Klamotten-Künstlerin Eliza Reinhardt

"Ich mache meine albernen Posts und plötzlich schreibt mir das Met"

In unserer Rubrik Insta-Watchlist stellen wir kreative Accounts vor, denen es zu folgen lohnt. Diesmal sprechen wir mit Eliza Reinhardt, die aus Kleidungsstücken berühmte Gemälde der Kunstgeschichte nachbaut

Ein Corona-Isolations-Projekt wurde für die US-Amerikanerin Eliza Reinhardt zu einer neuen Ausdrucksform. Alles begann mit ihrer großen Hingabe an die Getty-Museum-Challenge, für die sie und ihr Hund Finn zusammen bekannte Gemälde nachstellten. Heute malt sie mit Kleidung, wie die Künstlerin es beschreibt, und legt die Werke großer Meister mithilfe von Kleidungsstücken detailgetreu auf dem Zimmerboden nach. Zwei bis drei Stück die Woche postet sie auf ihrem Instagram-Account. Sie sieht das Projekt als einen Annäherungsversuch an berühmte Schöpfungen, auch für die, die sich sonst nicht mit Kunst beschäftigen. Die Hemmschwelle ist nur so hoch wie ein ausgelegter Wollpullover.

Eliza Reinhardt, wir würden Sie die Kunstform bezeichnen, in der Sie arbeiten?

Am liebsten nenne ich das, was ich tue, "Malen mit Kleidung". Das beschreibt exakt das, was ich tue. Aber wenn ich ein Projekt, an dem ich gearbeitet habe, auf Instagram poste, nenne ich das "Faserkunst", ein Ausdruck, von dem ich denke, dass ihn die meisten Menschen verstehen können. Jetzt, wo ich meinen Lege-Prozess auch aufnehme, ist das quasi eine Kunstform an sich, Videokunst. Und das Video wiederum zeigt eine Art Performance, in der ich das Werk herstelle. Aber falls jemand fragt, würde ich es lieben, wenn man es Malen mit Kleidung nennen würde. Ich fühle mich sehr von den Impressionisten und dem Fauvismus angezogen, die Ära von Van Gogh und Matisse, die die Farbe nutzten. Ich mag ihre breiten Pinselstiche, denn ich sehe in ihnen bestimmte Kleidungsstücke, etwa eine ganz bestimmte Socke. Und wenn ich die lege, fühlt es sich an, als würde ich einen Pinselstrich malen.

Seit Jahren bilden Sie bekannte Kunstwerke aus Ihrer eigenen Kleidung nach, von Pierre Bonnard bis Gustav Klimt. Können Sie überhaupt noch ins Museum gehen, ohne darüber nachzudenken, in welchen Kleidungsstücken Sie die Werke nachbauen würden?

Neulich war ich mit meiner Mutter in der Bonnard-Show, die mich extra dafür in Texas besuchen kam. Und sie konnte nicht aufhören zu sagen: "Eliza, dieses Gemälde könntest du echt gut nachstellen, schau, dort ist dieses Muster, das könntest mit diesem und jenem Kleidungsstück einfangen". Es stimmt also, ich bin jetzt darauf trainiert, Gemälde auch unter diesem Faktor zu betrachten. Ich teile Bilder in Sektionen ein. Wenn ich Gemälde analysiere, um sie dann nachzubauen, sehe ich unterschiedliche Formen, die zusammen genommen das Bild ergeben. Vielleicht erkenne ich in einer Form, die auf dem Bild eine Augenbraue darstellt, etwa einen Strumpf. Ich nehme die Kunst anders wahr und auch anders auseinander. Mir fällt jede Silhouette und jeder Schatten auf und wie diese aufgebaut sind.

Warum haben Sie Instagram als Ihre Galerie ausgesucht, wo Sie Ihre temporären Kunstwerke festhalten und präsentieren? 

Instagram finde ich fantastisch. Ich mache meine albernen kleinen Posts, und plötzlich habe ich eine Nachricht des Metropolitan Museum in meinem Postfach. Und die Keith Haring-Foundation ist auf mich aufmerksam geworden.  Allein, dass ich hier vor mich hinarbeite und ein Mitarbeiter eines Museums, von dem ich vollkommen besessen bin, meinen Account bemerkt und weiß, dass ich existiere, ist so cool. Jeder Kontakt, etwa zu Magazinen, den ich bezüglich meines Projektes hatte, kam durch Instagram. Und es gefällt mir, dass die Plattform wie ein stetig wachsendes Portfolio strukturiert ist, in dem ich genau nachschauen kann, an was ich vor drei Jahren gearbeitet habe. Instagram ist mein "Safe Space", hier hat jeder die gleiche Chance, gesehen zu werden.

 

Schaut man sich Ihre Arbeiten an, gleicht sie auf dem ersten Blick einem Wimmelbild, in dem es unglaublich viel zu entdecken gibt. Vor allem aber immer Sie und Ihren Hund Finn.

Ja, das ist mein Erkennungsmerkmal. Es gefällt mir, mich selbst in die Bilder zu inkludieren, weil ich wirklich groß bin, über 1,80 Meter. Das denkt man gar nicht, wenn man die Arbeiten sieht, weil die an sich schon so riesig sind. Gleichzeitig ist es mir auch wichtig, ein Teil der Bilder zu sein. Das mache ich von Anfang an so, es würde sich nicht mehr so einzigartig anfühlen, wenn die Bilder ohne uns stattfänden, denn ich verbringe viel Zeit damit, darüber nachzudenken, wie ich Finn und mich in einem Bild einbringen kann. Viele Menschen auf Instagram vergleichen meine Kunst mit den Projekten einer Show namens "Art Attack", die ich selbst nie geschaut habe, aber in der wohl auch Bilder gelegt und von oben gefilmt wurden. Ich füge eine weitere Ebene hinzu dadurch, dass ich mich und meinen Hund mit einbaue. 

Wie sind Sie Kunstliebhaberin geworden?

Ich hatte das Glück, als Kind früh mit Kunst in Berührung zu kommen, da meine Mutter Künstlerin ist. Aber ich weiß, dass viele Kinder nicht in den Genuss kommen, weil da immer diese Hemmschwelle ist und viele Menschen davon ausgehen, man müsse ein bestimmtes Hintergrundwissen mitbringen, um Kunst erleben zu können und seine Meinung mitzuteilen. Heute erzählen mir viele meiner Freunde, dass ihre Kinder meine Werke lieben, da sie immer versuchen, mich und Finn zu entdecken, wie bei "Wo ist Walter?". Ich finde es großartig, dass meine Arbeit für jeden zugänglich ist und sie dank des außergewöhnlichen Arbeitsmaterials, inklusive mir und meinem Hund, erst richtig interessant wird. Ich glaube, dass ich dadurch diese Schicht der Ernsthaftigkeit entferne, die oft mit der Kunst und ihrer Betrachtung einhergeht. Für mich ist es sehr traurig, dass Menschen viel Geld bezahlen, um dann ihre Werke in einer Kunstschule auseinandernehmen zu lassen und dann vermeintlich das alleinige Recht haben, über Kunst zu reden. Das kommt mir fast schon elitär vor. Für mich ist es wichtiger, von Menschen ihre Meinung zu hören, die gar nichts mit der Kunstwelt zu tun haben. Es geht sonst schnell eine gewisse Freude verloren, die Kunst an sich innehat.

Neben dem Spaßfaktor, den Sie in Ihre Kunst mit einbauen, geben Sie aber auch dem pädagogischen Teil Raum und erklären die Geschichte des jeweiligen Bildes in ihrer Caption. Verfolgen Sie auch eine Art Bildungsauftrag?

Das mache ich schon von Anfang an so. Ich liebe es, zu lesen und zu lernen und dachte mir, okay, ich lese die langen, schwierigen Absätze und verpacke sie dann in einer kleinen Caption, die jeder verstehen kann. Und die Rückmeldungen meiner Follower waren grandios, weil sie durch den kleinen blurb alles verstehen konnten. Mich fragen Menschen oft, wann ich aufhöre, Bilder nachzubauen und stattdessen meine ganz eigenen Gemälde anfertige. Aber ich denke, die Hälfte des Spaßes ist, dass Menschen etwas über die Kunstgeschichte lernen, wenn sie meine Arbeiten sehen. Ich sehe es als eine kleine Kunststunde, und wenn nur eine Person durch meinen Post angeregt den Namen einer Künstlerin googelt, bin ich schon froh.

Sehen Sie ihre Arbeitsform als eine Verknüpfung von Mode und Kunst? Oder könnte das Material auch ein ganz anderes sein?

Ich mag die Ansammlung an Kleidern sehr, die ich für meine Werke nutze. Ich kenne sie mittlerweile in- und auswendig und weiß oft schon genau, welches Teil ich für welchen Part des Bildes auslegen möchte. Man könnte es schon als eine Verknüpfung von Mode und Kunst sehen, jedoch eher aus Versehen. Ich habe angefangen, mit den Kleidern zu arbeiten, weil sie das einzige Material waren, das ich zuhause hatte. Heute denke ich, es zeugt auch von einer gewissen Kreativität, Textilien nicht für jedes Werk extra zuzuschneiden, sondern mit dem, was schon da ist, zu arbeiten. 

Welches Verhältnis haben Sie zu Kleidern?

Kleidung ist mein Medium, mit dem ich Kunst herstelle, die jedoch temporär ist, denn ich sammle alle Teile nach dem Zusammensetzen und der Aufnahme wieder ein und nutze sie kurze Zeit später für ein ganz anderes Gemälde. Es ist also eine kurzweilige Fusion. Ich besitze fast nur Vintage-Kleider, und mir gefällt, dass sie alle an einem bestimmten Punkt zu einer Person gehört haben und so eine Geschichte innehaben, die sie mitbringen, wenn ich sie in meine Bilder verwebe. Aber auch Klopapierrollen, Müllsäcke oder Verpackungsmaterial setze ich immer mal wieder ein, es beschränkt sich also nicht streng auf Kleider.

Folgt man Ihren Reels auf Instagram, hat der Prozess des Anordnen fast etwas Meditatives.

Definitiv, es ist fast wie Puzzeln oder eine Patchwork-Decke anzufertigen. Es kann sehr entspannend sein, diese Bilder zu legen. Ich könnte mir vorstellen, dass Kindern diese Art der Beschäftigung guttun könnte. Ich habe manchmal den Anspruch an mich, alles in einem Guss anzufertigen, wie ein Wettbewerb gegen mich selbst, nur mit einer Abbildung des Gemäldes in der Hand, ohne, von oben drauf zu schauen. Außerdem möchte ich natürlich neues Futter für meine Follower. Aber wenn man diese Arbeit ganz für sich allein macht, ist es sicher sehr beruhigend. Was mich zusätzlich entspannt, ist, dass ich immer "New Girl" nebenbei laufen habe. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Show schon gesehen habe, aber sie läuft immer nebenher. Ich rechne aus, wie lange ich in der Woche gearbeitet habe, in dem ich die "New Girl"-Episoden zusammenzähle. Ich habe auch mal "Bones - die Knochenjägerin" ausprobiert, aber das funktionierte für mich nicht.