Biennale Photo+ in Düsseldorf

Sehen und gesehen werden

Die dritte Ausgabe der Photo+ in Düsseldorf fragt nach der Beziehung zwischen Bildern und der Wirklichkeit in Zeiten von KI. Zwischen all den sehenden Maschinen gibt es aber auch eine Rückbesinnung auf den physischen Menschen

Gerade hat die EU ein Gesetz zum Umgang mit KI beschlossen. Es ist das erste seiner Art weltweit, das die Nutzung dieser Technologie in Medien regelt und mit Künstlicher Intelligenz generierte Bilder, Texte, Stimmen oder Videos für Verbraucher besser erkennbar machen soll. Die Frage nach dem Wirklichkeitsversprechen von Fotografie wird zwar nicht erst seit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz verhandelt, sondern beschäftigt das Medium und die zugehörige Wissenschaft seit seiner Erfindung. Doch das Verhältnis von fotografischen und anderen medialen Bildern zur Realität wird ein immer dringlicheres Thema

Unter dem Titel "On Reality" will die Düsseldorfer Photo+, Biennale for Visual and Sonic Media, bis zum 14. Juli in ihrer dritten Ausgabe solche Fragen aus der Perspektive der Gegenwart betrachten. Welche Bilder sind überhaupt noch wahr? Welche Rolle spielt das menschliche Auge bei der Betrachtung von Fotografie, wenn nicht-menschliche Augen Bilder vorsortieren, interpretieren, konstruieren? Wie verhält sich aktuelle Medienkunst zu dieser neuen Realität? Und wie kann ein Vermittlungsformat wie diese Biennale reagieren? Ein Blick auf drei Ausstellungen aus dem Programm.  

Einen Ausgangspunkt bietet die Gruppenschau im neuen Festivalzentrum, dem Photo+ Lab mitten in der Altstadt, die sich unter dem Titel "Ways of Seeing", angelehnt an die Kunst-Erklär-BBC-Serie von John Berger aus den 70er-Jahren, mit dem Blick beschäftigt, den Maschinen und Überwachungssysteme auf uns werfen. Machtmechanismen, Kontrolle und soziale Verantwortung spielen in diesem Kräfteverhältnis zwischen dem Menschen in der Öffentlichkeit und den nicht-menschlichen Beobachtern des öffentlichen Raums eine Rolle. 

Die Kontrolle über das eigene Bild zurückbekommen

Das beginnt mit Harun Farockis Arbeit "Erkennen und Verfolgen" von 2003. Diese thematisiert am Beispiel des Golfkriegs von 1990 bis 1991 (und damit schon lange vor der Erfindung von Smartphones und sozialen Medien) die Macht computergenerierter Bilder und den Orientierungsverlust, der von diesen ausgeht. 

Etwa zur selben Zeit, 2004, entstand Jill Magids Videoserie "Evidence Locker", in der die Künstlerin die stadtweite Videoüberwachung in Liverpool nutzt, um sich von der Polizei am Telefon mit geschlossenen Augen durch den öffentlichen Raum dirigieren zu lassen, während ihr Weg vom CCTV aufgezeichnet wurde. Die Aufzeichnungen werden nach 31 Tagen gelöscht, wenn sie nicht als juristisches Beweismaterial angefordert werden. Die Künstlerin stellte 31 Anträge für jeden Tag, den sie sich filmen ließ und generierte aus dem erhaltenen Material das Kunstwerk. Ein Machtspiel, in dem sie die Kontrolle über das eigene Bild ein Stück weit zurückgewinnt.

Von John Rafmans Langzeitprojekt mit "Google Street View" springt die Ausstellung in der Zeit zurück zum bitteren Katz-und-Maus-Spiel des Künstlerkollektivs Clara Mosch aus Karl-Marx-Stadt, das in dem "Happening Mehl-Art 80" ganz bewusst eine Überwachung durch die Stasi provozierte und mit dadaistischen Aktionen flankierte. Pola Sieverding (lesen Sie ein Interview mit der Künstlerin hier) und Asya Yaghmurian zeigen als Kuratorinnen der Ausstellung die Blickachse zwischen Bewachten und Bewachenden. Und dabei auch die Rolle des Menschen, der auch im Zeitalter von künstlicher Intelligenz den Maßstab und Mittelpunkt des Interesses bildet. 

Ein Anker im artifiziell-digitalen Raum

Dieser Gedanke lässt sich in einigen Ausstellungen der Biennale verfolgen. Es wirkt, als wäre die Rückbesinnung auf den physischen Menschen sowohl als Betrachter als auch als Thema der (post-)fotografischen Arbeit ein willkommener und handfester Anker im sich immer weiter auflösenden artifiziell-digitalem Raum. 

Im Aura Kunstraum, der seit drei Jahren von einem ambitionierten Team als Artist-Run-Space geführt wird, gehen die beiden Künstler Johannes Raimann und Bastian Schwind dem auf den Grund, was vor dem Foto passiert, zeitlich, räumlich sowie gedanklich. Der Begriff der "Prä-Photographie" beschäftigt die beiden seit 2017. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Julia Reich haben die beiden in dem Offspace eine durchdachte Ausstellung kuratiert, die den Prozess der Bildwerdung, die Arbeit am Bild in der Dunkelkammer oder am Computer und das Ritual des Bilderbetrachtens mit einem Fokus auf der Rolle des Körpers reflektiert. 

In seinem Künstlerbuch "Press Paintings" macht Sebastian Riemer die manuelle Arbeit in der Gebrauchsfotografie zum Thema. Aus seinem sorgfältig recherchierten Konvolut von ausgemusterten Zeitungsfotografien hat er diejenigen in dem Buch versammelt und vergrößert, die Spuren händischer Bearbeitung zeigen – Markierungen, Farbtupfer, Verwischungen, Ausschnitte. Die Retusche, deren einziger Zweck es auch in der digitalen Bildproduktion ist, ein Bild unbemerkt zu optimieren und makellos erscheinen zu lassen, wird hier zum eigentlichen Motiv. 

Die unsichtbare, aber elementare körperliche Arbeit in der Dunkelkammer

In Sophie Thuns großformatigen Analogfotografie "Double Release (Y66M7F11T13)" verbinden sich ihr eigener Körper und dessen Einsatz in der Dunkelkammer zu einem Bild. In ihrem Selbstporträt, das gleichzeitig ein Fotogramm ist, überlagern sich Prozess und Abbild – Porträtierte, Fotografin und Laborantin verschmelzen und mit ihnen die Machtgefüge und Handlungsräume in der Fotografie. Diese beansprucht Thun selbstverständlich für sich und verweist gleichzeitig auf die unsichtbare, aber elementare körperliche Arbeit in der Dunkelkammer, die historisch betrachtet häufig von Frauen vollzogen wurde, während bis in die 1970er-Jahre überwiegend Männer vor der Kamera arbeiteten.

Was nach der Fotografie kommt, welche Medien, Materialien, Formate und Fragestellungen sie sich zu eigen machen kann, darum geht es in der Jahresausstellung der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste unter dem großen Begriff "Transmediale Fotografie". Die groß angelegte medienreflexive Schau blickt anhand von rund 20 Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Generationen aus dem Rheinland auf neue Bilder und ihre Glaubwürdigkeit - sowie das letzte Aufbäumen der analogen Fotografie. 

So zeigt der Bildhauer Tony Cragg ein Tableau aus schwarz-weißen, organisch anmutenden Formationen und Oberflächen, die sich als extrem vergrößerte Ansichten von Materialien und Gegenständen aus seinem Studio entpuppen, aufgenommen mit einem Elektronenmikroskop.

Ein schwarz-weiß-graues Relikt einer anderen Zeit

Das beliebte Spiel mit den Dimensionen, die Umkehr von Motiv und Material und die skulpturale Qualität von Fotografie beschäftigt auch Alwin Lay in seinen inszenierten Aufnahmen von belichteten Filmstreifen, die durch die Vergrößerung und Positionierung wie kunstvoll gestaltete Turmarchitekturen wirken. Philipp Goldbach wiederum komprimiert den Kunstkanon anhand von 75.000 zu Blöcken gestapelten Kleinbilddias aus dem Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn zur reinen Form. Die akademische Kunstgeschichte, wie sie seit Jahrhunderten gelehrt wird, ist nur noch ein schwarz-weiß-graues Relikt einer anderen Zeit. 

In über 50 Ausstellungen und Veranstaltungen in Museen, Sammlungen, Galerien, freien Ausstellungsräumen und Hochschulen im Rahmen der Biennale kann Düsseldorf im Kräftemessen um den Ruf als Fotostadt hier deutlich Punkte sammeln.