"Erotik der Dinge"

Sextoy, spülmaschinenfest

Was macht Dinge erotisch? Wann wird der Turnschuh zum Fetisch? Wie verändert die Digitalisierung Sexspielzeuge? Ein Gespräch mit den Kuratoren der Berliner Ausstellung "Erotik der Dinge"

Renate Flagmeier und Hannes Hacke, ausgehend von den Sammlungen der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und Alfred Kinsey sowie der Kunstsammlung von Naomi Wilzig blickt Ihre Ausstellung auf die Besonderheiten und die Geschichte erotischer Objekte. Was ist erotisch an Alltagsobjekten wie Flaschenöffnern, Feuerzeugen oder Taschenuhren?

Hacke: Diese Objekte werden oft durch erotische Abbildungen aufgeladen – also etwa Abbildungen von nackten Frauen. Wichtig ist hier aber auch der Nutzungszusammenhang. Das mit einer Nackten bedruckte Zigarrenetui, die Taschenuhr mit doppeltem Boden, der Korkenzieher in Form von Frauenbeinen – das sind typische Utensilien des sogenannten Herrenzimmers, wo in einem patriarchalen Gefüge eine erotische Stimmung zwischen heterosexuellen Männern hergestellt wird. Zusätzlich gibt es Design, das direkt Körperteile imitiert: Der Aschenbecher in Form eines weiblichen Unterkörpers oder die busenförmigen Tasse, auf der "Für den Schmuser" steht. Da wird der heterosexuelle männliche Konsument direkt angesprochen.

Die Geschichte erotischer Dinge ist also vorwiegend heteronormativ geprägt?
Flagmeier: Ja. Und sie ist oft sexistisch. Manches läuft vielleicht unter der Rubrik Scherzartikel, aber die Frage ist: Für wen ist das erotisch? Auf wessen Kosten wird hier gelacht? Da werden klassische Herrschaftsstrukturen sichtbar.

Hacke: Kann man diese Verdinglichung des weiblichen Körpers überhaupt als Erotik bezeichnen? Der weibliche Körper wird in diesen Dingen zum Objekt, er wird benutzt, herabgewürdigt. Stereotype dominieren das Design, hin und wieder stößt man aber auch auf Ambivalenzen. Wir zeigen einen Pfeifenstopfer aus dem 19. Jahrhundert in Form eines Unterarms, der einen Penis in der Hand hält. Der Benutzer müsste einen Phallus anfassen, um seine Pfeife zu stopfen – da wird dann eher eine homoerotische Situation hergestellt. Hingegen haben wir in den Sammlungen kaum Darstellungen lesbischer Sexualität oder weiblicher Sexualität gefunden. In unserer materiellen Kultur kommen Frauen als sexuell Begehrende fast nicht vor.

Was macht denn Dinge erotisch?
Flagmeier: Ein wichtiger Aspekt ist die Form eines Gegenstands, die assoziativ mit Körperlichkeit verbunden ist. Über die Nachbildung von Geschlechtsorganen hinausgehend findet man solche Formen in der Natur – bekannte Beispiele sind Muscheln, Steine oder Obst und Gemüse wie z.B. Auberginen, die ja heute als sexuell aufgeladenes Emoji verwendet werden, Bananen oder Pfirsiche und vieles mehr. Da spielt auch die Haptik mit hinein. Weichheit, Rundung und Glätte sind Aspekte, die man aus der eigenen Körpererfahrung kennt und die die Wahrnehmung beeinflussen. Es läuft viel über die eigene Erinnerung.

Hacke: Kann ein eckiges Objekt Erotik ausstrahlen? Das ist eine Frage, die uns immer wieder begegnet ist bei der Vorbereitung der Ausstellung. Ein weiterer Aspekt ist die Materialität. Stoffe wie Lack, Latex, Samt oder Leder, die oft als erotisch wahrgenommen werden oder sogar als Fetisch fungieren, haben die Anmutung menschlicher Hautoberfläche. Wolle hingegen etwa taucht in diesem Kontext ganz selten auf. Die ist vermutlich zu kratzig.

Wie unterscheiden sich erotische von pornographischen Dingen?
Hacke: Historisch betrachtet, kommen beide Begriffe mit dem 18. Jahrhundert auf und werden dann im 19. Jahrhundert popularisiert. Anfangs sind die Begriffe nicht voneinander geschieden, sondern werden überlappend verwendet. Die Trennung vollzieht sich im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert, auch als Folge von juristischen Auseinandersetzungen. Fortan gilt Pornographie das Verbotene, Erotik ist noch akzeptabel. Ab den 1970er-Jahren grenzen auch Feministinnen eine "weibliche" Erotik von "männlicher" Pornographie ab. Dagegen opponieren später andere Frauen und plädieren für eine  feministische Pornographie. Die Grenzen zwischen Erotik und Pornographie verschwimmen.

Heute gibt es Debatten um nackte Brüste im Internet und Zensur im Netz. Erleben wir eine neue Prüderie?
Flagmeier: Was die Fülle an käuflichen erotischen Produkten angeht, sicherlich nicht. Überall finden sich erotische Darstellungen, sei es der phallusförmige Salzstreuer oder der busenförmige Aschenbecher. 

Hacke: Ich glaube auch nicht, dass wir busenförmigen Aschenbechern und Nacktbildern auf Feuerzeugen hinterhertrauern müssten, sollten sie einmal verschwinden. Die Zensur von Nippeln bei Instagram oder Facebook ist eine komplexe Frage, weil es auch um die Zirkulation der Bilder geht, um Macht und um Geld. Wir zeigen in unserer Ausstellung ein Video der US-Künstlerin Stephanie Sarley, in dem sie mit ihren Händen Obst streichelt, penetriert. Sarleys Videos sind bereits öfter  gesperrt worden – es braucht also oft gar keine Nippel oder Geschlechtsteile, damit etwas als pornographisch oder obszön eingestuft wird. Gleichzeitig erleben wir nach wie vor geschlechtsspezifische Unterscheidungen: Ein männlicher Nippel ist okay, ein weiblicher nicht.

Ein weiterer Teil Ihrer Ausstellung versammelt Liebesmittel – darunter auch den "Relax-A-cizor", der zuletzt auch in der Fernseh-Serie "Mad Men" auftauchte.
Hacke: Der "Relax-A-cizor" war nicht als Sextoy gedacht. Er wurde in den 1950er-Jahren ursprünglich als Wohlfühl- und Abnehmgerät für Frauen entworfen, aber im Gebrauch zeigte sich, dass das Relaxing weiter ging, als es vorgesehen war. Der Apparat schickt über Pads Stromstöße durch den Körper – leichte Stromstöße, wie es damals hieß, tatsächlich wurde der Apparat aber Anfang der 70er-Jahre verboten, weil er zu Verbrennungen und Krämpfen bis hin zu epileptischen Anfällen führte.

Wie sehen Sextoys heute aus?
Flagmeier: Sextoys gehen heute stärker von der Anatomie des Menschen aus und weniger von stereotypen Vorstellungen von Sexualität, wie etwas aussehen und welche Form es haben muss. Der Vibrator in Penisform ist heute nur noch ein Modell unter vielen. Es gibt Modelle in diversen Formen: Etwa einen Aufsitzvibrator für Leute, die nicht stehen wollen oder können. Oder spezielle Sextoys für Transmänner. Qualität und Funktionalität stehen im Vordergrund. Die Farbvielfalt hat zugenommen, das Material ist auf Allergien getestet, spülmaschinenfest. Insgesamt hat Masturbation eine Normalisierung erfahren, die sich auch im Design wieder spiegelt und in der Verfügbarkeit: Sextoys sind heute überall erhältlich, im Internet, in der Drogerie.

Wie hat die Digitalisierung die Sexspielzeuge verändert?
Flagmeier: Neuere Vibratoren können per Bluetooth vernetzt werden mit dem Computer. Da kann man dann auslesen, wie stark die Bewegung war. Wir zeigen auch ein Gerät, bei dem beide Partner über eine räumliche Distanz hinweg Sex miteinander haben können. Das Gerät misst die Körperbewegungen des einen und überträgt sie über das Internet auf das Gerät des anderen. Parallel kann man über Skype dazu chatten.

Konträr zu diesen klinisch sauberen Toys steht in der Ausstellungsektion zu Fetischen ein Spind aus einer Umkleidekabine voller Sportschuhe. Was zeichnet Fetische aus?
Hacke: Der Spind ist Teil einer Installation des Künstlers Marc Martin, der eine Umkleidekabine nachgebaut hat und damit eine erotische, homosoziale Situation herstellt. Fetische sind oft körpernahe Objekte wie Handschuhe, Strümpfe oder Kleidung, die direkt mit der Haut eines Menschen in Berührung kamen, die Spuren des Körpers tragen. In Teilen der schwulen Subkultur ist der Sneaker zu einem Fetischobjekt geworden und er steht dabei auch für das Zelebrieren von Jugendlichkeit und Sportlichkeit. Am anderen Ende des Ausstellungssaales hängt aber auch ein Kristallleuchter. Magnus Hirschfeld beschrieb bereits 1912 den Fall einer "Kristallfetischistin",  die sich unersättlich an Kristallen ergötzen konnte.