Klimawandel

"Wir werden nicht das gesamte Kulturerbe erhalten können"

Verwüsteter Friedhof mit der Trauerhalle nach dem Unwetter in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Foto: dpa

Verwüsteter Friedhof mit der Trauerhalle nach dem Unwetter in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Extremwetter ist eine Gefahr für das kulturelle Erbe. Johanna Leissner vom Fraunhofer Institut warnt vor Risiken, die der Klimawandel für deutsches Kulturgut mit sich bringt. Es sei Zeit, Prioritäten zu setzten, was man retten will

Frau Leissner, immer wieder erleben wir neue Unwetterkatastrophen Hat das etwas mit dem Klimawandel zu tun?

Wir wissen mittlerweile sehr gut, dass Extremwetterereignisse, der Anstieg des Meeresspiegels und Überflutungswellen mit dem Klimawandel zusammenhängen. 

Die aktuellen Bilder erzeugen offenbar ein kollektives Verlustgefühl, so wirkt das jedenfalls in den sozialen Medien. Was verlieren wir, wenn wir unser kulturelles Erbe verlieren?

Wenn ein Mensch sein Gedächtnis verliert, was wir oft bei Alzheimerpatienten erleben, wird er orientierungslos und findet sich nicht mehr in der Welt zurecht. Genauso muss man das mit dem Kulturerbe sehen: Unser kulturelles Erbe ist das Gedächtnis der Menschheit. Wenn wir das verlieren, verlieren wir unsere Orientierung. 

Sie beschäftigen sich am Fraunhofer Institut mit den Auswirkungen des Klimawandels auf das Kulturerbe. Was sind die Herausforderungen?

Viele Verantwortliche im Bereich des Kulturerbes setzen sich – gerade in Deutschland – noch überhaupt nicht mit dem Klimawandel auseinander. Da sind andere Länder wie Schottland oder England wesentlich weiter. 

Welche Gefahren könnten denn in Deutschland konkret auf Kulturgüter zukommen?

Der Meeresspiegel der Nordsee wird stärker ansteigen als im Mittelmeer, so dass alle Kulturgüter an der Küste davon bedroht sein werden. Vorgestern habe ich erfahren, dass sich die Stadt Amsterdam damit beschäftigt, dass sie in 40 bis 50 Jahren unter dem Wasser liegen wird. Wir wissen auch, dass etwa in Südbayern verstärkte Regenfälle kommen werden. Daher brauchen wir an den Gebäuden andere Regenrinnen, die das viele Wasser aufnehmen können. Wir müssen über die Auswirkungen von ständig durchfeuchteten Mauern und Steinen nachdenken, über die Gefahr von Schimmelpilzwachstum oder über die Risiken feuchtigkeitsabhängiger Insekten für Sammlungen.

 Was kann die Politik tun, um das Kulturerbe vor Folgen des Klimawandels zu schützen?

Wir brauchen Forschung! Wir müssen jetzt ausarbeiten, was auf uns zukommt. Wir wollen wissen, wie sich das Klima an einem konkreten Standort X verändert und was das für ein Museum, ein Schloss etc. an diesem Ort im Detail bedeutet. Das können Sie nicht herausfinden, wenn sie mit einem globalen Klimamodell arbeiten, wie es heute noch oft bei Kulturerbeverantwortlichen geschieht. Deshalb müssen Forscher, die Klimamodelle erstellen und interpretieren, miteinbezogen werden. 

Was können Museen, deren Aufgabe ja die Bewahrung von Kulturgut ist, konkret tun?

Was kommt auf das Kulturerbe zu und wie können wir Vorsorge treffen? Wie können wir die Gebäude klimagerecht fit machen, welche Klimaanlagen müssen eingebaut werden? Was muss in historischen Gärten getan werden? Die Fraunhofer Gesellschaft mit ihren 72 Instituten in Deutschland kann mit den Kulturerbeverantwortlichen gemeinsam Maßnahmen erarbeiten, zum Beispiel haben wir ein Institut für Bauphysik, andere beschäftigen sich mit Materialforschung, andere wiederum mit der Entwicklung von Datenplattformen, wo die benötigten Informationen zusammenlaufen und im Krisenfall schnell reagiert werden kann.

Wo müssten die Museen und andere Verantwortliche für Kulturgut jetzt sofort anfangen?

Ich glaube, Maßnahmen können erst dann entwickelt werden, wenn die Verantwortlichen wissen, was auf sie zukommt. Es gibt bisher kein einziges Forschungsprojekt in Deutschland, das sich bislang konkret mit Thema Auswirkung des Klimawandels auf das Kulturerbe beschäftigt hat.

Dabei wurde doch auch in Deutschland bereits Kulturgut durch Naturkatstrophen zerstört. 28 Millionen Euro Schaden meldeten etwa die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nach der Flutkatastrophe im August 2002.

Ja, das stimmt. Die Stadt Dresden hat sehr viel und vorbildlich in den Hochwasserschutz investiert. Beim erneuten Hochwasser vor einigen Jahren war Dresden gerüstet und das Hochwasser hat nicht wieder die Kulturgüter in Mitleidenschaft gezogen. Es reicht aber nicht aus, wenn das nur die Stadt Dresden macht.

Sie sind Mitglied der neugegründeten Arbeitsgruppe "Kulturerbe und IPCC". IPCC ist der Weltklimarat der Vereinten Nationen. Welche Ziele haben Sie sich mit dieser Arbeitsgruppe gesetzt?

Vor zwei Wochen wurde in Edinburgh die Initiative "Climate Heritage Network" ins Leben gerufen. 160 Leute aus der ganzen Welt sind da zusammengekommen, und ich war die einzige aus Deutschland. Das zeigt im Übrigen noch einmal, welchen Stellenwert das in Deutschland hat. Innerhalb dieses Netzwerks haben sich einige zusammengefunden, die erreichen wollen, dass das Thema Kulturerbe stärker in den IPCC-Berichten aufgenommen wird. Dazu haben wir diese Arbeitsgruppe gegründet. 

Sie haben jetzt berichtet, welche Forschungen noch geleistet werden müssen. Haben Sie denn auch schon was erreicht?

Ich habe ein großes EU-Projekt mit über 27 Partnern aus ganz Europa und Ägypten geleitet, unter anderem mit dem Max-Planck-Institut für Meteorologie. Da haben wir erstmals hochaufgelöste, regionale Klimamodelle mit Gebäudesimulationen gekoppelt, um Aussagen zum zukünftigen Energiebedarf für Museen und historische Gebäude zu machen und herauszufinden, wie sich die projizierten Innenraumklimata bis zum Jahr 2100 auf die Erhaltung der Kunstobjekte auswirken. 

Und was war das Ergebnis?

Wir haben 55.650 verschiedene Risikoklimakarten erstellt für vier verschiedene Klassen von Kunst: Möbel aus Holz, Gemälde, Papier und bemalte Oberflächen. Ein Beispiel: In der Kathedrale in Dubrovnik hängen Gemälde, für die wir Szenarien bis zum Jahr 2100 berechnet haben, wie stark die gefährdet sein werden. 

Wie kann man diese Ergebnisse zusammenfassen?

Als wir mit der Forschung angefangen haben, waren wir sehr optimistisch. Das hat sich schnell geändert. Dabei haben wir mit einem moderaten Klimaszenarium gerechnet, obwohl wir ja im Moment auf dem schlechtesten Pfad sind. Die Probleme durch Schwankungen der Feuchtigkeit in den Innenräumen hatte ich schon genannt. Hinzukommt, dass wir wesentlich mehr Energie brauchen werden für die Kühlung, auch in Nordeuropa. Was ja die jüngsten Sommer mit Rekordtemperaturen über 40 Grad deutlich gemacht haben.

Was dann wiederum zu weiteren CO2-Emissionen führen wird.

Genau, der Klimawandel erzeugt viele solcher Rebound-Effekte. Ich war kürzlich auf einer Veranstaltung, auf der von einem Einbau einer neuen Klimaanlage in einem Museum berichtet wurde. Für diese sehr teure Anlage geht man als Setpoint im Sommer von Temperaturen von 32 Grad aus. Da habe ich gesagt, Sie müssen mit einem Setpoint von 45 Grad arbeiten! Ein Museum der Größe der Neuen Pinakothek in München oder des Nationalmuseums in Krakau hat eine Energierechnung von bis zu 700.000 Euro im Jahr – was noch vergleichsweise wenig ist. Wenn Sie heute eine neue Klimaanlage einbauen, müssen Sie einberechnen, was da auf uns zukommt an Veränderungen, damit die Anlage das bewerkstelligen kann und auch bei hohen Temperaturen funktioniert. Nicht, dass so wie in Florenz in den berühmten Uffizien die Klimaanlage ausfällt aufgrund der Hitzewellen. Die Klimaanlage ist nicht nur nötig, um den Besuchern Kühlung zu verschaffen, sondern auch um Schäden an den jahrhundertealten Gemälden zu verhindern. Das alles sind Kleinigkeiten, die große Auswirkungen haben.

Die Idee von Denkmalschutz und kulturellem Erbe ist eine sehr europäische Idee, die irgendwann historisch entstanden ist. Müssen wir vielleicht doch auch loslassen lernen und uns von Kulturgut verabschieden können?

Ich denke schon. Das ist auch Thema, das selten diskutiert wird, gerade bei Bedrohungsszenarien wie bei einer 500-Jahr-Flut oder Feueralarm. Da müssen Sie ja auch schon priorisieren, welches Kunstwerk zuerst gerettet werden muss. Wir werden nicht jedes Stück Kulturerbe erhalten können. Wir müssen heute die Diskussionen führen, was uns wirklich wichtig ist. Was wollen wir unbedingt für die nächsten Generationen erhalten? Mit der Digitalisierung haben wir ein schönes Tool in der Hand, um zerstörtes Kulturgut oder Kulturerbe, das unter Wasser liegen wird, zukünftigen Generationen noch zugänglich zu machen.