Medienschau

"Die Documenta ist noch lange nicht am Ende"

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Großbritannien schraubt an Zollbestimmungen für die Kunst, Forensic Architecture gegen die "taz" und eine Diskussion um die Zukunft der Documenta: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Debatte

2024 ist das Jahr der Wahlen: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung geht an die Urnen – wobei manchmal auch die Demokratie selbst zur Wahl steht. Deshalb fragt sich Scott Reyburn in einem etwas unentschiedenen Kommentar in "The Art Newspaper", wie sich die Kunstwelt und besonders der Kunstmarkt dazu verhält. Und er ist nicht wirklich zufrieden: "In einem Jahr, in dem in bevölkerungsreichen Ländern wie den USA und Indien Wahlen stattfinden, die zu einem weiteren Abbau demokratischer Werte führen könnten, hält sich die institutionelle Kunstwelt verständlicherweise eher an die Kulturpolitik als an die Politik, und die kommerzielle Kunstwelt kümmert sich verständlicherweise um den Kommerz. Wie lange wird der Rest noch schweigen - oder zum Schweigen gebracht werden?"

Wie geht es weiter mit der Documenta? Diese Frage stellte eine Veranstaltung der Kasseler Regionalzeitung "Hessische/Niedersächsische Allgemeine" (HNA), bei der neben Documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann und Wendelin Göbel von der Initiative #Standwithdocumenta auch die Monopol-Redakteurin Saskia Trebing auf dem Podium auftrat. Die Diskussion wird als kontrovers beschrieben, einigend sei jedoch der Eindruck gewesen, die Weltkunstschau habe eine Zukunft, um die es sich zu kämpfen lohnt. "Die documenta ist noch lange nicht am Ende", schreiben Florian Hagemann und Matthias Lohr in der "HNA". "Noch ist nicht klar, ob die nächste documenta 2027 stattfindet oder doch verschoben wird. Aber das Ringen um sie zeigt, dass sie noch nicht am Ende ist, wenn sie auch so begriffen wird, wie Saskia Trebing es darstellte: Sie muss sich immer wieder neu erfinden. Wenn eine documenta nur die vorherige reproduzieren würde, hätte sie ihre Daseinsberechtigung verspielt. Und auch das Schlusswort hatte die in Berlin lebende Journalistin. Ihre Antwort, was sie sich für die nächste documenta wünscht: 'Dass sie stattfindet'."

Das Recherchenetzwerk Forensic Architecture (FA) untersucht mit visuellen Methoden und Open-Source-Verfahren Behördenversagen, Kriegsverbrechen und staatliche Verstöße gegen Menschenrechte. Auf der Documenta 14 machte die am Goldsmiths College in London situierte Investigativagentur mit einer Rekonstruktion des NSU-Mordes an Halit Yozgat Furore. Zuletzt recherchiert die Gruppe zum Nahostkrieg. Deutliche Zweifel an den Methoden von FA äußerte im Januar Mira Anneli Nass, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Bremen, in der "taz" und attestierte dem Kollektiv anti-israelische Schlagseite. "Unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität ergreift Forensic Architecture regelmäßig Partei. Auf Basis vermeintlich forensischer Faktizität halten die Investigationen zum Nahostkonflikt einen palästinensischen Opfer- und israelischen Täterstatus aufrecht." Jetzt hat sich FA-Direktor Eyal Weizman, der am Goldsmiths College der Universität London Architektur lehrt, zu den Vorwürfen geäußert, wie Pitt von Bebenburg in der "FR" berichtet. Der "taz"-Artikel suggeriere, "dass er die Massaker 'ignorieren, verheimlichen oder leugnen' würde. Das komme einer 'Verleumdung' gleich und gefährde seine Sicherheit in Deutschland – 'dem Land, falls solche persönlichen Bekenntnisse hier noch etwas wert sind, das einen großen Teil meiner Familie ermordet hat'. Durch eine vorhergehende Anfrage hätte, so Weizman, 'verhindert werden können, dass die taz einen so irreführenden und lückenhaften Artikel in dieser Form veröffentlicht'. Die Zeitung zeigt sich von dieser Kritik unbeeindruckt. Co-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann bestätigte auf FR-Anfrage, das Recherchekollektiv sei vor der Veröffentlichung nicht konfrontiert worden mit den Vorwürfen."

Über einen offenen Brief von rund 1000 jüdischen Filmschaffenden gegen die Oscar-Rede von "Zone-of-Interest"-Regisseur Jonathan Glazer berichtet das Branchenportal "Variety". Die Unterzeichner werfen Glazer vor, er habe in seiner Dankesansprache für die Auszeichnung als "Bester internationaler Film" moralische Parallelen zwischen dem Nazi-Regime und der Kriegsführung der Israelis im Gaza-Streifen gezogen. Auf Nachfrage von "Variety" erklären einige der Unterstützer der Petition ihre Beweggründe, darunter der "Resistance"-Regisseur Jonathan Jakubowicz: "Herr Glazer nutzte das Gedenken an die Opfer der Gaskammern, um diejenigen anzugreifen, die versuchen, Überlebende des Holocaust und ihre Angehörigen aus der Gefangenschaft und sexuellen Sklaverei zu retten. Es ist wichtig, zum Frieden aufzurufen, und das tun wir alle. Aber in diesem Konflikt verlängern Desinformationen den Krieg. Und seine Äußerungen haben leider die Propagandanetzwerke legitimiert, die daran interessiert sind, den Krieg zu verlängern und das jüdische Volk zu dämonisieren."
 

Kunstmarkt

Die britische Regierung will Zollverfahren straffen, um den heimischen Kunstmarkt anzukurbeln und Kunstimporte zu vereinfachen. Wie "The Art Newspaper" berichtet ist das eine Reaktion auf den erheblichen bürokratischen Aufwand im Zusammenhang mit dem Zoll, der nach dem Brexit zugenommen hat, was zu einem Rückgang der Einfuhren um mehr als die Hälfte des Niveaus vor dem Brexit-Votum führte. 

Museen

Zwei Trägern des traditionellen palästinensischen Kopftuchs (Kufiya) wurde angeblich am vergangenen Wochenende der Eintritt ins MoMA in New York verwehrt, berichtet "Hyperallergic": "Auf der Website des Museums werden in einer Liste verbotener Gegenstände die Kopftücher nicht erwähnt, wohl aber 'Banner, Schilder und Flaggen"' und es wird darauf hingewiesen, dass die Institution "alle anderen Gegenstände verbieten kann, die die Kunst oder die Besucher gefährden könnten, was im alleinigen Ermessen des MoMA-Sicherheitsteams liegt". Das Museum selbst habe sich zu dem Vorfall bislang nicht geäußert.

Das neue private Museum zum Wiener Aktionismus hat Hannes Hintermeier für die "FAZ" besucht. Im feinen Ersten Bezirk der österreichischen Hauptstadt habe das "Sechzigerjahre-Schmuddelkind" der Kunst eine Heimat gefunden, an das sich viele andere Museen nicht herantrauten. Besonders kontrovers ist der Umgang des Hauses mit dem Werk des Kommunengründers Otto Muehl, der wegen Vergewaltigung und Missbrauch verurteilt wurde. Er ist in der Eröffnungsschau mit seiner Biografie abwesend, in den Werken aber präsent. Dazu schreibt Hintermeier: "Sexueller Missbrauch und Vergewaltigung bleibt aber ein Verbrechen, nicht nur ein Aspekt in einer Künstlerbiographie. Andy Simanowitz, der als Kind in der Kommune lebte, hat sich im ORF darüber beklagt, durch das Museum werde die Kunst Muehls aufgewertet, dessen Preise auf dem Kunstmarkt gesteigert – kurz, das Museum beleidige die Opfer. Die Direktorin kontert, Muehls Hauptthemen seien nun einmal Sexualität und Zerstörung. Die Frauen seien nicht genötigt worden, mitzumachen. Der Aktionismus sei auch eine Kunst der Frauenbefreiung gewesen, die von Frauen auch so erlebt wurde. Moebus-Puck will künftig zusammen mit dem Mumok weiter am Aktionismus forschen, ein bis zwei Ausstellungen im Jahr zeigen und das Haus zu einer 'internationalen Drehscheibe' für den Wiener Aktionismus ausbauen."

Malerei

Anlässlich einer Ausstellung in einer Berliner Galerie spricht Hollywood-Star Sharon Stone mit dem "Guardian" über ihre Kunst: "Bevor wir anfangen, Tausende von Frauen und Kindern zu töten, zu verstümmeln und zu verletzen, brauchen wir große Gehirne, mehr emotionale Intelligenz und nicht noch mehr Energie mit kleinen Penissen. In meiner Malerei geht es um all das." Ein Monopol-Interview mit Sharon Stone zur Ausstellung lesen Sie hier