Medienschau

"Leichtigkeit würde im deutschen Pavillon subversiver wirken als das Wiederkäuen faschistischer Formen"

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Noch mehr Stimmen zur Venedig-Biennale und zum deutschen Pavillon, und ein Komplize des Kunst-Betrügers Inigo Philbrick packt aus: Das ist unsere Presseschau am Freitag


Venedig-Biennale

Viel Erkenntnis lässt sich nach Ulrike Knöfel im "Spiegel" aus der diesjährigen Venedig-Biennale ziehen - zum Teil allerdings anders als von den Veranstaltern beabsichtigt. So gebe es in den Pavillons, wie bei Anna Jermolaewa für Österreich, durchaus kluge, leise Töne in der Kunst. Überstrahlt werde das jedoch von den Anti-Israel-Protesten in den Giardini, die sich fast schon routiniert anfühlten. "Dass die Gruppe auftauchte, überraschte niemanden. Sie crashen ja regelmäßig Veranstaltungen. Kenner der Szene sagen, dass ihnen manche der Demonstranten schon fast vertraut vorkämen. Vielleicht seien es immer dieselben, ob in Berlin oder jetzt in Venedig? Sind die der Protestjetset? Überhaupt nutzt sich der Protest ab, weil deren Anhänger aus der Kunstszene in ihrem Herumbrüllen doch recht selbstverliebt wirken. Das macht die Solidarität ein wenig unglaubwürdig. Natürlich ist es richtig, sich für die Opfer in Gaza einzusetzen, aber nicht, Hass zu verbreiten. Und das geschah dann gleichfalls vor dem deutschen Pavillon, in dem ebenfalls eine Israelin ausstellt."
 

Stefan Trinks klingt in der "FAZ" durchaus zufrieden mit der Biennale und deren Fokus auf Migration: "Der Künstler wird so zur Projektionsfigur, er steht stellvertretend für alle, auch uns Europäer, denn selbst die meisten der seit 2014 ohnehin leidgeprüften Ukrainer hätten sich vor gut zwei Jahren wohl nicht träumen lassen, dass sich Millionen von ihnen als Flüchtlinge über den Kontinent und die Welt verstreut wiederfänden. Und traumatische Flüchtlingserinnerungen gibt es auch hierzulande noch genug." Sein Tipp für den Goldenen Löwen, der morgen vergeben wird: "Verdient hätte den Preis für den besten Pavillon Österreich."


Peter Richter schaut in seiner "SZ"-Review der 60. Biennale-Ausgabe schonmal in die Zukunft: "Wahrscheinlich muss man diese Ausstellung aber ohnehin als die letzte Blüte eines Trends und eines Sounds begreifen, die die vergangenen zehn Jahre geprägt haben, bevor das schon sehr bald in etwas ganz anderes umschlagen könnte. Sind demnächst also deutsche Beiträge zu erwarten, die das geheime Wissen des Teutoburger Walds beschwören, sich am Limes reiben und überhaupt am Kolonialismus der Römer, denen wir das Wort schließlich verdanken? Möglich scheint alles. Die Regierung von Giorgia Meloni hat jedenfalls bereits den ihr genehmen Direktor der künftigen Biennalen installiert. Der Mann heißt Pietrangelo Buttafuoco und steht für die rechte Identitätspolitik eines globalisierungsmüden Nordens."


Deutscher Pavillon

Boris Pofalla beschäftigt sich in der "Welt" noch einmal mit dem deutschen Pavillon - und fühlt sich einige Jahre zurückversetzt. "Seit Anne Imhof 2017 hat niemand mehr so viel Pathos aufgeboten wie Mondtag und Bartana, und damals gewann 'Faust' den Goldenen Löwen. Chancen hat der deutsche Beitrag auch diesmal", schreibt der Autor. Zwar findet er den Ansatz des Pavillons interessant, die Ausführung von Yael Bartanas Installation aber zumindest zwiespältig. "Es ist eine galaktische Vision, die da entworfen wird. Doch wie jedes Kunstwerk steckt auch 'Light to the Nations' knietief in seiner eigenen materiellen Realität. Das Weltenretter-Raumschiff sieht leider aus, als sei es an einem Windows-PC um 2012 herum gerendert worden. Sein Gleiten durchs All wirkt wie die Szenen, die man in "Star Trek" zwischen Sequenzen mit echter Handlung schneidet. Es ist eher das Konzept als solches, das für Gesprächsstoff sorgt – man kann den Beitrag gut nacherzählen, der Ansatz ist auch politisch latent brisant, nur die Arbeit selbst eben nicht."
 

Im "Standard" aus Wien ist Stefan Weiss nicht besonders angetan vom deutschen Beitrag - da dieser doch wieder Klischees erfülle. "Deutsche Schwere und Strenge also auch bei dieser Biennale. Dabei hätte gerade dieses Duo die Chance ergreifen und mit den völkischen Versatzstücken brechen können. Ein Hauch mehr Leichtigkeit würde im deutschen Pavillon subversiver wirken als das Wiederkäuen faschistischer Formen zu einer technoiden Alien-Nazi-Dystopie, die letztlich eingeübte Erwartungen an den deutschen Beitrag nur erfüllt statt bricht."


Kunst und Verbrechen

Im "Guardian" erzählt der gebürtige Londoner Orlando Whitfield, wie er zum Komplizen des einstigen Star-Kunsthändlers Inigo Philbrick wurde - der inzwischen wegen Millionenbetrugs zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Autorin Charlotte Edwardes beschreibt, wie der geläuterte Gauner nun das ganze System des Kunsthandels anklagt. "Whitfield, 37, ist nicht der offensichtliche Kandidat, um eine Granate unter den Kunstmarkt zu legen - der im Jahr 2023 einen geschätzten weltweiten Transaktionswert von 65 Mrd. Dollar hatte. Doch genau das tut er wohl, indem er in seinem Buch "All That Glitters" dem System ebenso wie Philbrick die Schuld zuschiebt. Darin schildert er seine zehnjährige Tätigkeit an der Seite von Philbrick, bei der er unter anderem zweimal versuchte, Banksy-Graffiti von Privatgrundstücken zu entfernen; einen Lucian Freud im Handgepäck auf einem Transatlantikflug zu transportieren, eine Paula Rego in einem Lissaboner Hotelzimmer gegen Bargeld zu verkaufen, sowie Hunderttausend-Dollar-Geschäfte in Sekunden auf der Grundlage eines iPhone-Fotos.


Caspar-David-Friedrich-Jahr

Florian Illies hat bereits ein ganzes Buch zum 250. Geburtstag von Caspar-David-Friedrich vorgelegt. Alles gesagt ist aber offenbar immer noch nicht, und nun legt er in der "Zeit" einen weiteren Essay zum Start der großen Solo-Schau in Berlin nach. Warum fasziniert uns gerade Friedrich heutzutage so? "Weil seine Gemälde keine Antworten geben, sondern so klug sind, immer nur Fragen zu stellen. Da ist also ein Maler, 1774 geboren, 1840 gestorben, dessen Bilder von Erfahrungen, von Sehnsüchten und Träumen zu sprechen scheinen, die ihr Schöpfer noch gar nicht gemacht haben konnte – und die sich dennoch wie Echoräume unserer gegenwärtigen Empfindungen anfühlen. Aus Caspar David Friedrich sprach rücksichtslos Zukünftiges – darum schauten ihn seine Zeitgenossen so ratlos an. Und darum wohl ergibt sich ihm das 21. Jahrhundert, überfordert von den Bilderstrudeln des Internets, der sozialen Medien und der internationalen Krisenherde, jetzt so bedingungslos."