Nach Forderung von Expertenrat

Documenta will kritisierte Werke nicht entfernen

Blick aufs Fridericianum in Kassel
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Blick aufs Fridericianum in Kassel

Der fachwissenschaftliche Beirat der Documenta hat gefordert, anti-israelische Videos aus der Ausstellung zu entfernen. Die künstlerische Leitung Ruangrupa will dem nicht nachkommen und die historischen Propaganda-Filme weiter zeigen

Das teilte die Documenta auf Monopol-Anfrage mit. "Die Geschäftsleitung der Documenta und Ruangrupa haben die Einschätzung des Expert*innengremiums zur Kenntnis genommen. Der Empfehlung einer vorübergehenden Entnahme der Arbeit 'Tokyo Reels' von Subversive Film aus der Ausstellung möchte Ruangrupa, denen als Künstlerische Leitung der Documenta Fifteen die alleinige Entscheidung darüber zusteht, nicht nachkommen", heißt es in dem Statement. 

Am Wochenende hatte der von den Gesellschaftern der Documenta eingesetzte fachwissenschaftliche Beirat eine Stellungnahme veröffentlicht (lesen Sie mehr dazu hier). Darin fordert das Gremium, die Filmvorführungen des Kollektivs Subversive Film zu stoppen. In dessen Arbeit "Tokyo Reels" werden historische pro-palästinensische Propagandafilme aus den 1970er- und 80er-Jahren gezeigt, die unter anderem die Beziehungen zwischen Japan und den Palästinensern thematisieren. An dem Projekt ist auch Masao Adachi, ein Ex-Mitglied der japanischen Roten Armee, beteiligt. 

In der Stellungnahme des Beirats heißt es, nicht nur "die mit antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente" seien problematisch, sondern auch "die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler:innen, in denen sie den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren." 

"Größere Gefahr als Taring-Padi-Banner"

Die Filme würden eine größere Gefahr darstellen als das bereits entferne Werk "People’s Justice" des indonesischen Kollektivs Taring Padi. Das Gremium bewertet als antisemitisch, dass Israel in den "Tokyo Reels"-Filmen ein "faschistischer" Charakter vorgeworfen werde und dass unterstellt werde, es betreibe einen "Genozid" an den Palästinensern. Dadurch werde Israel mit dem nationalsozialstischen Deutschland gleichgesetzt.

Eine Vorführung der Filme hält das Gremium nur für denkbar, "wenn diese in einer Form kontextualisiert würden, die ihren Propagandacharakter verdeutlicht, ihre antisemitischen Elemente klar benennt und historische Fehldarstellungen korrigiert".
Darüber hinaus hatte ein Teil des Gremiums eine weitere Pressemitteilung veröffentlicht, die offenbar nicht den Konsens aller Mitglieder gefunden hat - hier fehlen die Unterschriften der Museumsdirektorin Marion Ackermann sowie des Experten für Kolonialgeschichte Facil Tesfaye.

In diesem Statement wird der Documenta Fifteen vorgeworfen, nahezu alle Werke, die sich mit dem arabisch-israelischen Konflikt beschäftigen, brächten "einseitig kritische bis hin zu dezidiert israelfeindlichen Haltungen" zum Ausdruck. Der Eindruck einer "kuratorischen Unausgewogenheit" werde dadurch verstärkt, dass in der Ausstellung weder Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus und der Shoah und ihren Folgen noch jüdischen Perspektiven auf den Nahostkonflikt Raum gegeben werde. Das kuratorische und organisationsstrukturelle Umfeld habe "eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung" zugelassen.

"Eine neue Grenze überschritten"

Auf diese Vorwürfe reagierten Teilnehmende der Documenta mit einem offenen Brief an den Aufsichtsrat der Weltkunstschau, der zuerst anonym kursierte und nun mitsamt der Absender auf der Plattform E-Flux veröffentlicht wurde. Auch Ruangrupa und viele der ausstellenden Kollektive haben das Dokument unterzeichnet. In dem Schreiben unter dem Titel "Wir sind wütend, wir sind traurig, wir sind müde, wir sind vereint" heißt es, dass mit der Empfehlung des Expertengremiums "eine neue Grenze überschritten sei" und die Beteiligten den Bericht "kategorisch zurückweisen".

Man sehe darin eine "rassistische Tendenz in einer schädlichen Struktur von Zensur“. Die Einschätzung des Gremiums reproduziere schlecht recherchierte Behauptungen aus den Medien und weise keine wissenschaftlichen Belege vor.

Die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA), auf die sich der Bericht offenbar stütze, sei hochproblematisch, da sie Kritik am Staat Israel und Kritik des Zionismus mit Antisemitismus gleichsetze. Dadurch schaffe das Gremium einen Kontext, in dem Lumbung und seine Struktur, palästinensische Künstler und ihre Werke und schließlich die Documenta Fifteen als Ganzes unvermeidlich verdammt würden.

"Aggressive, ungeprüfte und absichtlich demütigende Form von Kritik"

Der Bericht benutze keine klare Methodik noch definiere er die Begriffe, mit der er arbeite. Man weise diese "aggressive, ungeprüfte und absichtlich demütigende Form von Kritik und Urteil" zurück. In Verbindung mit dem Brief waren am Wochenende zahlreiche Protestplakate mit verschiedenen Slogans auf der Documenta Fifteen aufgetaucht. Sie lauteten unter anderem: "Free Palestine from German Guilt" oder "Make workers Board / Not Scientific Board". Auf Nachfrage schreibt die Documenta dazu, es handele sich um eine Intervention von Mitgliedern des künstlerischen Teams und der Lumbung Community.

Das siebenköpfige Expertengremium war Anfang August von den Gesellschaftern der Documenta, der Stadt Kassel und dem Land Hessen, eingesetzt worden, um den Antisemitismus-Eklat um die Schau aufzuarbeiten. Immer wieder war in diesem Kontext aus der Politik gefordert worden, die in Kassel ausgestellten Werke systematisch zu prüfen. Documenta-Interims-Geschäftsführer Alexander Fahrenholtz hatte hingegen betont, dass die Entscheidung über Inhalte der Ausstellung allein beim kuratorischen Kollektiv Ruangrupa liege