Finanzdefizit am Kunsthaus

Das Zürcher Problembündel

Das Kunsthaus Zürich kommt nicht zur Ruhe. Erst der öffentliche Disput über die Sammlung Bührle, nun ein alarmierendes Finanzdefizit. Der jetzigen Leitung die Schuld zu geben, wäre aber zu einfach, denn die Probleme reichen weit zurück

"Das Kunsthaus ist nach seiner Erweiterung in eine neue Ära eingetreten. In diesem Moment müssen wir tiefgründig nachdenken über unsere Rolle als Museum in einer Zeit, die voller kultureller und ökologischer Herausforderungen, aber auch neuer Chancen ist", lässt sich Ann Demeester, die seit Oktober 2022 amtierende Direktorin des Kunsthauses Zürich, auf der Website des Museums zitieren. 

Im Moment dürften die Herausforderungen überwiegen. Denn die jüngst abgehaltene 129. Generalversammlung der Zürcher Kunstgesellschaft, der Trägerin des Museums und Eigentümerin der Kunstsammlung, musste ein erneut vergrößertes Defizit zur Kenntnis nehmen. Für das abgelaufene Jahr beträgt das negative Betriebsergebnis fast 1,6 Millionen Schweizer Franken, nach zuvor 1,4 Millionen. 

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Denn, so heißt es im Jahresbericht der Kunstgesellschaft in aller Offenheit: "Der Verlust ist primär strukturell bedingt und eine Folge der Erweiterung. 2021 hat sich die Ausstellungsfläche des Kunsthauses mit dem Chipperfield-Bau fast verdoppelt. Das hat zu einem erhöhten und höher als prognostizierten Personalaufwand im Bereich Besucherservice und Sicherheit geführt und höhere Fix- und Nebenkosten verursacht. Das Kunsthaus war nicht ausreichend auf die Konsequenzen der Erweiterung und die neue Realität eines doppelt so großen Hauses vorbereitet."

Anbau in erster Linie wegen der Bührle-Sammlung notwendig geworden

Dieses Fazit hat es in sich. Denn es bedeutet nichts weniger, als dass der seinerzeit für den Erweiterungsbau verantwortliche Vorstand das 206 Millionen Franken teure Bauvorhaben ohne Prüfung, zumindest aber ohne Absicherung der Folgekosten in Gang gesetzt hat. Wie stets bei solchen Projekten, liegen dessen Anfänge weit zurück. Bereits 2008 wurde der Architekturwettbewerb mit der Entscheidung für David Chipperfield abgeschlossen. Zwischen 2015 und 2020 wurde gebaut, im Herbst 2021 fand die Eröffnung statt. 

Anschließend geriet das Kunsthaus in heftige Turbulenzen, weil die Sammlung Bührle, die endlich aus ihrem bisherigen Privatdomizil ins Museum übersiedeln und dort großzügig präsentiert werden sollte, wegen ihrer Erwerbungsgeschichte zum Gegenstand öffentlicher Nachforschungen wurde. Statt die vom Rüstungsfabrikanten Emil Bührle angehäuften Schätze insbesondere des französischen Impressionismus zu genießen, musste das Kunsthaus eine bis heute nicht abgeschlossene Provenienzrecherche zu möglicher NS-Raubkunst in Gang setzen und dessen Ergebnisse mit den Kunstwerken selbst zur Schau stellen. Manchem Beobachter ging nun erst auf, dass der Erweiterungsbau – faktisch ein zweites Kunsthaus auf der anderen Straßenseite des Bestandsgebäudes – in erster Linie wegen der Bührle-Sammlung notwendig geworden war.

In einem Gemeinschaftsinterview mit Demeester für die "Neue Zürcher Zeitung" hat der seit 2022 amtierende Präsident der Kunstgesellschaft, Philipp Hildebrand, die Verantwortung für die Schieflage denn auch bei den Vorgängern festgemacht. Immerhin beträgt das aufgelaufene Minus des Kunsthauses mittlerweile 4,5 Millionen Franken. Der öffentliche Zuschuss der Stadt Zürich liegt – nach einer für den Erweiterungsbau beschlossenen Erhöhung – bei 13 Millionen Franken jährlich und deckt rund die Hälfte der Betriebskosten.

"Mir wurde gesagt, ich sei hier, um das Kunsthaus neu zu positionieren"

So wurde auch schon bei den Baukosten verfahren. Jeweils 88 Millionen Franken kamen von der Kunstgesellschaft mit ihren 26.000 Mitgliedern und von der Stadt Zürich; die restlichen 30 Millionen stellte der Kanton Zürich vor allem aus seinem Lotteriefonds bereit. Auf die Frage, ob die Zürcher Bürger bei der Abstimmung über den Chipperfield-Bau getäuscht worden seien, antwortete Hildebrand schmallippig, das sei "lange vor unserer Zeit geschehen". 

Der Frage nach Einsparmöglichkeiten wichen Hildebrand und Demeester ebenso aus wie der nach einer Erhöhung der öffentlichen Zuschüsse. Die seit längerem betriebene Suche nach einem Firmensponsor gestaltet sich offenbar schwieriger als gedacht. Hildebrand beklagt nach den enormen Aufwendungen für den Erweiterungsbau eine gewisse "Spender-Ermüdung". 

Ann Demeester, die sich ihre Amtszeit offenkundig anders vorgestellt hat – "Mir wurde gesagt, ich sei hier, um das Kunsthaus neu zu positionieren" –, macht sich mittlerweile keine Illusionen mehr über die Komplexität des Zürcher Problembündels. "Von mir wird erwartet, dass ich die Bührle-Situation mit einem Zauberstab löse", bekannte sie im Interview: "Von Philipp Hildebrand, dass er die Schulden wie Schnee in der Sonne wegschmelzen lässt. Aber all das ist auf die Schnelle nicht möglich." Ob es überhaupt ohne Neuausrichtung des Kunsthauses geht, ist vorerst eine offene Frage.