Kunst und Aktivismus

Was kann "Klimakunst" bewirken?

Die Politik scheint sich noch immer nicht wirklich für die Klimakatastrophe und ihre Folgen zu interessieren. Kann Kultur daran irgendetwas ändern? Einige Überlegungen zur Notwendigkeit einer engagierten "Umweltkunst"

"Versäumnisse beim Klimaschutz" hat Angela Merkel wenige Tage nach der aktuellen Flutkatastrophe in Teilen Westdeutschlands eingeräumt. Diese (der Rücksicht auf die Wirtschaft geschuldeten) "Versäumnisse" werden mit Sicherheit schon bald zu deutlich mehr Opfern bei Menschen, Tieren und Pflanzen führen. Auch die Weltpolitik scheint sich für die Klimakrise und ihre Folgen nicht wirklich zu interessieren: So haben sich die G20-Staaten jüngst in Neapel wieder einmal nicht auf die anvisierten, eh schon wenig ambitionierten Klimaziele geeinigt.

Kunst kann angesichts dieser realpolitischen Unfähigkeit zu einer effektiven Klimapolitik die Rolle einer kritischen Gegenöffentlichkeit spielen, die zugleich aufklärt, warnt und anklagt; die Zusammenhänge aufzeigt und realistische statt verharmlosende Zahlen veröffentlicht. Der Documenta-Teilnehmer Oliver Ressler etwa ist bekannt für seine engagiert-politischen Videos und Plakatarbeiten, deren Ästhetik sowohl dokumentarischer wie analytisch-anklagender Natur ist. Typisch für seine Arbeiten ist zum Beispiel das Plakat "Every round-trip ticket on flights from New York to London costs the Arctic three more square metres of ice" von 2019. Zu sehen ist eine weiße Ffläche mit einem gewaltigen Riss, dazu die im Titel genannte Begründung für das dramatische Schmelzen des einst als ewig gedachten Eises.

Eindringlich und unmissverständlich warnt Oliver Ressler so vor den Folgen der Erderhitzung. Wichtig ist dabei, dass seine Videos und Plakate sowohl im Rahmen von Kunstausstellungen als auch in aktivistischen Kontexten wie Klimacamps gezeigt werden. Auch, dass der Künstler seine Arbeiten im öffentlichen Raum ausstellt und dabei auf eine ach so elaborierte künstlerische Grammatik verzichtet, bietet ihm die Gelegenheit, eine möglichst große Zahl an Menschen zu erreichen. Nur so ergibt der Terminus "Gegenöffentlichkeit schaffen" tatsächlich Sinn. 

Die Kunst testet ein sozial und ökologisch gerechtes Leben

Kunst zur Klimakrise kennen wir seit etwa 40 Jahren, diese Zeitspanne benennt aber leider auch die unheilvolle Dauer, in der die Politik versäumt hat, sich gegen die Katastrophe mit Ansage zu engagieren. Pragmatische Lösungsansätze gegen diese fatale Entwicklung unterbreitet "Umweltkunst" seither in unterschiedlichster Weise, der US-Amerikaner Dan Peterman ist in diesem Kontext so etwas wie ein Wegbereiter.

Ökologisch bewusstes Produzieren und konsequentes Recycling stehen seit Mitte der 1980er-Jahre im Mittelpunkt seiner künstlerischen Arbeit. Längst legendär ist sein Projekt "The Building" (seit 1986), bei dem Peterman auf einem Gelände in Chicago ebenso Ateliers für Künstler installierte wie ein Recycling-Zentrum, eine Fahrrad-Werkstatt für Jugendliche aus prekären Verhältnissen und Beete für chemisch unbehandelte Nahrungsmittel. So testet "The Building" ein gesellschaftliches Leben aus, das sozial und ökologisch gerecht ist und sich so weit wie möglich kapitalistischen Funktionszusammenhängen entzieht.

Ein weiteres wichtiges Anliegen engagierter Kunst zum Klima ist die Rückgewinnung von Narrativen, die durch die rationalistisch-instrumentelle Vernunft verschüttet wurden. Denn gerade die eurozentristische Vernunft ist verantwortlich für ein Verhältnis zu Umwelt und Natur, das beides lediglich als eine von den Menschen ausbeutbare Ressource begreift. Dieser desaströsen Haltung kann eine Weltsicht entgegengesetzt werden, die auf einem "Naturvertrag" (Michel Serres) basiert. Darin werden alle Akteure der Erde, also Tiere, Pflanzen und Menschen, als gleichberechtigt akzeptiert. Um eine solche Idee umzusetzen, sollen indigenes Wissen und eine eben nicht logozentristische Kultur reaktiviert werden.

Ein neuer/alter Naturvertrag

Eine zentrale Arbeit in diesem Kontext ist die Zwei-Kanal-Videoinstallation "Forest Law" von 2014, die Ursula Biemann gemeinsam mit dem brasilianischen Architekten Paulo Tavares realisiert hat. Thema  ist der Kampf um den Regenwald, der derzeit vor allem zwischen "Global Playern", die die dortigen Öl-, Gas- und Erzvorkommen auf Kosten der Umwelt gewinnen wollen, und den dort lebenden indigenen Völkern, die als erste von den eintretenden Umweltschäden betroffen sind.

Ein Ergebnis dieses Krieges ist bereits der Wandel der einstigen "Lunge der Erde" hin zu einem selbst CO2 ausstoßenden Problemfall. "Forest Law" beleuchtet diese Umweltkatastrophe aus der Sicht der Betroffenen, genauer: aus der Sicht des Regenwaldes und des indigenen Volkes Kichwa in Ecuador. Letzteres nämlich hat einen wegweisenden Rechtsstreit gewonnen, in dem der Natur der Status einer juristischen Person zugesprochen wurde. Menschenrechte gelten dort also auch für Pflanzen und Tiere.

Der Film erzählt von dieser Entwicklung in Videointerviews mit indigenen Bewohnerinnen und Bewohnern des Amazonasgebietes, bereitet Archivmaterial auf und stellt kartografische Analysen vor. In einer behutsamen Bildsprache, die immer wieder auch den Wald selbst "sprechen" lässt, wird so deutlich, wie ein anthropozentrisches Weltbild, das den Menschen egoistisch in den Mittelpunkt stellt, dank der Installation eines neuen/alten Naturvertrages erfolgreich in die Schranken gewiesen werden kann. 
 

Unser Autor kuratiert seit 2008 Ausstellungen zum Thema Klimawandel. Zuletzt "2050 Nature Morte - Kunst zum Klimawandel", L 40 Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, 2020, und "Goodbye, World", 2021, auf einer Eisfläche vor der schwedischen Küste