Bernd Schultz über den Verkauf seiner Sammlung

"Ich habe eine neue Tür in meinem Leben geöffnet"

Foto: Franziska Sinn, Berlin
Foto: Franziska Sinn, Berlin
Bernd Schultz in der Villa Grisebach in Berlin

Der Kunsthändler Bernd Schultz verkauft seine Sammlung, um mit den Einnahmen ein geplantes Exilmuseum voranzubringen. Im Monopol-Interview spricht der Mitbegründer des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach über sein Engagement für das ambitionierte Projekt, Migrationsschicksale und sein neues Leben als bescheidenerer Kunstkäufer Herr Schultz, es war zu lesen, dass Sie jedem Journalisten Prügel androhen, der fragt, ob es Ihnen wehtut, Ihre Sammlung zu versteigern …
Ach was, das war doch nur im Scherz! Wenn Sie diese Frage hundertmal am Tag hören, reicht es irgendwann. Natürlich tut es weh! Aber: Ich habe eine Tür geschlossen und eine neue Tür in meinem Leben geöffnet.

Trotzdem, starten wir lieber vorsichtig ins Interview: Bei welchem der 330 Werke fällt die Trennung am schwersten?
Es ist so wie mit Kindern: Meistens sind es gerade diejenigen Kinder, die nicht ganz den Erwartungen der Eltern entsprechen, die dann trotzdem die größte Fürsorge erhalten. Die Idee meiner Partner war, dass ich die bedeutendsten Werke meiner Sammlung in eine Abendauktion gebe. Dann habe ich versucht, eine Auswahl zu treffen und musste feststellen, welche Werke alle nicht in dieser Abendauktion sein würden. Und dies empfand ich als tief ungerecht. Warum auf die Zeichnung von Jussuf Abbo verzichten? Oder auf das wunderbare kleine Aquarell von dem geschlagenen Offizier von Theodor Hosemann? Ich vermag keine Unterscheidung zu treffen zwischen bedeutend und weniger bedeutend. Sie sind mir alle sehr wichtig, sonst hätte ich sie ja nicht erworben. Mir war immer bewusst, dass eine qualitätsvolle Sammlung nur entstehen kann, wenn man kühn ist und vor hohen Preisen keine Angst hat.

Sie haben sich aber offenbar auf Arbeiten auf Papier beschränkt, nur die werden jetzt bei der Auktion angeboten.
Nein, ich besitze Skulpturen, auch ein paar Ölbilder. Und ich besitze als Rückzugsgebiet auch die Sammlung meiner Frau, mit der ich seit über 30 Jahren verheiratet bin und der ich immer wieder Kunstwerke geschenkt habe. Mit denen leben wir jetzt. Als ich sagte, dass ich meine ganze Handzeichnungssammlung verkaufe, fragte sie erschrocken: "Und meine Blätter?" "Deine Blätter bleiben unberührt", habe ich geantwortet.

Wären sie denn eine gute Ergänzung gewesen?
Aber ja, meine Frau hat eine herausragende Paula-Modersohn-Becker-Zeichnung, ein wunderbares Nolde-Aquarell, und und und. Nein, wir werden nicht vor leeren Wänden leben.

Eine Tür schließt sich, eine neue wird geöffnet, sagen Sie. Das Exilmuseum ist Ihnen offenbar eine echte Herzensangelegenheit. Wie ist die Idee eigentlich entstanden?
Herta Müllers Brief 2011 an die Kanzlerin, in dem sie ein Exilmuseum dringend angemahnt hat, spielte eine gewichtige Rolle auf dem Weg zu unserem Vorhaben, ebenso Christoph Stölzls und Stefan Moses Buch "Deutschlands Emigranten" von 2013. Christoph Stölzls und meine eigene familiäre Vorgeschichte haben auch damit zu tun. Und dann bin ich seit 1965 Kunsthändler und sehr viel durch die Welt gereist. Ich war bestimmt hundertmal in New York. Dort habe ich viele deutschsprachige Emigranten getroffen. Mich hat das Schicksal dieser Menschen immer wieder sehr bewegt. Ganz enge Freundschaften sind durch diese Begegnungen entstanden – Freunde, die auch als Mentoren auf mich gewirkt haben. Eine große jüdische Familie kümmert sich seit 50 Jahren ganz besonders um mich. Ich bin mit deren Heimatlosigkeit und Gefühlen für Berlin also sehr vertraut. Die Emigranten, die sich bis 1938 vor dem Nazi-Regime retten konnten, waren oft Sammler, die im besten Fall noch die Gelegenheit hatten, ihre Kunstwerke mitzunehmen.

Was können die Exil-Lebensläufe aus der NS-Zeit über aktuelle Migrationsschicksale erzählen?
Letztlich sind es immer Einzelschicksale, die wir erzählen wollen. Wenn wir hören, dass 1,5 Millionen Menschen als Flüchtlinge in den vergangenen Jahren zu uns nach Deutschland gekommen sind, scheint die heutige Situation als enorm bedrohlich. Und es ist auch eine große Herausforderung für unser Land. Aber wenn Sie sich mit den Menschen einzeln beschäftigen, dann berührt Sie das und Sie möchten helfen, wo immer Sie können. Meine Familie hat eine Frau und deren Familie aus Palmyra unterstützt. Sie ist die Tochter des Museumsdirektors, der für die Schätze der antiken Stadt verantwortlich war und trotz schlimmer Drohungen die Verstecke von gewichtigen Kulturgütern nicht preisgegeben hat. Daraufhin wurde er vom IS hingerichtet. Durch den Kontakt mit dieser Familie haben wir gelernt, welche bewegenden und tragischen Einzelschicksale es gibt – heutzutage wie auch zwischen 1933 und 1945.

Das Exilmuseum wird sich dennoch auf die NS-Zeit beschränken?
Deutschland war in den 20er-Jahren die Kulturnation schlechthin, ob es im Filmbereich, in der Fotografie, in der Architektur oder Wissenschaft war. Der NS-Terror hat zu einem einzigartigen Aderlass für unser Land geführt, dieser Verlust kann nie wieder ersetzt werden. Es gibt diese Geschichte des Direktors einer New Yorker Universität, der 1937, als jemand auf Hitler schimpfte, entgegnete: "Hitler ist mein Freund. Unter dem Baum, an dem er schüttelt, halte ich meine Schürze auf. Da fange ich die ungewöhnlichsten Menschen auf." Aufzuzeigen, was dieser Verlust, dieser Kulturbruch und diese Selbstamputation für unser Land bedeutet, ist eine der Aufgaben des geplanten Museums. Es muss einen Ort geben, wo man das begreifen kann – besonders heute. Wenn wir den Standort am Anhalter Bahnhof bekommen, und danach sieht es aus, wird das Museum eingebettet sein neben dem Mahnmal zur Topografie des Terrors, dem Gropius Bau und der der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Im Umfeld dieses Ortes haben 70 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund.

Wird nicht das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung, das 2020 eröffnen soll, ähnliche Aufgaben haben wir Ihr Exilmuseum?
Das ist etwas ganz anderes. Dort geht es um Deutsche, die aufgrund des verlorenen Krieges nach 1945 ihre Heimat verlassen mussten.

Ursprünglich war das Haus neben der Villa Grisebach, das Ihrer Familienstiftung gehört und in dem das Kollwitz-Museum noch Mieter ist, als Ort für das Exilmuseum angedacht. Wenn Sie nun an den Anhalter Bahnhof ziehen, hätten Sie das Kollwitz Museum gar nicht kündigen müssen.
Dieses Haus hat die ganze Idee erst ermöglicht. Schnell wurde mir bewusst, dass ich kein Museum planen kann, ohne ein Haus dafür zu besitzen. Ich wusste, dass es auf dem heutigen Berliner Immobilienmarkt sehr schwierig sein würde, ein passendes und auch bezahlbares Objekt zu finden – bis mir in den Sinn kam: Ich besitze doch ein Haus – das Domizil des Käthe-Kollwitz-Museums in der Fasanenstraße 24. Doch mit der weiteren und immer konkreter werdenden Planung des Museums und dessen rasch anwachsenden inhaltlichen Dimensionen veränderten sich auch unsere Vorstellungen. Da das Haus in der Fasanenstraße 24 lediglich eine Ausstellungsfläche von nur 600 Quadratmeter besitzt, haben wir nach einer Alternative gesucht. Es war dann Christoph Stölzl, der uns auf die freie Schotterfläche hinter der Portalruine des Anhalter Bahnhofs aufmerksam gemacht hat. Von dort mussten damals 50.000 Menschen ins Exil aufbrechen.

Was machen Sie mit dem Haus neben der Villa Grisebach?
Das Kollwitz-Museum zieht nun bald um, wir werden das Haus umbauen und dann neu vermieten. Die dann sehr viel höher anfallenden Mieteinnahmen werden künftig in die Unterhaltung des Exilmuseums fließen.

Werden Sie die Auktion am Donnerstag und Freitag selbst durchführen?
Nein, das habe das vor langer Zeit schon aufgegeben. Das ist mir zu aufregend. Als Auktionator müssen Sie auch ein guter Schauspieler sein, und das bin ich nicht. Jeder muss seine Talente, aber auch Grenzen kennen.

Sie haben sich 2017 als Mitbegründer des Auktionshauses aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Vermissen sie Ihre Arbeit in der Villa Grisebach?
Nein, wir – André Schmitz, Christoph Stölzl, Peter Raue und viele weitere Mitstreiter – haben nun ein neues Projekt: die Gründung eines Exilmuseums in Berlin.

Florian Illies, Ihr Nachfolger als Geschäftsführer an der Villa Grisebach, verlässt nun das Haus. Betrübt Sie das?
Das bedauern wir sehr.

Er wird Verlagsleiter bei Rowohlt, ein Führungswechsel der dort für Unruhe sorgte …
Das ist seine neue offene Tür.

Werden Sie weiter Kunst sammeln?
Es macht ja keinen Sinn, dass ich auf der einen Seite meine Sammlung verkaufe, um Geld als einen großen Baustein fürs Exilmuseum zu bekommen, um dann gleichzeitig wieder mit dem Sammeln anzufangen. So kaufe ich nur noch Kunst bis 1000 Euro. Dadurch habe ich nicht das Gefühl, mich ganz aus dem Sammlerleben herauskatapultiert zu haben. In den vergangenen Monaten konnte ich bereits drei Werke unterhalb dieser Summe erobern.