Das Essen ist besser, die Menschen sind freundlicher, die Architektur ist aufregender, niemand sagt: "Oh, cool, du kommst aus Berlin." Und jetzt gibt es auch noch Gegenwartskunst hier! Denn vor sieben Monaten hat die Kunsthalle Praha eröffnet, in der Ende September die zweite große Ausstellung präsentiert wurde, und zwar die des deutschen Künstlers Gregor Hildebrandt, mit dem man, so die Kuratorin, auch die Verbindung der Städte Prag und Berlin unterstützen wolle. Und so kamen zum Pre-Opening Hildebrandts coolen Freunde aus der deutschen Hauptstadt, Designer, und Künstler und Schriftsteller und Kuratoren und Galeristen und begutachteten den sehr gelungenen Museumsbau. Und es ist vollkommen unklar, warum man nicht viel öfter in den Zug steigt, um nach Prag zu fahren.
Der Architekt Jan Schindler von SchindlerSeko hat im Auftrag eines Sammlerehepaars die alte Transformatorenstation umgebaut und darin drei Galerien geschaffen, in denen jeweils immer zwei Shows parallel stattfinden sollen. Nach einer Ausstellung zum Thema Kinetismus nun also Hildebrandt, der die Halle mit seiner bisher größten Einzelausstellung füllt, die so wirkt, als sei sie für diese Räume gemacht. Die sind vom Berliner Designer und Hochschulprofessor Axel Kufus in Kooperation mit Marlene Oeken und Nic Rauch als OH-Studio innengestaltet worden. Sie ließen die alten Fenster zu Schließfächern verarbeiten, alte Kabel und Porzellan in Terrazzo-Boden kippen und neue Betonwände wieder abschlagen.
Hier wurde kein Alien abgesetzt, sondern man hat sich am Historischen entlang gehangelt. Entstanden ist so ein industrielles Design, das nie zu schwer oder museal wirkt und somit der Kunst genügend Raum lässt. Auch durch das Passepartout-Prinzip, das entwickelt wurde, um in einem Layering verschiedene Hängevarianten an den Wänden zu ermöglichen.
"Dann ist es auch schon wieder voll"
Was im Falle von Gregor Hildebrandt äußerst gut gelingt. Wir sehen zum Beispiel sehr große, mit VHS-Tape bespannte Wände, deren feinen und fein gehangenen Bahnen von fast allen Besuchern angepustet werden, weil man gar nicht anders kann, als die Spiegelungen darin auch selbst zu beeinflussen. Davor Skulpturen, die an eckig geschnittene Bäume erinnern, mit Jahresringen aus Tapeband, ein Parkett aus Schachbrettern, ein Parkett aus Kassetten, und irgendwann wird man durch eine sehr gelungene Raumführung aus gebogenen Schallplatten an eine Wand geleitet, vor der man Platz nehmen kann, vor einem Gemälde aus Tapedeck-Rücken, die eine Freibad-Spiegelung ergeben. Was für eine Ausstellung, denkt sich wohl auch der Kollege aus Paris und ruft: "Oh my god, we love this show! He is a very talented artist, that’s for sure."
Und so sitzt der Künstler – mehr als talentiert – auf dem Podium der Pressekonferenz, rührt in seinem Cappuccino, leckt den Löffel, leckt die Milch von den Lippen, hebt die Tasse mit beiden Händen zum Mund und erzählt, dass er sehr dankbar sei, für die Möglichkeit dieser große Ausstellung, an der er seit 2017 arbeite.
Die Räume konnte er damals noch gar nicht sehen, weil unfertig, trotzdem sind einige Arbeiten auch extra für die Kunsthallen-Ausstellung entstanden, etwa eine Schachfigur-Skulptur ("Der Springer") oder ein Terrazzo-Boden inspirierte Collage aus farbigem Vinyl. "Man denkt, man hat so viel Platz, aber dann ist es auch schon wieder voll."
Im zweiten Stock (Ist es der zweite Stock? Man weiß es nicht, denn die Kunsthalle ist so gebaut, wie ein guter Club, man verliert sich etwas darin) wurde das Pförtner-Häuschen nachgebaut, das vor Hildebrandts Berliner Studio steht und das er als temporären Showroom für Grzegorzki Show-Ausstellungen nutzt. Und so werden auch in Prag Ausstellungen in Ausstellungen stattfinden. Gerade sieht man eine Arbeit von 2017 des verstorbenen Künstlers Robert Schmitt (hier im Monopol-Interview), dessen Zeitungs- und Magazinarchiv hier gestapelt ist. "Was wir sehen ist zehn Jahre Robert Schmitt, zehn Jahre Berlin, aber auch zehn Jahre der Welt", sagt Hildebrandt. Bis Februar läuft seine Ausstellung und so werden in diesem Häuschen noch Katharina Koppenwallner, Frieder Böhnisch oder Katharina Domhardt zu sehen sein.
Auch Konzerte will Hildebrandt herbringen von Bands, die auf dem Label, das er mit seiner Partnerin Alicja Kwade führt, vertreten sind. Zur Eröffnung spielte gleich inmitten der Ausstellung die Münchner Band PAAR, deren Mitglieder Studenten von Hildebrandt sind, der als Professor für Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrt. Menschen tanzen auf Hildebrandts Tape-Parkett, lehnen an einer Arbeit. Stecken sich Käsestücke in den Mund.
Man freue sich, mit Gregor Hildebrandt auch ein bisschen seines Lifestyles nach Prag zu holen, heißt es auf der Pressekonferenz, was natürlich schnell beschämend klingt, hat doch Prag wirklich selbst genug zu bieten. Aber die Kuratorin Christelle Havranek, die nach dem Fall der Mauer von Frankreich nach Prag zog, sagt auf Nachfrage: "Ich hatte schon lange das Gefühl, dass diese beiden Städte sich eigentlich gut ergänzen würden." Und allein der Name des neuen Kunstortes ist ja schon diese Handreichung. Dass Kunstinteressierte oft von Prag nach Berlin führen, um aktuelle Ausstellungen anzusehen, es andersherum aber weniger der Fall sei, sagt Havranek noch. Und das ist wirklich etwas, das man ändern sollte.
Hildebrandt zu holen ist also nicht der klägliche Versuch ein Berlin zu imitieren, das die beste Zeit hinter sich hat, sondern man wollte einen bekannten Künstler zeigen, der noch nie in Tschechien zu sehen war, der die Räume – über 800 Quadratmeter – auch bespielen kann. Hildebrandts Beschäftigung mit persönlichem und kollektivem Erinnerung, die Infragestellung von unseren Verhältnissen zu den zu Dingen, sei es, die begeistern würden.
Und so spiegelt man sich in seinem Vinyl, betrachtet das Serielle und wird zurückgeworfen auf den eigenen Beitrag in all dem. Und kann wirklich nur ganz dringend raten, sich in einen Zug zu setzen, schnell rüber zu düsen nach Prag, sich diese Ausstellung anzusehen, die Kunsthalle, die prächtige Stadt, in einem der Restaurants der Kette Lokal zu essen. Der eiserne Vorhang in den Köpfen muss weg, ersetzt werden durch einen Vorhang aus Hildebrandtschen Tonbändern, die neu bespielt werden können.