Choreografin Franka Marlene Foth

"Ich arbeite daran, dass Tanz stärker gefördert wird"

Franka Marlene Foth denkt sich Choreografien für große Netflix-Produktionen aus. Mit ihrer jüngsten Arbeit zollt sie ihrem Beruf selbst Tribut. Hier spricht sie über die Bedingungen der Kunstgattung Tanz – und über das, was sich ändern muss

Wummernde Bässe gepaart mit fließenden Tanzbewegungen in einer Betonhalle: Ihr Performance-Kunstwerk "Hyperbole Extended" im Silent Green Kulturquartier hat sich so angefühlt, als würde man mit seiner Clique durch einen Berliner-Techno-Club auf dem Lärm der Welt reiten. Woher nimmt man die Vorstellungskraft, um das zu choreografieren, Franka Marlene Foth?

Offensichtlich sind meine Tänzer*innen ganz stark Teil davon. Ohne sie würde nichts gehen. Natürlich inspirieren sie mich durch ihre Charaktere, Persönlichkeit, Ausstrahlung, Bewegungsweise. Aber vor allem die Musik und deren Sound schaffen die Vision. Die Idee zum Stück kam mir bereits 2019, aber dann kam die Pandemie. Erst zu Beginn dieses Jahres habe ich angefangen, an der Musik zu arbeiten, die für meine choreografischen Kreationen ausschlaggebend ist. Im März hatten wir die ersten Proben mit den Tänzer*innen – da stand dann das Stück so ziemlich fest.

Das Tanzen steht bei "Hyperbole Extended" im Fokus?

Ja, für mich ging es darum, die Stärke von Tänzer*innen zu zeigen. Die körperliche und poetische Ausdruckskraft und auch die mentale Stärke. Es geht darum, dass dieses Schweißtreibende und Anstrengende dazugehört, um diesen Beruf überhaupt ausführen zu können.

Am Premierenabend wurde das Stück zwei Mal aufgeführt. 45 Minuten schlitterten und schlichen acht Tänzer*innen über den nackten Betonboden, drehten und wendeten ihre Körper dabei mit beängstigender Präzision. Wenig später ging das Ganze für den nächsten Publikumsblock von vorne los. Wird so was genügend geschätzt?

Tanz wird zumindest oft als primitiv oder "cute" angesehen. Viele Leute denken tatsächlich noch immer, wir kommen irgendwohin, tanzen kurz und gehen dann wieder. Wir befinden uns immer in dieser Lücke, dass wir weder als Leistungssportler*innen noch als Künstler*innen richtig anerkannt werden. Dabei sind wir mit die Einzigen, die beides sind. Nur erhalten wir leider nicht die Gagen, die etwa zum Teil im Leistungssport gezahlt werden.

Es gab am Premierenabend nur wenig Stühle, dafür einige Sitzplätze direkt am Rand der Tanzfläche. Distanz zur Show war da kaum möglich, man war plötzlich mittendrin, vergaß sogar sein Smartphone zum Filmen rechtzeitig zu zücken. Warum?

Die Stühle waren vor allem gedacht für ältere Leute und Menschen, die nicht lange stehen können. Ich arbeite daran, dass Tanz als primäre Kunstform stärker gefördert wird. Dass du da reingehst wie in eine Galerie. Deswegen wollte ich, dass es eben nicht diese klassische Bühne gibt, wo der Tanz da oben stattfindet und die Zuschauer*innen weit weg sind. Ich wollte, dass das Publikum im besten Fall noch einen Spritzer Schweiß abkriegt. Man fühlt sich dadurch mehr als Teil von dem, was man sieht. Und wenn du dann so nah dran bist, kann der Tanz nichts mehr verbergen. Ich hatte auch vergessen, mein Handy herauszuholen, um ein Foto zu machen. Das ist das Beste, was einem passieren kann.

In der Dokumentation zum Stück, die ebenfalls am Premierenabend gezeigt wurde, erinnert eine der Tänzerinnen daran, dass der Körper, mit dem man tanzt, natürlich derselbe Körper ist, mit dem man isst, schläft und alle anderen wichtigen Dinge im Leben bewältigen muss. Eine Dauerbelastung also?

Ja, beim Tanzen geht es die ganze Zeit um dich, deinen Körper, dein Talent, und du kannst diese Dinge eben nicht ablegen. Du musst performen, egal, ob dir etwas wehtut oder nicht. Außerdem gibt es die Zeit, die tickt. Unsere Körper werden älter und in zehn Jahren kann man vielleicht nicht mehr zwei solche Shows an einem Abend liefern. Dieses Gefühl bekommt man als Tänzer*in. Man ist fast schon alt, wenn man 25 ist.

Die Uhr tickt also. Vielleicht auch ein Grund, weshalb man ein solches Herzensprojekt sogar in Krisenzeiten dann finanziell selbst in die Hand nimmt. Kommerziellere Choreografie-Aufträge wie zuletzt für die Netflixproduktion  "Die Kaiserin" helfen dabei sicher.

Ich habe "Hyperbole Extended" produziert und mitfinanziert, ja. Ich wollte die Premiere unbedingt noch dieses Jahr aufführen und nicht abhängig vom "Go" einer Institution sein. Ich war sehr motiviert. Ich dachte mir – wenn nicht jetzt, wann dann? Keine Ahnung, wann der nächste Lockdown kommt. 

Welche Perspektive hat "Hyperbole Extended"?

Ideal wäre es, wenn wir mit dem Stück touren könnten. Zum Beispiel in Europa, hier und da. Mein Wunsch ist es, das Projekt mehr in diese Kunsträume zu bringen, wo man alle möglichen Arten von Kunst sieht. Allerhöchsten gibt es in Galerien Performing Art, aber eigentlich nie Tanz. Es wäre ein Traum, das Ganze in die Welt zu bringen. Aber das ist natürlich nicht allzu einfach als selbstständige Independent-Künstlerin.

Was heißt das genau?

Es braucht Förderung, Anträge und Sponsoren. Mit dem, was ich mache, fülle ich allerdings eine Nische und schlage Brücken zwischen den Genres. Ja, wie es die Tänzerin Janan in der Doku gesagt hat, Tanzen ist eben ein Job für Leute mit einem dicken Fell.

Die Vorstellung, die Livemomente von "Hyperbole Extended" zu Text zu verkürzen und in eine anonyme Antragsform zu hämmern, klingt etwas trist. Was muss sich in Sachen Förderung von Tanz künftig bessern?

Ich würde zum Beispiel gern mal eine Person von der Förderung zu einem persönlichen Gespräch treffen. Da könnte ich meine Vorhaben dann emotionaler mit Händen und Füßen und vor allem auch musikalisch erklären.

Am Ende des Stücks trumpft "Hyperbole Extended" mit der vielleicht stärksten Szene auf. Die Tänzer*innen schauen gemeinsam in Richtung des Scheinwerferlichts, umklammern und stützen sich, wanken nach vorn und wieder zurück. Als würden Sie mitten in das Auge des Sturms blicken. Sie scheinen furchtlos, denn sie sind ja beisammen.

Das ist tatsächlich der Punkt. Wir sind alle individuelle Künstler*innen und dennoch vereint in dem, was wir tun.