Zehn Jahre "Contemporary And"

"Eine gute Portion Größenwahn"

"Contemporary And "ist ein Magazin für zeitgenössische afrikanische Kunst - abseits von westlichen Labels. Zum zehnten Geburtstag spricht Mitgründerin Yvette Mutumba über Zukunftspläne und blinde Flecken im Diskurs um den "Globalen Süden"

 

Yvette Mutumba, "Contemporary And" (C&) ist eine Plattform für zeitgenössische Kunst aus Afrika und der globalen Diaspora. Wo haben Sie die meisten Leserinnen und Leser?

Die meisten Online-Zugriffe haben wir aus den USA mit rund 20 Prozent, aber unser Publikum ist schon sehr global verstreut. Julia Grosse und ich haben C& im Jahr 2013 mit dem Ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) gegründet, als die Kunstproduktion des afrikanischen Kontinents und der Diaspora hier noch immer als Nische wahrgenommen wurde. Wir wollten einen Ort schaffen, der die Komplexität und Vielfalt dieser Stimmen deutlich macht und über das hinausgeht, was aus europäisch-westlicher Perspektive gerade als "zeitgenössische afrikanische Kunst" gelabelt wird. Für uns war wichtig, nicht einfach nur ein europäisches oder US-Publikum darüber zu informieren, was gerade passiert in Afrika und der Diaspora, sondern eine wirkliche Austauschplattform zu schaffen, die genauso lokale Relevanz hat. Auch jemand, der in Addis Abeba sitzt, weiß ja nicht automatisch, was gerade in Johannesburg für eine spannende Ausstellung eröffnet, auch wenn das in einer westlichen Denke von "afrikanischer Kunst" oft so erwartet wird. Wir haben mit einer guten Portion Größenwahn die Idee gehabt, die diversesten Orte und Stimmen und Diskurse mit so einer Plattform zusammenführen. Damit war auch klar: Es muss vor allem ein Online-Magazin sein, damit es eben von überall her zugänglich ist.

C& ist ein Magazin und eine Plattform, aber Sie machen auch viele Workshops vor Ort und arbeiten mit Institutionen.

Das hat sich dann so ein bisschen organisch entwickelt. Von Anfang war uns wichtig, dass die Inhalte, egal ob wir sie online oder in einer Printausgabe publizieren, von Leuten produziert werden, die vor Ort und Teil der Szene sind. Dieses Netzwerk bauen wir seit Jahren aus, etwa durch critical writing workshops für junge Autorinnen und Autoren. Darin geht es um die Grundlagen des Kunstjournalismus, um die Tools, die es dafür braucht, und um den Aufbau eines Netzwerks. Aber etwa auch um Fragen der Zensur oder darum, was man macht, wenn man sein Honorar nicht ausgezahlt bekommt. Über diese Workshops hinaus bieten wir auch Mentoring Programme an, bei denen Schreibende über mehrere Monate hinweg mit einem Tutor oder einer Tutorin zusammenarbeiten, um ihre Fähigkeiten weiter auszubauen.   

Es gibt seit einigen Jahren eine verstärkte globale Sichtbarkeit für afrikanische Kunstschaffende. Wie haben sich die Kunstszenen vor Ort entwickelt, welche Veränderungen bemerken Sie?

Eine Veränderung ist sicherlich, dass der Blick heute nicht mehr so sehr gen Westen gerichtet ist. Das Ziel ist nicht mehr unbedingt, es als Künstlerin oder Autor irgendwann mal nach Berlin oder London oder New York zu schaffen, sondern die eigenen lokalen Strukturen zu unterstützen und auszubauen. Nach Auslandsaufenthalten gehen viele Kreative zurück in die Heimat, um dort zu arbeiten. Künstlerstars wie Michael Armitage oder Amoako Boafo bauen in ihren Heimatländern Galerienhäuser oder Residencyprogramme auf; auch Kehinde Wiley, der Afroamerikaner ist, hat im Senegal ein Stipendienprogramm aufgezogen. Diese Entwicklung nimmt immer weiter zu.

Mit Projekten wie dem C& Center of Unfinished Business intervenieren Sie auch in westlichen Kunsträumen. Wie haben sich die Institutionen hierzulande in Sachen Diversität und Postkolonialität entwickelt?

Ich glaube, es hat sich schon in den letzten zehn Jahren etwas verändert in dem Sinne, dass unsere Institutionen und ihre Ausstellungsprogramme wesentlich offener und diverser sind. Aber man muss auch im Blick behalten, in wie weit solche Dinge einfach Trend sind oder wirklich eine nachhaltige Entwicklung darstellen, die auch strukturelle Auswirkungen hat. Und da ist sicherlich noch Luft nach oben. Das C& Center of Unfinished Business ist ein wandernder Leseraum, mit dem wir in Institutionen und Kunsträume durch die ganze Welt gereist sind und geschaut haben, wie sich die Spuren des Kolonialismus niederschlagen. Welche Bücher stehen da? Welche Themen und Geschichten werden erzählt, mit welchem Wissen arbeiten die Institutionen? Und was fehlt?

Aktuell wird viel über die Politisierung der Kunst und der Institutionen gesprochen, in der manche Kritiker eine Gefahr für die "Freiheit" der Kunst sehen. Spüren Sie Gegenwind bei Ihrer Arbeit?

Unser Magazin deckt inhaltlich ja ein sehr breites Spektrum an Themen ab, die uns als Gesellschaft definieren. Das kann Politik sein, oder Feminismus oder Fragen der Identität, aber zum Beispiel auch Mode oder Urbanismus. Was die Institutionen im Westen anbelangt, spüren wir eher noch immer eine gewisse Angst oder Unsicherheit, sich bestimmten Themen anzunähern oder die richtige Sprache zu finden.

Auch die letzte Documenta wurde stark politisiert, und in vielen Debattenbeiträgen wurde eine Dichotomie aufgemacht zwischen dem "Globalen Süden" und "dem Westen". Wie hat Ihr Netzwerk diese Auseinandersetzung wahrgenommen?   

Gerade am Anfang war da sehr viel Unverständnis. Leute, die den deutschen Kontext nicht so gut kannten, mussten erst mal verstehen, was da passiert und wie das einzuordnen ist. Uns war wichtig, Pauschalisierungen entgegenzuwirken und klar zu machen, dass hinterm dem, was "global south" genannt wird, sehr viele Perspektiven stehen. Darunter sind Positionen, mit denen man sich kritisch auseinandersetzen muss, aber die verallgemeinernde Gleichsetzung von Kunstschaffen im globalen Süden und Antisemitismus wird dem Diskurs in keinster Weise gerecht. Viele in unserem Netzwerk waren erschrocken und auch betroffen über die Art, wie sie da pauschal in eine Schublade gesteckt wurden.

Wie gehen Sie mit Kulturschaffenden um, die der Israel-Boykott-Bewegung BDS nahestehen? Und wie groß ist der politische Druck, sich von BDS zu distanzieren – immerhin wird Ihre Plattform ja vom Institut für Auslandsbeziehungen (Ifa), beziehungsweise vom Auswärtigen Amt finanziert.

Bei uns war BDS bis jetzt kein Thema, denn bislang haben wir nicht mit Künstlerinnen oder Künstlern zusammengearbeitet, die BDS unterstützen oder das Thema in ihrer Arbeit aufgegriffen hätten. 

Laut der BDS-Resolution des Bundestags sollen keine Ausstellungen oder Veranstaltungen mit BDS-nahen Kunstschaffenden gefördert werden. Gilt diese Richtlinie auch für Sie?

Wie gesagt, hatten wir den Fall bislang nicht, aber wir sind uns gemeinsam mit dem Ifa der Thematik bewusst und setzen unsere Projekte aufmerksam auf. Ich kann nicht für das Ifa sprechen hinsichtlich seines Umgangs mit der Richtlinie.

Wie feiern Sie Ihr Jubiläum?

Es wird eine Reihe von Veranstaltungen und Feiern weltweit geben. Am 18. März geht es in Berlin los mit einer Diskussion in der Ifa-Galerie und anschließender Party im Acud; Mitte Mai geht es dann in New York weiter, und für die zweite Jahreshälfte haben wir drei weitere Events in São Paolo, Nairobi und Santo Domingo geplant. 

Und gibt es etwas, was Sie sich für die kommenden zehn Jahre vorgenommen habt?

Was wir noch verstärkter verfolgen werden, ist eine weitere Öffnung und der Ausbau unserer Netzwerke auch durch physische Headquarters. Das hat sich etwa durch das Büro in Nairobi, das wir letztes Jahr eröffnet haben, schon angekündigt. Seit letztem Jahr ist eine Version des Centers bei Parasite in Hongkong. Es wird also auf jeden Fall weitergehen!