Medienschau

"Mit einem solchen Leitfaden in den Händen hätte jeder Kurator gewusst, worauf er sich in Kassel einlässt"

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Weiter Diskussion um Documenta, Wolfgang Tillmans und Jeff Koons im Interview, sowie Artwashing auf der Venedig-Biennale: Das ist unsere Presseschau am Freitag

Debatte

Der Documenta-Aufsichtsrat hat am Dienstag getagt und einige Empfehlungen einer Managementberatung nach dem Antisemitismus-Skandal bei der Documenta 2022 übernommen. Einem Verhaltenskodex wird sich die nächste Künstlerische Leitung jedoch nicht verpflichten müssen. Boris Pofalla nennt diese Entscheidung in der "Welt"-Printausgabe "halbherzig": "Man kann darüber streiten, welche Code-of-Conduct-Regeln sinnvoll sind und welche übergriffig wären, doch mit einem solchen Leitfaden in den Händen hätte jeder Kurator gewusst, worauf er sich in Kassel einlässt. Nun wird er oder sie das erst wissen, wenn die Arbeit begonnen hat. Umgekehrt wird auch die Documenta-Geschäftsführung erst wissen, was genau auf sie zukommt, wenn die Vorbereitungen laufen. Insgesamt ist das ein Risiko, das eine derart krisengeschüttelte Institution eigentlich nicht eingehen kann. Sie tut es trotzdem." Stefan Trink ist in der "FAZ" auch ein bisschen optimistisch: "Zwei gute Nachrichten immerhin gibt es: Als weiteres Kontrollorgan soll ein wissenschaftlicher Beirat aus sechs Personen die Documenta beratend begleiten und wo nötig berichtigen, damit nicht abermals ahistorische Schutzbehauptungen durchschlüpfen im Stile jener von Ruangrupa, die indonesischen Antisemitismen seien von niederländischen Kolonisatoren eingeschleppt worden. Ebenfalls positiv ist die Nachricht, der Bund werde seine zwei ihm zustehenden Aufsichtsratssitze künftig wieder besetzen. Vielleicht wirken alle gemeinsam doch noch darauf hin, dass die öffentliche Absichtserklärung konkret ausfällt." Wie es jetzt weitergeht weiß Lisa Berins in der "FR": Claudia Roth werde mit den Kollegen von Stadt und Land nun Gespräche zu den Beschlüssen führen sowie zur "Frage der Entwicklung und Einführung sowie des möglichen Geltungsbereiches eines Codes of Conduct durch die Documenta". Nach aktuellen Plänen soll bis Ende des Jahres eine Künstlerische Leitung gefunden sein. "Eine Berufung der Findungskommission steht demnach kurz bevor."

Apple entschuldigte sich am Donnerstag, nachdem ein Werbespot für ein neues iPad-Pro-Modell Kritik ausgelöst hatte, weil darin Werkzeuge künstlerischen Ausdrucks wie Farbdosen, Staffelei und Musikinstrumente zerdrückt werden, berichtet "Ad Age". "Unser Ziel ist es, die unzähligen Möglichkeiten zu feiern, mit denen sich Nutzer ausdrücken und ihre Ideen mit dem iPad zum Leben erwecken. Mit diesem Video haben wir das Ziel verfehlt, und es tut uns leid", zitiert das Magazin einen Unternehmenssprecher. Hugh Grant kommentierte auf X: "die Zerstörung der menschlichen Erfahrung durch Silicon Valley".


Interview

Mit dieser Podcastfolge lässt sich ein Mittelstreckenflug bestreiten: Ganze fünfeinhalb Stunden spricht Wolfgang Tillmans im "Zeit"-Podcast "Alles gesagt" mit Christoph Amend und Jochen Wegner "über seine ersten künstlerischen Schritte als Teenager am Fotokopierer und im Proberaum, über seine internationalen politischen Kampagnen – und über das Geheimnis seiner bekanntesten Bilder. Er erzählt von Begegnungen mit Jodie Foster und Isa Genzken, Frank Ocean und Gerhard Schröder, erklärt die Preise seiner Kunstwerke – und warum er seine Ausstellungen vor Ort nachts alleine vorbereitet." 

Jeff Koons ist in Hamburg auf der Marketing-Messe OMR, wo Nina Holley ihn für die "Welt" befragt zu Kommunikation, künstliche Intelligenz und Plänen für seinen 70. Geburtstag. "Wenn man jünger ist, ist man eher egoistisch. Man tut mehr für die eigenen Gefühle und Empfindungen. Aber wenn man älter wird, denkt man mehr an andere. Nicht, dass man mehr geliebt werden will, es geht darum, dem Wunsch zu folgen in einer größeren Gemeinschaft etwas beizusteuern und als Älterer der Gemeinschaft als Ganzes zu helfen. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es für mich, aber zugleich versuche ich so großzügig wie möglich zu sein, um eine Transzendenz zu teilen – sodass jemand seine eigene Aufmerksamkeit spürt und dadurch in den Kontakt mit sich selbst kommt." Wie schön, da sind Sätze bei für eine Neuauflage unseres Quiz "Wer hat's gesagt: Osho oder Koons?".

Porträt

Gleichermaßen Künstlerin und Aktivistin, steht die 1982 geborene LaToya Ruby Frazier in der Tradition der sozialen Fotografie der 1930er- und 1940er-Jahre. Siddhartha Mitter nennt sie in der "New York Times" "Amerikas wichtigste soziale Dokumentarfotografin": "In ihrer Arbeit zeichnet sie die Erfahrungen von Menschen aus der Arbeiterklasse im ganzen Land nach, die mit den zunehmenden Herausforderungen der Deindustrialisierung, der Umweltzerstörung und der Ungleichheit konfrontiert sind. Dabei bleibt ihre Heimatstadt Braddock ihre beste Vorlage für das Verständnis der Welt." Jetzt stellt sie im New Yorker Museum of Modern Art aus. Im "Cultured Magazine" skizziert LaToya Ruby Frazier in einem eigenen Beitrag, "die Ursprünge, Zeitlinien und Einflüsse in den 23 Jahren, die in der umfangreichen Schau zu sehen sind."

Venedig-Biennale

Sophie Jung hat bei der Kunstbiennale Venedig auch Artwashing gesehen. Die Uzbekistan Art and Culture Development Foundation etwa "verfolgt in Venedig ihre eigene Politik", schreibt sie in der "taz", "nämlich die eines Landes, das wirtschaftlich und diplomatisch in viele Richtungen schauen muss, auch zum Putin-Regime." Auch im Pavillon der Saudis sieht die Autorin eine Imagekampagne: "Das autoritäre Regime Saudi-Arabiens – 2023 wurden dort 170 Menschen hingerichtet – etabliert sich derzeit als Globalplayer der Kunst. Die ambitionierten Museums- und Ausstellungsprojekte, die Kronprinz bin Salman mit seiner 'Vision 2030' verfolgt, locken zunehmend Größen des Kulturbetriebs in den Wüstenstaat."

Susanne Schreiber hat für das "Handelsblatt" mit dem Berliner Galeristen Jan Wentrup gesprochen, der neue Räume in Venedig aufgemacht hat: "'Wir schaffen hier ein Gegenprogramm zum hektischen Kunstmarkt. Der läuft inzwischen mit seinem Messebetrieb hohl', begründet Wentrup die Standortwahl. 'Venedig entschleunigt mit seinen Kanälen jeden Besucher. Hier kann man zur Ruhe kommen und sich auf die Kunst konzentrieren.' Es zögen mehr internationale Galerien für zeitgenössische Kunst in die Lagunenstadt, erzählt er. Venedig sei nicht mehr nur in den Jahren der Kunstbiennale ein Magnet für Privatsammlerinnen und -sammler."