Jüdisches Museum Berlin

Bitte mehr von allem!

Das Jüdische Museum Berlin hat nach einer turbulenten Zeit seine neue Sammlungspräsentation eröffnet. Die Ausstellung ist vom Ziel geprägt, niemanden zu verärgern. Das ist verständlich - unsere Autorin wünscht sich jedoch mehr Mut zur Gegenwart

Erstmal niemanden verärgern: Das mag das Motto gewesen sein, mit dem sich das Jüdische Museum Berlin an die aktuelle Ausstellung gemacht hat. Und bedenkt man die Querelen der letzten Jahre, dann ist das wirklich mehr als nachvollziehbar.
Hetty Berg, die neue Museumsdirektorin, wurde im letzten Herbst berufen und startete offiziell am 1.April 2020. Genau, mitten in der Corona-Pandemie, als alle dachten, solche Institutionen wie Museen werden doch locker bis Ende des Jahres geschlossen sein.

Bergs Start war demnach doppelt hart: Erst das ungute Erbe des Hauses, dann die unsichere Zukunft. Dazu kommt, dass man davon ausgehen muss, dass etliche Teile der Ausstellung schon lange vor Hetty Bergs Ernennung geplant waren. Wie Yael Reuvenys Videoinstallation zum Beispiel, von der sie mir schon vor zwei Jahren erzählte. Ich hatte sie für meinen Thementag "Connecting The Dots" am Berliner Ensemble engagiert und ihren Dokumentarfilm "Schnee von gestern" gezeigt. Das war am 27. Januar 2018.

Wenige Monate später erwähnte sie die Anfrage vom Museum. Herausgekommen ist jedenfalls eine der schönsten Stationen der gesamten Ausstellung. Wer ein bisschen in der Jüdischen Community beheimatet ist, sieht viele bekannte Gesichter. Diesen unterschiedlichen jüdischen Personen zuzusehen und insbesondere zuzuhören, ist bewegend. Ob es die unterschiedlichen Sichtweisen zum Judentum selbst sind, zu dem was für die jeweilige Person Jüdischsein bedeutet oder wo und wie sie genau aufgewachsen sind – Yael Reuveny hat es geschafft, mit einer simplen, aber effektiven Idee den Pluralismus jüdischen Lebens in Deutschland zu visualisieren. Und das erfolgreich.

Übers Judentum lernen

Die gesamte restliche Ausstellung sei vor allem nichtjüdischen Besuchern empfohlen. Denn man lernt beim Besuch sehr schnell und sehr viel über die deutsch-jüdische Geschichte, das Judentum als solches und insbesondere die Zeit nach 1945. Was mir fehlt, und das deshalb, weil ich selbst aus Ostberlin komme, war ein Blick auf die Geschichte der Juden in der DDR. Diese individuelle Nachkriegsgeschichte und ihre extrem eigenen Charakteristika hätten eine genaue Auseinandersetzung und Darstellung verdient.

Auch den großen Unterschied zum Judentum der Bundesrepublik zu verdeutlichen, wäre sicher für viele Besucher mehr als spannend gewesen. Aber so wandert man eher unaufgeregt durch den großen Raum, entlang an etlichen Tafeln, Videos und Erklärungen zu geschichtlichen Ereignissen, aber auch religiösen Fragen. Einen großen "Moment-of-Truth" hatte ich allerdings mit der "Spiegel"-Cover-Installation. Man stelle sich vor, dass im Ausstellungsbereich, in dem es um Israel und den deutschen Blick auf dieses Land geht, an einer Wand alle jemals zu diesem Thema erschienenen "Spiegel"-Cover sorgsam nebeneinander aufgehängt wurden. Wenn man dann nichtsahnend vor dem Titelbild der Ausgabe vom 12. Juni 1967 steht und von "Israels Blitzkrieg" lesen muss, dann braucht man wirklich kein promovierter Historiker sein, um sich zu fragen, ob Herausgeber Rudolf Augstein damals eigentlich noch alle Tassen im Schrank hatte.

Für die Zukunft wünsche ich mir vor allem: Mehr! Mehr Aufregung, ohne den Blick nach Nahost richten zu müssen. Mehr Mut für Gegenwart und aktuelle Themen. Mehr jüdisch-deutsche Kunst, Literatur, Musik, Wissenschaft. Mehr Jüdisches Museum in Berlin eben.