgesehenen Platz zurück zu begeben, einfach den Ort geändert: den Laufsteg, das Luxusunternehmen, und jetzt das Museum. Im MCA – und nur dort – werden wichtige Elemente aus seinen vergangenen Off-White-Kollektionen zu kaufen sein, und ein paar Objekte, die er extra für die Ausstellung entworfen hat. Zwei Tage nach der Eröffnung ist er dann bereits in Deutschland. Auf dem renommierten Vitra Campus in Weil am Rhein, in der Feuerwache von Zaha Hadid, wird es eine kleine Schau mit ihm geben und eine Party. Es sind die nächsten heiligen Hallen, die gekapert werden müssen, die nächsten Türsteher, die er herausfordern muss.