Debatte
In der "London Review of Books" kommentiert der Holocaust-Forscher Michael Rothberg die Ausladung des israelischen Philosophen Omri Boehm von der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald. Boehm, Enkel eines Holocaust-Überlebenden und Kritiker der israelischen Regierung, wurde auf Druck der israelischen Botschaft ausgeladen. Diese warf ihm unter anderem vor, den Holocaust zu relativieren – ein Vorwurf, den Rothberg als unbegründet zurückweist. Rothberg sieht in der Kontroverse einen Angriff auf Boehms universalistischen Ansatz zur Erinnerungskultur, der das Gedenken an die Shoah nicht exklusiv, sondern als moralische Verpflichtung für die gesamte Menschheit versteht. Die scharfe Ablehnung solcher Positionen durch die israelische Botschaft deute laut Rothberg auf einen Bruch mit der bisher international anerkannten Idee einer kosmopolitischen Holocaust-Erinnerung hin – und somit auch mit der Tradition, an der Israel selbst einst mitgewirkt habe. "In einer Zeit, in der Israel vor dem Internationalen Gerichtshof des Völkermordes beschuldigt wird - und in der Meinung vieler Menschenrechtsorganisationen und prominenter Holocaust-Wissenschaftler - ist ein universalistisches Gedenken an die Shoah anscheinend nicht mehr zu ertragen."
Kulturpolitik
Im "Guardian" vergleicht Jonathan Jones Donald Trumps Umgang mit Kunst mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Anlass ist ein neues Selbstporträt Trumps, das ihn nach dem Attentat im Juli 2024 in Siegerpose zeigt – nun prominent im Weißen Haus platziert (siehe Hinweis auf einen "Zeit"-Kommentar dazu weiter unten). Für Jones ist es Ausdruck einer autoritären Ästhetik. Auch die Entfernung eines unvorteilhaften Porträts in Colorado und die Anweisung an seinen Vize J.D. Vance, die Smithsonian-Museen von "unpassender Ideologie" zu säubern, erscheinen ihm als alarmierende Signale einer autoritären Kulturpolitik – mit dem Unterton: Ist das nur Muskelspielerei oder eine ernsthafte Bedrohung? Jones zieht zur Einordnung die Ausstellung "L’art 'dégénéré': Le procès de l’art moderne sous le nazisme" heran, die aktuell im Pariser Musée Picasso zu sehen ist. Sie dokumentiert, wie die Nazis moderne Kunst diffamierten und für ihre ideologischen Zwecke instrumentalisierten. Werke von Künstlern wie Kirchner, Grosz und Dix zeigen eine Freiheit des Ausdrucks, die von den Nazis als gefährlich angesehen wurde. "Der Nazi-Angriff auf die moderne Kunst war in Wahrheit ein Angriff auf die in den Weimarer Jahren verkörperten Haltungen von liberaler Hoffnung", schreibt Jones. Zwar mahne er zur historischen Vorsicht: "Solche Gewalt zwingt uns zur Zurückhaltung bei Vergleichen". Erkennt aber: "Doch die Nazis waren brillante Populisten". Trumps Kulturkampf, so die implizite Warnung, sollte deshalb nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Sebastian Hammelehle beschreibt im "Spiegel", wie Trump im Februar das Kennedy Center, die wichtigste nationale Kulturinstitution der USA, unter seine Kontrolle gebracht hat. Er entließ die bisherigen Leitungsfiguren und besetzte das Gremium mit Vertrauten. Trump selbst ernannte sich zum Chef und ließ Porträts von sich und seiner Familie aufhängen – ein symbolischer Akt, der viele verstört. Die Kulturszene reagiert größtenteils mit Schweigen, einige wenige Künstler wie Jonatha Brooke äußern Kritik: "Trump ist viel gefährlicher als Nixon." Das Kennedy Center, einst als überparteilicher Ort der Künste gedacht, wird so zum Schauplatz eines politischen Kulturkampfs. Trump kündigte an, es werde "keine Travestieshows mehr oder andere antiamerikanische Propaganda" geben. Beobachter wie der Unternehmer Cappy McGarr sehen darin einen Bruch mit der ursprünglichen Vision von Präsident Kennedy. Der Präsident nutze das Zentrum nun, um Macht zu demonstrieren und Andersdenkende einzuschüchtern – und viele in der Kulturszene schweigen aus Angst oder Abhängigkeit. "Es werde zehn Jahre dauern, bis sich das Land von Trumps Präsidentschaft erholt habe, meint Brooke. Und erst dann wird wohl klar sein, wofür das Kennedy Center künftig stehen wird: für die Abgründe oder für die erhabenen Momente in der amerikanischen Geschichte."
Kunstmarkt
Trotz angespannter Marktlage erwiesen sich die Frühjahrsauktionen in Paris laut Bettina Wohlfarth in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" als solide mit einzelnen Glanzlichtern. Besonders erfolgreich sei Christie’s gewesen, wo die Sammlung von Lise und Roland Funck-Brentano mit 5,2 Millionen Euro netto die Erwartungen übertraf. Sophie Taeuber-Arps "Rundes Relief" von 1936 erzielte dabei mit 2,5 Millionen Euro die Obertaxe. Auch Toulouse-Lautrecs "Jane Avril au Divan Japonais" stieg mit 4,4 Millionen Euro deutlich über die Schätzung. Bei Sotheby’s kam die Sammlung von Niomar Moniz Sodré Bittencourt zur Auktion: Trotz zwölf unverkaufter Lose lag das Gesamtergebnis mit 11,4 Millionen Euro brutto über der Erwartung. Giacomettis "Femme debout" wurde dort mit vier Millionen Euro zur oberen Taxe zugeschlagen, während Werke von Cézanne, Matisse und Caillebotte stabile Ergebnisse lieferten.
Bildbetrachtung
In der "Zeit" beschreibt Florian Illies, wie Donald Trump seine eigene Wiederauferstehung inszeniert – buchstäblich: Ein neues Gemälde im Weißen Haus zeigt ihn heroisch nach dem Attentat vom Juli 2024 mit erhobener Faust, stilistisch irgendwo zwischen Renaissance und sowjetischer Propagandakunst. "Das Ganze hat den Charakter eines 'Drei Fäuste für ein Halleluja'", meint der Autor und spielt damit auf die kurios hinzugefügten, schwer zuzuordnenden Hände im Bild an. Illies deutet Trumps Selbstbild ironisch als Mischung aus Märtyrer und Messias: "Wer außer Jesus und mir hat schon seinen eigenen Tod überlebt?" So werde das Gemälde zur "österlichen Botschaft" aus dem Weißen Haus – ein monumentales Symbol des politischen Personenkults, das laut Illies "am besten auf Knien" zu betrachten sei.
Museen
Das Kunsthaus Göttingen stand Ende 2024 kurz vor dem Aus, nachdem der Stadtrat überraschend beschlossen hatte, die Einrichtung in die Insolvenz gehen zu lassen. Trotz finanzieller Zusagen der Oberbürgermeisterin verweigerten Ratsfraktionen wie CDU und FDP die Unterstützung. Verleger Gerhard Steidl, Initiator und langjähriger Unterstützer des Hauses, zeigte sich enttäuscht über den Umgang der Stadt, wie Alexander Menden in der "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Er sehe die Insolvenz als Folge kommunalpolitischer Uneinigkeit, mangelnder Kommunikation und eines zu wenig publikumsnahen Programms. Nun steht das Kunsthaus vor einem Neustart: ehrenamtlich organisiert, unter der künstlerischen Leitung von Steidl und Johannes-Peter Herberhold, dem Leiter des Literaturherbstes. Erste Ausstellungen – etwa aktuell von Juergen Teller oder bald auch von Bryan Adams – sollen wieder mehr Besucher anziehen. Steidl übernimmt vorerst die Kosten und will mit prominenten Kontakten dem Haus neue Strahlkraft verleihen. Die Hoffnung: Mit mehr Publikum könnte auch die Stadt ihre Förderentscheidung überdenken.
Bildkultur
Im "Spiegel"-Interview blickt Andreas Briese, seit 2008 Youtube-Deutschlandchef, auf zwei Jahrzehnte Videoplattform zurück. Vom belächelten Katzenvideo-Archiv zur Medienmacht: "Wir waren das 'new kid on the block' – heute sitzen wir oft in der Mitte der Panels", so Briese. Mit dem Partnerprogramm und dem Prinzip, Einnahmen zu teilen, habe YouTube früh die "Creator Economy" geprägt. Auf Kritik an banalen Inhalten entgegnet er: "Banal oder nicht, das ist eine Frage des Publikums". Plattform-Sicherheit sei heute zentral – problematische Inhalte sollen durch neue Maßnahmen für Jugendliche seltener empfohlen werden. Burn-out unter Content-Erschaffern sei ein wachsendes Thema: "Creator-Sein ist manchmal ein einsamer Job." YouTube versuche, mit Treffen, Experten und neuen KI-Tools zu unterstützen. Zehn Highlights aus 20 Jahren Youtube hat Maja Goertz für Monopol zusammengestellt.
Nachruf
Die palästinensische Künstlerin Dina Khaled Zaurub ist laut Medienberichten, unter anderem von "The Art Newspaper", am 12. April bei einem israelischen Luftangriff auf ein Zeltlager für Vertriebene nahe Khan Yunis im südlichen Gazastreifen ums Leben gekommen. Die 22-Jährige war bekannt für ihre Porträts von Menschen, die durch israelische Angriffe getötet wurden. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Al Mezan Award für Menschenrechte. "Es ist schmerzhaft, dass Künstlerinnen aus Gaza meist erst nach ihrer Ermordung Beachtung finden", sagte die Künstlerin Malak Mattar gegenüber "The Art Newspaper". "Sie verdienen Schutz und Anerkennung zu Lebzeiten." Mehr als 50.000 Menschen wurden laut Gesundheitsministerium in Gaza seit Beginn der israelischen Offensive getötet. Der Konflikt war am 18. März nach einer zweimonatigen Waffenruhe wieder aufgeflammt, nachdem Israel überraschend den Gazastreifen bombardiert hatte.