Kommentar zum israelischen Pavillon

Die Kunst kann warten

Der israelische Pavillon in Venedig bleibt vorerst geschlossen. Knicken die Künstlerin Ruth Patir und ihr Team damit vor drohenden Störern ein? Ein Kommentar

Das Vernissage-Publikum strömt an diesem Dienstagmorgen über das Gelände der Giardini, doch am israelischen Pavillon gibt es kein Durchkommen. Ein Plakat hängt neben der verschlossenen Tür des Gebäudes: "The artist and curators of the Israeli pavillon will open the exhibition when a ceasefire and hostage release agreement is reached" – Der Pavillon eröffnet erst, wenn ein Waffenstillstand im Gaza-Krieg und ein Abkommen zur Freilassung der israelischen Geiseln durch die Hamas erreicht ist. Man muss kein Pessimist sein, um vorauszusagen, dass dies während der Eroeffungstage des Kunstfestivals kaum eintreten wird - und möglicherweise auch nicht bis zu dessen Ende am 24. November: Die 60. Venedig Biennale, sie findet bis auf weiteres ohne israelischen Pavillon statt.

Die Entscheidung kam einigermaßen überrasschend und ist doch schlüssig. Schon vor Wochen hatte eine Aktivistengruppe namens Art Not Genocide Alliance in einem Offenen Brief den Ausschluss Israels von der internationalen Kunstausstellung gefordert, mehr als 23.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet. Andernfalls, so heißt es darin, biete die Biennale "einem völkermordenden Apartheidstaat eine Plattform", und weiter: "Jede offizielle Vertretung Israels auf der internationalen Kulturbühne ist eine Unterstützung seiner Politik und des Völkermords in Gaza." Mit Störaktionen war durchaus zu rechnen, den Ernst der Situation verdeutlichen auch die bewaffneten Polizisten, die jetzt vor dem israelischen Pavillon patroullieren.

Die Künstlerin Ruth Patir und das kuratorische Team waren damit in einer aussichtslosen Lage: Im aufgeheizten Klima hätten sie vermutlich sogar einen Hamas-Propagandafilm zeigen können und wären niedergebrüllt worden. Auf den ersten Blick wirkt es nun, als hätte der Boykottaufruf indirekt Wirkung gezeigt. Doch mit der Schließung des Pavillons vermeidet das israelische Team gleichzeitig, den Aktivisten ein Podium zu bieten, denen ein bisschen medienwirksamer Radau gerade recht gekommen wäre. Zugleich sendet ihre Entscheidung eine Botschaft, die die aktuelle politische Situation zu den Möglichkeiten der Kunst in Beziehung setzt.  

"Frauen, Kinder und Menschen, die durch die Hölle gehen, können nicht warten."

So sagte Ruth Patir: "Als Künstlerin und Pädagogin lehne ich den kulturellen Boykott entschieden ab, aber es fällt mir sehr schwer, ein Projekt zu präsentieren, das von der Verletzlichkeit des Lebens in einer Zeit der unergründlichen Missachtung dieses Lebens spricht." Durch die Fensterscheiben ist die Ausstellung zumindest in Teilen zu sehen: Zur einen Seite liegen kleine Figuren, die wie archäologische Fundstücke wirken. Zur anderen ist auf einem Video zu sehen, wie die Figuren sich versammeln, zu einer Prozession der trauernden Mütter. Der Titel: "M.Otherland"

Patir wollte mit ihrer Arbeit zur aktuellen Lage Stellung beziehen, etwas anderes scheint derzeit kaum möglich. Und zugleich scheint es unmöglich, ein solches Werk jetzt zu zeigen – und das eben nicht nur, weil man niemandem auf die Füße treten wollte oder Angst vor Störaktionen hatte. Die Schließung des Pavillons bedeutet kein Einknicken, aus ihr spricht vielmehr eine klare Einsicht und Überzeugung. 

Die Kuratorinnen Mira Lapidot und Tamar Margalit formulieren es so: "Sechs Monate sind seit dem brutalen Angriff auf Israel am 7. Oktober und dem Beginn des schrecklichen Krieges in Gaza vergangen. Es ist kein Ende in Sicht, sondern nur das Versprechen von noch mehr Schmerz, Verlust und Verwüstung. Die Ausstellung ist aufgebaut und der Pavillon wartet darauf, eröffnet zu werden. Die Kunst kann warten, aber die Frauen, Kinder und Menschen, die durch die Hölle gehen, können nicht warten."