Debatte
Der diesjährige Turner-Prize-Shortlist sei "die gefühlsduseligste aller Zeiten", meint Kritiker Jonathan Jones im "Guardian". Der einst provokative Kunstpreis sei zu einem "irrelevanten bürgerlichen Ritual" verkommen und sieht den ihn zunehmend losgelöst vom britischen Alltag. Besonders kritisiert er die Nominierte Zadie Xa, deren Werke er als "mild beeindruckend, aber bedeutungslos" beschreibt. Auch Nnena Kalus Skulpturen und Rene Matićs Fotografien böten kaum Überraschung oder emotionale Tiefe. Allein Mohammed Samis melancholische Landschaften, die Krieg und Migration thematisieren, lobt er – wenngleich sie mehr moralisch als rebellisch wirken. Auch Alastair Sooke sieht im "Telegraph" Sami als Favoriten. Der irakisch-britische Maler, nominiert für seine Ausstellung "After the Storm" im Blenheim Palace, thematisiere "die psychologischen Folgen von Krieg" und gelte als "erstklassiger" Künstler. Sooke findet, dass die Shortlist mit Ausstellungen in Barcelona, Sharjah und Berlin "wenig Bezug" zu London als internationalem Kunstzentrum habe. Die zugehörige Turner-Nominierten-Schau öffnet am 27. September in Bradford.
Museen
Stefan Koldehoff hat im Dezember im Rahmen der "Martin und Harriet Roth Lecture"-Reihe in Dresden über das Museum als Ort der Utopie gesprochen – der Vortrag ist jetzt im Deutschlandfunk zu hören. Trotz 7.500 Museen und rund 106 Millionen Besuchen im Jahr 2023 seien Museen in einer "Dauerkrise", unter anderem durch politischen Druck und Fragen kultureller Deutungshoheit. Koldehoff fordert, dass Museen nicht nur Erinnerungsräume, sondern auch offene Foren für Gegenwart und Zukunft sein sollen. Sie sollten Räume sein, in denen unterschiedliche Perspektiven sichtbar werden und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse stattfinden können: "Das Museum ist ein Universum, in dem Jede und Jeder nach ihrem und seinem Platz suchen und ihn auch finden kann. Ein Ort, an dem es möglich ist, unsere merkwürdige, immer bedrohlicher scheinende Welt mit anderen Augen zu sehen – ohne dadurch in andere, parallele, virtuelle Welten zu flüchten."
Ein Gericht in New York hat entschieden, dass das Art Institute of Chicago die Zeichnung "Russischer Kriegsgefangener" (1916) von Egon Schiele an die Erben des österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum zurückgeben muss. Das Werk sei "seit 86 Jahren gestohlenes Eigentum", zitiert die "New York Times" die Richterin Althea Drysdale. Grünbaum, ein jüdischer Kunstsammler, wurde 1941 im KZ ermordet, seine Sammlung durch die Nazis konfisziert. Die Ermittler wiesen nach, dass angebliche Verkaufsbelege gefälscht waren. Die Richterin warf dem Museum vor, seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen zu sein.
Kunstmarkt
Im "Standard" analysiert Olga Kronsteiner den geplatzten Verkauf von Gustav Klimts "Fräulein Lieser" – ein Kunstkrimi, der mit der Wiederentdeckung eines "fast 100 Jahre verschollenen" Gemäldes begann und in einem teuren Fehlschlag für das Auktionshaus im Kinsky endete. Obwohl das Porträt bei der Auktion im April 2024 für 30 Millionen Euro versteigert wurde, wurde der Deal im März 2025 rückabgewickelt. Grund waren unklare Besitzverhältnisse, eine nicht eindeutig geklärte Provenienz und Erbstreitigkeiten: Eine einzige verweigerte Unterschrift einer Erbin ließ das Geschäft scheitern. Bereits zuvor habe das Auktionshaus einen eilends verhandelten Restitutionsvergleich abgeschlossen, der später nachgebessert werden musste. Die Identität der Porträtierten sei ebenfalls fraglich geblieben, da Klimt-Forscher jahrzehntelang eine falsche Zuschreibung übernahmen. "Ein vermeintlicher Coup, der sich für das Auktionshaus im Kinsky innerhalb weniger Monate zu einem Desaster auswuchs." Der Fall offenbare Versäumnisse in der Provenienzforschung und kostete das Auktionshaus laut Schätzungen rund 1,5 Millionen Euro.
Die Galerie Air de Paris verlässt die Art Basel nach über zwei Jahrzehnten – aus Protest gegen eine unerwünschte Standplatzierung, die sie als Abwertung empfindet. Gründerin Florence Bonnefous kritisiert in einem offenen Brief, aus dem "Artnet" zitiert, eine zunehmende "Effizienz der Unternehmensführung" auf Kosten individueller Wertschätzung. Obwohl die Messe betont, alle Entscheidungen im Sinne eines kuratierten Gesamtkonzepts zu treffen, sieht die Galerie sich herabgestuft. Trotz des Bruchs mit Basel will sie im Herbst bei der Art Basel Paris ausstellen.
Szene
"Kaufhäuser zu Kunstorten" hatten wir mal gefordert. In Hamburg endet jetzt das Projekt "Jupiter" im ehemaligen Karstadt-Sporthaus in der Hamburger Innenstadt nach vier Jahren kreativer Zwischennutzung. In der "taz" beschreibt André Zuschlag den Ort als lebendige Plattform für Kunst, Design, Musik und soziale Projekte, der die Mönckebergstraße jenseits üblicher Ladenöffnungszeiten belebte. Katja Wolframm von der Hamburg Kreativgesellschaft betont: "Hier ist ja nur so eine Kraft entstanden, weil es eben nicht auf Langfristigkeit ausgerichtet war." Auch soziale Vielfalt wurde angestrebt: Von Graffiti-Workshops bis zu Mode aus der afrikanischen Diaspora war vieles vertreten. Kritische Stimmen wie Marco Hosemann beklagen jedoch die zunehmende Kommerzialisierung und das Ausbleiben unkommerzieller Initiativen wie Anlaufstellen für Obdachlose. Die Zwischennutzung sei zwar günstig gewesen – die Stadt zahlte lediglich die Nebenkosten –, doch eine dauerhafte Umwandlung des Gebäudes würde umfangreiche Umbauten erfordern. Ein Beispiel liefert Harburg: Dort wurde ein ehemaliges Karstadt-Kaufhaus dauerhaft in ein Museum umgewandelt. Wie es mit dem "Jupiter" weitergeht, ist noch unklar.
Das besondere Kunstwerk
DJ Hell, Jonathan Meese und seine Mutter Brigitte, die zusammen ein Album aufgenommen haben, waren am Dienstag zu Gast in der Late-Night-Sendung "Willkommen Österreich". Jetzt ist das Video online. In der Sendung wird geklärt, warum Meese als Don Quijote der Kunst gilt, warum jedoch die Windmühlen des Kunstbetriebs gegen ihn kämpfen – statt umgekehrt –, wie Brigitte Meese ihren Sohn managt, wie das Album entstanden ist und weshalb Meese und Österreich so gut zusammenpassen.