Radikalisierung im Netz

"Es geht nicht um Gaming oder Foren! Es geht um Rechtsradikalismus!"

Seit dem Anschlag von Halle wird wieder über rechtsradikale Netzwerke im Internet diskutiert. Die Kuratorin Inke Arns hat zu rechten Bildkulturen geforscht. Sie fordert eine "Meme-Kompetenz" - und ist entsetzt über die Unbeholfenheit der Politik

Welche Rolle spielen Bilder bei der Verbeitung rechtsextremer Ideologie? Nach dem Terroranschlag von Halle, bei dem ein bewaffneter Attentäter offenbar aus rechtsradikalen Motiven eine Synagoge stürmen wollte und zwei Menschen erschoss, stehen einmal mehr rechte Internet-Netzwerke im Fokus. Wie bereits beim Attentat auf eine Moschee im neuseeländischen Christchurch streamte der Täter seine Morde auf einer Online-Plattform. 

Die Kuratorin Inke Arns beschäftigt sich mit der Kommunikation und der Bildwelt in rechten Subkulturen. In diesem Jahr hat sie in Dortmund eine Ausstellung zu den Codes der "Alt-Right" konzipiert. also rechter Gruppierungen, die im Internet eine eigene Kommunikationskultur aufgebaut haben. Im Interview erklärt sie, warum jeder rechte Memes kennen sollte, und was die Kunst im Umgang mit solchen Bildern leisten kann.

Inke Arns, der Sozialwissenschaftler David Begrich hat gesagt, dass Taten wie die von Halle und Christchurch ohne Bilder nicht denkbar seien. Stimmen Sie dem zu?

Natürlich, Propaganda hat noch nie ohne Bilder funktioniert. Allerdings sind Texte in diesem Kontext mindestens genau so wichtig: Denken Sie nur an die "Manifeste", die fast jeder dieser Attentäter vorher ins Netz gestellt hat. Aber Bilder, bewegte und unbewegte, sind zentral. Der Vorschlagsalgorithmus auf YouTube kann zu einer Radikalisierung von Nutzer*innen führen. Da geht es schnell von harmlosen Ratgeber-Videos zu "White Supremacy Rants". Und es ist bekannt, dass sich Menschen mit rechtsextremem Gedankengut auf Plattformen beziehungsweise Imageboards wie 4chan oder 8chan vernetzen. Dort werden in bestimmten Gruppen politische "Memes" ausgetauscht, also Bild-Wort-Kombinationen.

Haben Sie ein Beispiel?

Beispiele von meist vollkommen unpolitischen Memes sind "LOLcats", lustige Katzenbilder, die mit Texten kombiniert werden. Auf 4chan sind aber nicht nur harmlose Bild-Subkulturen entstanden, sondern auch extrem "politisch inkorrekte" - so heißt eines der Boards. Aber die sind nicht der Grund für diese Taten. Sie sind höchstens ein Katalysator, etwas, das potentielle Täter in ihrer extremen Weltsicht bestärkt.

Wir haben mehrere Attentate erlebt, bei denen die Täter ihre Morde gestreamt haben. Sind diese Filme Nebenprodukt oder ist die Bildwerdung von Anfang an wichtig?

Sie ist absolut zentral, denn durch diese Videos sollen andere "Schläfer" zur Nachahmung aufgefordert werden. Deswegen ist es ja so wichtig, die Bilder nicht zu zeigen oder weiterzuverbreiten. Auch die Namen der Täter sollten nicht genannt werden. Da gibt es in der Medienlandschaft einen Lernprozess, aber es ist eine Gratwanderung. Man kann es auch nicht ganz verhindern, weil man darüber berichten muss. Es ist immer eine Frage des Wie.

Die Plattform 8chan, auf der die Attentäter von Christchurch, El Paso und wahrscheinlich auch der von Halle aktiv waren, ist seit August offline. Ihr Erfinder, Fredrick Brennan, hat in einem "Zeit"-Interview gesagt, dass er die Gründung der Seite inzwischen bereut. Wie gedeiht dort so viel Hass?

Oft kann man die Nutzung einer Plattform oder eines Bildes einfach nicht voraussehen und sich nur schwer gegen Vereinnahmungen wehren. Das ging auch dem Urheber von "Pepe dem Frosch" so. Pepe ist ja zum ultimativen Symbol der "Alt-Right", also der neuen Rechten in den USA, geworden. Sogar Donald Trump hat den Frosch – dargestellt als amerikanischer Präsident mit gelber Föhnfrisur – vor seiner Wahl getwittert. Ursprünglich ist er aber eine völlig unpolitische Figur aus dem Comic "Boy's Club" von Matt Furie von 2005. Der Autor wird sie nie wieder zurückbekommen. Dasselbe passiert auch mit Plattformen. Die sind nicht an sich rechts oder links, gut oder schlecht. Auf 4chan ist  zum Beispiel auch Anonymous entstanden, eine Bewegung, die eher in der linken Kapitalismuskritik verortet ist. Sie nennt sich so, weil auf 4chan eben alle anonym posten.

Befördert Anonymität die Radikalität?

Es gibt Leute, die genau das sagen. Man kann im Schutz der Anonymität Dinge posten, die man normalerweise nicht öffentlich äußern würde. Und um in der Plattform-Logik zu bleiben: Um sich gegenüber anderen Nutzer*innen auszuzeichnen, bleibt quasi nur die immer krassere Radikalisierung der eigenen Beiträge. Man könnte von einem pubertären Überbietungswettbewerb sprechen, wenn das Ganze nicht so radikale – und letztlich tödliche – Konsequenzen hätte.

Weil das Video des Halle-Attentäters aussieht wie ein Ego-Shooter, klingt es bei manchen Politikern nun wieder so, als seien die Gaming-Szene oder das Internet das Problem.  Ist das eine nötige Diskussion oder eine Scheindebatte zur Gewissensberuhigung?

Aus meiner Sicht eine absolute Scheindebatte. Es geht nicht um Gaming oder Foren, es geht um Rechtsradikalismus und rechten Terrorismus. Natürlich muss man wissen, wie der sich ausdrückt, und wie Werkzeuge der Gamer-Szene benutzt werden. Beim Kanzlerduell zur Bundestagswahl 2017 wurde die Gamer-App Discord von einigen Tausend rechten Trollen benutzt, um die Twitter-Trends zu manipulieren – und gezielt die AfD zu unterstützen. Da trendeten dann Hashtags wie #nichtmeinekanzlerin oder #verräterduell. Politiker*innen sollen hier klar als "Volksverräter" gebrandmarkt werden – ein Begriff aus dem Dritten Reich. Diese Plattformen werden benutzt, aber nicht, weil es Gamer sind, sondern Leute aus dem politisch rechten Spektrum. Ob Ego-Shooter-Games die Hemmschwelle herabsetzen, Menschen auch "in der Realität" zu töten, ist eine andere Frage.

Worüber also sprechen?

Über rechte Gesinnung und rechte Schläfer. Über rechtsextremistische Ansichten und Weltanschauungen. Über eine globale rechtsextremistische bis rechtsterroristische Subkultur, die sich über bestimmte Foren austauscht und gegenseitig verstärkt. Und man muss sich klar machen, dass diese Gesinnungen einen politischen Arm haben. Das ist in Deutschland ganz klar die AfD. Die wiederum eng verbandelt ist mit der sogenannten Identitären Bewegung (IB), deren Mitglieder teilweise in AfD-Abgeordnetenbüros arbeiten. Die IB ist extrem islamfeindlich und vertritt den sogenannten "Ethnopluralismus". Das hört sich erstmal nach "Multikulti“ an, bedeutet aber Rassismus, Apartheit, Rassentrennung. Das Manifest des Attentäters von Christchurch – der übrigens auch an die IB in Österreich gespendet hat – trägt den Titel "Der Große Austausch". Das ist eine Verschwörungstheorie, die nicht nur in der IB sondern auch in der AfD Konjunktur hat: Angeblich soll die weiße Bevölkerung durch "muslimische Zuwanderer ersetzt“ werden. Das rechtfertigt dann "Notwehr" gegen Immigrant*innen.

Welche Rolle spielen Bilder bei deren Ideologie?

Die Identitäre Bewegung entspricht vielleicht am ehesten der amerikanischen Alt-Right - und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie ist sehr gut in der Produktion von Bildern, und sie bedient sich Strategien, die wir eher von Greenpeace oder linken Aktivist*innen kennen. Mitglieder der IB ketten sich an etwas fest, steigen aufs Brandenburger Tor, entrollen Transparente und blockieren Ministerien. Mitglieder der IB initiieren auch Wohn- und Hausprojekte. Man darf nicht unterschätzen, wie sie sich in bestimmten Kreisen zu einer hippen Jugendbewegung entwickeln.

Man spricht oft davon, dass sich Begriffe aus dem rechten Spektrum immer tiefer ins Bewusstsein fressen, auch wenn sie kritisch gebraucht werden. Passiert das Gleiche mit Bildern?

Natürlich, denn speziell diese rechten Memes funktionieren über Humor und Ironie. Ein Analyst hat mal gesagt: "If you make racism funny, you can subvert the cultural taboo." Das ist das Perfide an der Sache: In der Szene werden Memes mit sehr radikalen Inhalten geteilt, und wenn es dann zu einem Aufschrei kommt, kann man sich immer noch damit herausreden, dass es witzig ist und sich die anderen mal locker machen sollen. Trotzdem weitet man damit die Grenzen des Sagbaren aus, und genau das ist das Ziel. Man müsste jetzt genau diese Strategie wieder zurückerobern und für die Gegenseite nutzen. Einen radikalisierten Humanismus, wenn Sie so wollen. Das funktioniert aber nur theoretisch, leider.

Sie haben im Zuge Ihrer Ausstellung "Der Alt-Right-Komplex" von "Meme-Kompetenz" gesprochen. Was heißt das?

Matt Goertzen spricht in seinem Text "Über die Meme der Produktion" von einer "memetischen Rechten", mit der wir es heute in den "sozialen Medien" zu tun haben. Affekte, die über virale Memes generiert werden, sind der zentrale Motor des Populismus. Mit "Meme-Kompetenz" meine ich, dass man die Kommunikation dieser Subkulturen und ihre Bildsprache verstehen muss. Man muss auch die Begriffe kennen, es geht um die Aneignung einer Sprachkompetenz.

Wie lernt man die?

Für die Ausstellung habe ich ein Glossar mit fast 40 Begriffen verfasst, zu Plattformen, Begriffen, Personen, Ideologien. Es war in der Ausstellung als zentrales Element zu sehen und kann als Teil des Ausstellungsmagazins als kostenloses Pdf heruntergeladen werden. Es gibt in der "Alt-Right" viele Geheimcodes. Der Begriff "The Red Pill" zum Beispiel bezieht sich auf den Film "Matrix". Wenn man diese rote Pille schluckt, so geht das Narrativ, erkennt man die vermeintliche Wahrheit: dass man von radikalen Feministinnen, "Feminazis“, umgeben ist, die man bekämpfen muss, oder dass die weiße Männlichkeit in Gefahr ist. Wenn man diese Codes kennt, kann man das, was man hört oder sieht, besser einordnen.

Wie nähern sich Künstler solchen Phänomenen?

Ganz unterschiedlich. Manche setzen den Opfern rechtsradikaler Gewalt ein Denkmal. Oder sie entwickeln aktivistische Strategien gegen Rechts. Ich habe mich jedoch in der Ausstellung bewusst für solche Positionen entschieden, die zunächst einmal das Feld sondieren und diese Online-Kultur analysieren, die ja vielen nicht bekannt ist. Man muss überhaupt erst einmal verstehen, wie diese Subkulturen funktionieren, um auf dieser Basis dann vielleicht Strategien zu entwickeln, die über das Bezeugen der eigenen anti-rechten Position hinausgehen.

Wie sieht eine solche Aufarbeitung aus?

In der Ausstellung gab eine Arbeit von Disnovation.org, die auf einer riesigen Bilderwand hunderte von politischen Memes kartografiert und politisch verortet haben. Das Tolle war, dass davor immer Leute standen, die diskutiert haben. Jonas Staal hat dagegen die Filme von Steve Bannon analysiert. Viele kennen Bannon als ehemaligen Chefredakteur der rechten Plattform "Breitbart News" oder als Ex-Berater von Donald Trump, aber wenige wissen, dass er zehn Film-Manifeste gemacht hat, die extrem rassistisch und von der Weltsicht der "White Supremacy" geprägt sind. Jonas Staal hat die immer gleiche visuelle Rhetorik dieser Filme analysiert. Es tauchen Raubtiere auf, die Demokratie ist ein Dinosaurier, der ausstirbt, es ballen sich Stürme zusammen, die die weiße Gesellschaft hinwegfegen wollen.

Also geht es immer um Bedrohung?

Ja, es wird visuell eine Apokalypse heraufbeschworen, die notwendig ist, um den Kampf der Alt-Right gegen Immigrant*innen, Muslime, "Kulturmarxismus", Feministinnen und die Demokratie als Notwehr zu rechtfertigen. Bannon stellt sich selbst gerne in eine Linie mit Regisseur*innen wie Leni Riefenstahl, Sergej Eisenstein und Michael Moore. Da sieht man, wie eklektisch die Quellen sind, aus denen die Alt-Right schöpft.

Trotz der kritischen Einordnung: Haben Sie keine Bedenken, dass Kunst diesen Inhalten noch eine zusätzliche Bühne bietet? Die Verteidigungsrede des Rechtsterroristen Anders Breivik vor Gericht fand ja zum Beispiel nicht ohne Grund unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Ich habe viel über die Problematik des "Platformings" nachgedacht. Das bedeutet, dass man mit einer Ausstellung potentiell bestimmten Ideen eine Bühne gibt, und indirekt zur Weiterverbreitung dieser Ideen beiträgt. Es gab in der Vergangenheit zwei Fälle, in denen Ausstellungen massiv – meiner Meinung nach zu Recht – für genau dieses "Platforming“ kritisiert worden sind: Der Londoner Projektraum LD50 in 2017 und die Athen Biennale 2018. Die Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung "Der Alt-Right-Komplex" hingegen wiederholen die Inhalte, um die es geht, eben nicht eins zu eins. Und vor allem nicht unkommentiert. Selbst Milo Rau nicht, der Breiviks Verteidigungsrede von einer türkisch-deutschen Schauspielerin eins zu eins nachsprechen lässt.

Was ist anders?

De Protagonistin macht das auf eine ganz bestimmte Art: Mit Pausen, direktem Blick in die Kamera und Kaugummikauen. Und sie als Person ist jemand, gegen den sich die tödliche Konsequenz der Ideologie von Breivik gerichtet hat. Es wird also nicht einfach re-enactet. Es geht darum, etwas zu Gehör zu bringen und es direkt zu kontextualisieren. Quasi die Konsequenz dieses Denkens direkt mitzuliefern.

Bleibt Kunst über rechte Blasen dann nicht wiederum in der eigenen Kunstblase?

Kunst ist natürlich eine eigene Blase. Ich versuche aber in den Ausstellungen, die ich mache, immer wieder zu zeigen, dass die Künstlerinnen und Künstler eben nicht in dieser Kunstblase bleiben. Sie setzen sich kritisch mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander. Und ich fand es faszinierend, dass die Ausstellung immer voller Besucher*innen war. Man sagt ja, dass niemand mehr liest, aber das stimmt nicht. Das Glossar wurde sehr sorgfältig gelesen und es wurde darüber gesprochen. Der Vorteil der Kunst ist, dass sie die rechten Bildkulturen nicht abstrakt beschreibt, sondern sie zeigt und kontextualisiert. Kunst ist kein abstrakter Text, sondern ein immersiver Raum, in dem vielfältige Dialoge entstehen, zwischen Werk und Betrachter, aber auch zwischen den Arbeiten.

Machen Künstler da eine Arbeit, die eigentlich die Politik erledigen müsste?

Ich finde es erschreckend, wie groß das Unwissen über das Internet immer noch ist. Das sind alles Dinge, mit denen man sich viel früher hätte auseinandersetzen können. Und es nicht so, dass es keine Leute gibt, die sich damit auskennen. Das Internet ist in der deutschen Politik offenbar immer noch Neuland. Ich habe das Gefühl, dass da, wo Gesellschaft und Bildung versagen, nach der Kunst und der Kultur gerufen wird. Die Kultur könnte das potentiell schon, aber mit den geringen finanziellen Mitteln, mit denen sie gegenwärtig ausgestattet ist, geht das nicht. In solchen Momenten wie nach Halle wird deutlich, dass wir massive Bildungsdefizite haben, nicht nur in den Schulen, sondern auch bei den Politiker*innen. Darum sollte es jetzt gehen.